23.09.2022
Wasserstoff: Echt die eierlegende Wollmilchsau?
Eine kritische Situationsbeschreibung von Heinz Wraneschitz
„Ach was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
sich zum Guten zu bekehren,
oftmals noch darüber lachten
und sich heimlich lustig machten.“
(Wilhelm Busch)
Nein! Ich will „bekennende Wasserstofffans“ natürlich nicht mit Wilhelm Buschs zitierten „bösen Kindern“ vergleichen. Aber von „weisen Lehren sich zum Guten bekehren“ lassen sie sich auch nicht. Doch der Reihe nach.
Am Mittwoch und Donnerstag fand am Nürnberger Messegelände die dritte Auflage des Hydrogen Dialogue (HD) statt, zum ersten Male in Präsenz. Dort konnte man zum Beispiel „Wasserstoff-Mobilität hautnah erleben“ und „mit dem Wasserstoffbus von ARTHUR ganz bequem vom Parkdeck Süd zum Eingang Mitte gelangen“.
Damit aber verzichteten die Besucher des Events mit Delegationen aus der ganzen Welt nach dem selbst gewählten Motto „Aus der Wasserstoffgemeinschaft – für die Wasserstoffgemeinschaft“ unter anderem darauf, einen Elektrobus des örtlichen Verkehrsunternehmens VAG zu benutzen: Die VAG nämlich ist dabei, bis 2030 90 Prozent ihrer Busflotte zu verstromern. Und einen Vergleich mit dem ARTHUR wäre das sicherlich wert gewesen.
Denn einerseits: Mit Brennstoffzellen-Bussen und Wasserstoff (H2) als Antriebsenergie dürfte das wohl – mangels Masse – nicht so schnell gehen. Und andererseits ist die Effektivität des Antriebs mit Elektrizität mehrfach besser. Doch damit beschäftigte sich der HD – natürlich? – nicht. Dabei täte der Entwicklung immer ein Blick über den Tellerrand gut. Zum Beispiel zum Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung IÖW. Dort läuft das Forschungsprojekt „Wasserstoff als Allheilmittel?“ Und in seinem brandaktuellen Bericht „Das Wasserstoffdilemma: Verfügbarkeit, Bedarfe und Mythen“ die Politik hat das IÖW klargestellt: „Wasserstoff wird für Pkw, Busse und für den Lieferverkehr als nicht sinnvoll erachtet.“
Doch beim HD waren wie gesagt „bekennende Wasserstofffans“ unter sich. Einer von denen ist – so Moderator Jürgen Pfeiffer - Nürnbergs Messechef Roland Fleck. Fleck zog zwar aus dem Putinschen Angriffskrieg auf die Ukraine den nachvollziehbaren Schluss: „Bezahlbare Energie ist die Basis für Frieden und Europa. Und wie man sieht: Ein Energiemonopol in den Händen eines Diktators kann zur Waffe werden.“ Warum deshalb aber „H2 nochmals an Bedeutung gewonnen“ haben soll, brachte er vor allem mit der Resonanz von Minister:innen, Staatssekretär:innen, Diplomat:innen und mehr auf die Veranstaltung in Verbindung. Denn die strömten zahlreich herbei aus Kolumbien, England, Australien, Chile, Holland, Ungarn … oder sollen, offiziell jedenfalls, weltweit vor den Bildschirmen gesessen haben.
Gut: Diktatoren aus Oman, VAE und sonstwoher waren nicht in Nürnberg dabei. Doch natürlich ist allen voran Bayerns Energie- und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger herbeigeströmt. Daran, dass er 2019 „Fakten mit einer H2-Kooperation mit Russland geschaffen“ hat, erinnert er sich womöglich gar nicht mehr. Dennoch erklärt er in seiner Rede auf dem HD: Wenn andere in der Politik schon damals wie er „den Mut gehabt hätten, das naheliegende Thema H2 anzugehen, wäre es heute rentabel“. Denn: „Die Wasserstoffwelt vernetzt sich zusehends.“ So wie Bayern schon 2019 das hiesige Landes-H2-Bündnis ins Leben gerufen habe. Auf jeden Fall sei „Wasserstoff die Lösung der Energiekrise für Gegenwart und Zukunft“.
