23.09.2022
Lastenräder – die Lösung für die letzte Meile
Ein Bericht von Götz Warnke
Diese Woche hat in München die Messe IAA Nutzfahrzeuge begonnen, die im besten Denglisch seit neuestem „IAA Transportation“ heißt. Im Gegensatz zu anderen Automessen, die entweder abgesagt werden mussten (Genfer Salon 2023) oder zumindest unter Ausstellerschwund leiden, hat sich die IAA Transportation recht gut gehalten. Das liegt sicherlich daran, dass hier auf einer Fachmesse der praktische sowie finanzielle Nutzen im Vordergrund steht, und nicht so sehr emotionale Komponenten wie bei anderen, vorwiegend aufs Nicht-Fachpublikum zielenden Automessen. Ein weiterer wichtiger Grund dürfte sein, dass die Nutzfahrzeug-Messe sich über die klassischen Themen wie Busse, LKWs und Transporter hinaus entwickelt hat: Es gibt nun einen eigenen Bereich zur Lieferung auf der „letzten Meile“, und einen „Cargobike Parcours“, auf dem Besucher die unterschiedlichen Produkte unter bestimmten Einsatzbedingungen testen können.
Dass es Cargobikes/Lastenräder als Schwerpunkt auf eine Kraftfahrzeugmesse geschafft haben, und damit nicht mehr nur auf klassischen Fahrradmessen wie der „Eurobike“ zu finden sind, liegt an der erstaunlichen Karriere dieses Transportmittels in den letzten zehn bis 15 Jahren. Denn Lastenräder an sich sind als Technik gar nicht neu: Schon vor dem 1. Weltkrieg gab es dreirädrige Lastenräder; im 1. Weltkrieg wurden dann z.B. zwei Fahrräder seitlich fest mit einander verbunden, um zwischen ihnen eine Krankentrage für Verwundete montieren zu können.
In den 1920ern und 1930ern setzte sich die Nutzung von Lastenrädern fort, insbesondere bei der Post, aber beispielsweise auch bei vielen Bäckereien. Erst der 2. Weltkrieg, seine Motorisierung und die Fahrschulung entsprechend vieler Menschen stellte einen Bruch für die Lastenfahrrad-Nutzung dar; die Nachkriegsmotorisierung ließ die Lastenräder dann endgültig aus der europäischen Öffentlichkeit verschwinden, während sie in anderen Teilen der Welt z.B. als Fahrrad-Rikschas überlebten. In den klassischen Fahrradländern wie Dänemark und den Niederlanden lebte das Lastenrad in den 1980er Jahren in der Folge der Energiekrise und des wachsenden Umweltbewusstseins zwar wieder auf, aber es blieb ein Randphänomen.
Die Wende kommt erst um 2010, und zwar mit E-Motor und Akku: 2009 bringt der niederländische Hersteller Babboe sein dreirädriges Babboe Big-Elektro mit elektrischer Tretunterstützung auf den Markt. 2010 startet die ebenfalls niederländische Firma Urban Arrow, indem sie ihr Long John E-Cargobike herausbringt. Und 2011 erhält die Schweizer Firma Flyer mit ihrem neuen „Flyer Cargo“, das aussieht wie ein rahmenverstärktes Fahrrad mit Front- und Heck-Gepäckträger, sogar den Eurobike-Award. Rund 20 Jahre, nachdem der E-Motor bei Fahrrädern eingeführt wurde, verhilft er also auch dem Lastenrad zum Durchbruch.
Jetzt kann das E-Lastenrad seine Vorteile ausspielen.
Die da sind:
- Anfahren gegen eine Steigung – auch mit Lasten, die schwerer wiegen als zwei Packtaschen.
- Relativ ermüdungsfreies Fahren über längere Strecken – auch bergauf.
- Bremsen schonendes Fahren bergab durch Rekuperation.
- Die Transportmöglichkeit großer Lasten ist deutlich höher als beim Fahrrad.
- Deutlich geringere Transportkosten als beim Kurierauto (Treibstoff, Wartung, Versicherung, Steuer).
- Lieferung der Lasten direkt vor die Tür auch an Fußwegen, autofreien Zonen etc.
- Hohe Liefergeschwindigkeit auch in staugeplagten Städten durch Nutzung von Fahrrad- und Parkwegen.
- Keine Abgasemissionen.
- Energiesparsam durch günstiges Gewichtsverhältnis Fahrzeug zu Ladung/Fahrer.
- … und viele andere mehr.
Seit 2010 haben nicht nur Akkus und E-Motoren technisch Fortschritte gemacht, sondern im E-Lastenrad-Segment hat sich auch eine große Typenvielfalt für die unterschiedlichsten Nutzungsbedürfnisse etabliert: Die zwei- und dreirädrigen Fahrzeuge gibt es unter anderem mit offener Ladefläche, offenem Warenkorb, nach oben offener Sitzbox für Kinder, oder einer geschlossenen/abschließbaren Warenbox. Zudem finden sich zweirädrige „Longtails“ mit überlangem Gepäckträger – z.B. für zwei Kindersitze, sowie meist dreirädrige Lieferfahrzeuge in Delta-Konfiguration (ein Rad vorn, zwei hinten) mit stromlinienverkleidetem, wettergeschütztem Fahrersitz vorn und großem Laderaum hinten. Neben den aus der E-Bike-Szene kommenden Techniken wie Carbonrahmen, Sicherheitsschlössern etc. gibt es trotz der vorhandenen Typenvielfalt immer noch Innovationen wie das Streek Cargo Trike des japanischen Herstellers Envision Incorporated, das einen Ladungstransport auf zwei Ebenen ermöglicht.
Fazit
Das Lastenrad als ein wichtiger Teil der Transportkette wird auch künftig an Marktanteilen gewinnen, weil es viele überzeugende Vorteile bietet und insbesondere in Großstädten den Warentransport beschleunigt. Allerdings sind Lastenräder, gerade auch für den gelegentlichen privaten Transport, nicht wirklich billig. Wer hier die Kosten scheut und nur hin und wieder etwas Schwereres zu transportieren hat, ist vielleicht mit einem Pedelec und einem stabilen Anhänger besser bedient.