04.11.2022
Von Osmose-Kraftwerksträumen, stromerzeugenden Schuhen und Alu-Windrädern
Eine energetische Reportage von Heinz Wraneschitz
Die Erfindermesse IENA in Nürnberg – jedes Jahr gibt es hier unendliche Energiewelten zu entdecken, (welt-)fremde Entwicklungen und praktische Ideen.
„Energie!“ Wenn Chefingenieur Scotty von der Besatzung des Raumschiffs Enterprise den Schalter betätigt und Menschen und Dinge dematerialisiert an völlig andere Stellen der Galaxis beamt, muss viel Energie aufgewendet werden. Bei Hasan Ayartürks Osmosekraftwerk müssen zwar die Ionen keine großen Entfernungen überwinden. Aber wenn es stimmt, was die Standbesatzung auf der IENA behauptet, dann erzeugen die elektrisch geladenen Teilchen stattdessen fast unendlich viel Energie auf ihrem Weg durch die Membran in dem grünen Zauberkasten.
Mit viel Druck zu noch mehr Osmosestrom?
300 Watt Stromaufnahme benötige die Pumpe, um die aus der Luft kondensierte Flüssigkeit durch die Membran zu drücken, erklärt Salih Emre Bağgül von RePG Enerji, jener türkischen Firma, die das System erfunden hat. Diese genannte Pumpenleistung ist nachvollziehbar. Etwas weniger logisch ist Bağgüls Ergänzung: Aus dem Stromstecker auf der Rückseite des Kastens könnten dann 500 Watt elektrische Leistung entnommen werden, was einer 67-prozentigen Stromvermehrung entspräche. Dabei ist die Membran im schaltschrankähnlichen Kraftwerk gerade mal etwa einen halben Quadratmeter (m²) groß.
Bis in die jüngere Vergangenheit galt bei Osmose-Stromerzeugung die Erwartung: 2,2 Watt (W) pro m² Membranfläche. 2018 hatte ein chinesisches Team diese Ausbeute „signifikant erhöhen können: auf 5,1 W/m²“, wie Welt der Physik berichtet.
Doch RePG-Erfinder Ayartürk hätte mit besagten 500 Watt aus einem halben Quadratmeter gleich mal einen weiteren, mehr als 100-fachen Osmose-Leistungssprung erreicht. Dazu soll allein jene Pumpe ausreichen, die den Druck im Ionenkessel steigert. So jedenfalls war Bağgüls Erklärung zu verstehen. Und Hüseyin Karayağız, Board Member bei RePG, nickte am Stand dazu heftig mit dem Kopf. Auf Youtube gibt es ein so genanntes „Erklärvideo“ zu dem RePG-System. Darin wird aber eigentlich nichts erklärt, sondern nur behauptet, die Osmose-Stromerzeugung werde „fired by nature itself“.
Fragt sich nur, warum diese goldeselsartige Erfindung, deren Investition sich in drei bis vier Jahren rentieren soll, dann nicht schon millionenfach im Einsatz ist, wo doch die Natur der Brennstoff ist? Immerhin ist auf der Webseite zu erfahren, dass RePG damit schon seit 2020 am Markt ist. Aber vielleicht ist es ja auch nur ein Wunder – und die brauchen bekanntlich etwas länger, um zu wirken. Aber nein, ein Perpetuum Mobile ist es bestimmt nicht. Jedenfalls hatte Salih Emre Bağgül dieses Wort noch nie gehört, als er danach gefragt wurde.
Laufend Energie erzeugen – gesund, aber auch gefährlich
„Science Shoes – Schuhe mit Wissenschaft!“ Sie sehen etwas klobig aus, die Sohlen der Schuhe des koreanischen Herstellers ShoeallS Co. Ltd.
Doch die dicken Sohlen haben im wahrsten Sinne etwas in sich: eine „Vibrationsenergieerzeugung“ nämlich. Beim Auftreten wandeln eingebaute Neodym-Magnete das Erdmagnetfeld in Wellen um, so der Hersteller. Die Wellen wiederum haben durchblutungsstärkende Wirkung auf den ganzen Körper, was Hand- und Fuß-Aufnahmen von Wärmebildkameras beweisen (sollen). Und deshalb soll das Tragen dieser Schuhe „bei Hüft-, Knie-, Bein- und Fußschmerzen helfen“, heißt es von der Firma.
Auch eine weitere Schuhversion der Koreaner soll offiziell „der persönlichen Gesundheitsvorsorge“ dienen, wirkt aber eher wie ein Produkt, das dem Orwellschen Totalüberwachungsroman 1984 entliehen ist. Denn hier erzeugt ein Vibrationsmodul mit jedem Schritt Strom, der – in einer Kondensator-Lithium-Batterie gespeichert – einen „Energiesender“ versorgt. Und dieser Sender wiederum kann „GPS-Funktionen nutzen“, also zum Beispiel jederzeit den Aufenthaltsort, aber genauso „Kalorienverbrauch, Schrittzahl und Daten für die persönliche Gesundheitsversorgung“ sammeln „und an den Betreuer schicken“. Die Patente dafür wurden bereits erteilt. Wie gesagt: 1984 lässt grüßen. Ob Überwachungsstaaten bereits Aufträge an ShoeallS erteilt haben, war nicht zu erfahren. Firmen-Chairman Lee Cheonggn kann ohnehin in der Erfindung nur Positives erkennen.
Und was gab es sonst noch Energiereiches auf der IENA? Den „Windrotor mit selbstbewegter Strömungsoptimierung“ von Gerd Heinlein aus Rödental in Oberfranken zum Beispiel. Der hat es sogar in die Neuheitenschau der Messe geschafft. Und die Innovation ist der Idee nicht abzusprechen: An den Spitzen der Rotoren ist die absorbierte Windenergie am größten. Deshalb lässt Heinlein gleich den Rest des Rotors weg, verbaut stattdessen in den Flügelspitzen stabile Aluminiumblätter statt schwer zu recycelndem Kunststoff und hofft auf die Übernahme seiner Erfindung durch große Windkrafthersteller.
Natürlich (?) war auch hier das allgegenwärtige Hype-Thema Wasserstoff präsent. Wenn auch „nur“ als Vortrag: „Neue Aufgaben für Erfinder im Rahmen der Wasserstoffwirtschaft“ hat Eberhard Kübel entdeckt, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Tepac, in Langversion „Technologie & Patent-Consulting“, ebenfalls aus Rödental. Dass es für H2-Erfindungen öffentliche Fördermittel gibt, braucht wohl garnicht erwähnt zu werden. Aber ob H2 ohne mehr echte Erneuerbare Energieerzeugung den Durchbruch schafft?