Doch dann erzählt der Freie-Wähler-Chef, was er sich unter Lösung hauptsächlich vorzustellen scheint: „Flächendeckende H2-Erzeugung aus regionalen Erneuerbaren Energien (EE) durch Elektrolyseure in jedem Landkreis.“ Wie das zig Terawattstunden für die Industrie bereitstellen kann, sagte er nicht. Die wenigen Windmühlen, die seit der freistaatlichen 10H-Windkraft-Verhinderung neu gebaut wurden, reichen dafür jedenfalls nicht.
Aber mit einem einzigen, dem vom Bund massiv finanziell unterstützten „strategischen Projekt in Pfeffenhausen“ will Aiwanger „im Bereich der Mobilität vieles nach vorne bringen, allen Kritikern und Unkenrufen zum Trotz.“ Doch ein echter Blick nach vorne ist es nicht, wenn er erklärt: Es sei „Fakt: für ein Brennstoffzellenauto braucht man nur 10 Prozent der Rohstoffe eines batterieelektrischen Autos für die Batterie. Es wird bei einer Massenproduktion sehr schnell an der Rohstoffgrenze stoßen. Da ist bei einer Brennstoffzelle viel mehr Luft nach oben.“ Wahrscheinlich hat er die 2019 ins Leben gerufene Batterie-Allianz Bayerns mit Baden-Württemberg genauso vergessen wie seine eigene Wasserstoff-Koop mit Russland.
Jedenfalls ist für Hubert Aiwanger „H2 die Eierlegende Wollmilchsau, die alle Themen zugleich bedienen kann: Mobilität, weniger Abhängigkeit, technologische Führerschaft, neue Arbeitsplätze.“ Der Minister träumt also vom möglichen Technologieexport der mehrhundert bayerischen Technikfirmen in alle Welt, die H2-Systeme und Komponenten entwickeln; dazu gebe es viele Kooperationsideen. Doch dann spricht zum Beispiel Dominique Deschênes, die „Associate Deputy Minister“ (so etwas wie Stellvertretende Ministerin) des kanadischen Bundesstaats Quebec. Von ihr ist zu hören: Auch von dort soll bevorzugt Technologie und Expertise exportiert werden, nicht aber H2. Mit 1,6 Mrd. Landes-Dollars will Quebec bis 2016 die eigene Entwicklung unterstützen.
Maria Fernanda Valdés, Kolumbiens Staatssekretärin für Industrieförderung, bremst ebenfalls den bayerisch-deutschen Glauben ein, dass ihr Land die Bundesrepublik bevorzugt mit H2 versorgen werde. „Wir können ab 2030 1kg H2 für 1,70 Dollar liefern“, davon ist sie überzeugt. Auch wenn es „zurzeit nur Studien“ dafür gebe. Und wenn es tatsächlich soweit ist? „Dafür haben wir keine Liste, aber Deutschland ist eine unserer möglichen Partner und Kunden.“ Jedoch stellt sie klar: „Investoren müssen die örtlichen Bedingungen anerkennen und die Menschen dort mitnehmen.“
Doch zurzeit bekommt man immer mehr das Gefühl: Deutschlands und Europas Wirtschaft hat eher das Gegenteil im Blick, eine Art Grünen Energiekolonialismus, überall in der Welt. „Die Sahara wird in der Regel als ein riesiges, leeres, dünn besiedeltes Stück Land beschrieben, das ein Eldorado für erneuerbare Energien darstellt und somit eine goldene Gelegenheit bietet, Europa mit Energie zu versorgen, damit es seinen extravaganten Konsumstil und verschwenderischen Energieverbrauch fortsetzen kann“, schreibt Hamza Hamouchene. Sprich: Wir holen uns weiterhin die Energie, die wir verschwenden wollen von irgendwoher. Nur soll das künftig H2 sein, statt wie bisher Öl, Gas, Kohle, Uran.
Passend dazu geht fast zeitgleich auf der 73. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. der Münchner Diplom-Psychologe Volker Münch der Frage nach: „Was hat die Klimakrise mit unverarbeiteter Schuld, Scham und Trauer zu tun?“ und beantwortet sie selbst so: „Wir müssen lernen zu erkennen, was wir angerichtet haben und möglicherweise noch anrichten werden.“
Von „erkennen, was wir angerichtet haben und möglicherweise noch anrichten werden“ war jedoch nach meiner Wahrnehmung auf dem „Hydrogen Dialogue 2022“ wenig zu spüren. Bleiben wir Bayern, Deutschen, Europäer also etwa doch (angelehnt an Wilhelm Busch) „böse Kinder die, anstatt durch weise Lehren sich zum Guten zu bekehren, oftmals nur darüber lachen und uns heimlich lustig machen“?