08.07.2022
Keine Ablehnung: Atomstrom in der EU als „nachhaltig“ eingestuft
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Das letzte Kapitel im Krimi „Erhalten AKWs und Gaskraftwerke ein Öko-Siegel?“ ist vorbei. Drei Wochen nach dem Umwelt- und Wirtschaftsausschuss, waren nun alle Europaabgeordneten gefragt. Sie stimmten am Mittwoch über einen Antrag ab, der die Einstufung von Atomenergie und Erdgas als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten innerhalb der EU Taxonomie ablehnt.
Was zuvor geschah
Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investitionen, eine Art „grünes EU-Label“. Im Dezember 2019 einigten sich die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments und der Europäische Rat über neue Kriterien für die Definition von nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten (die DGS-News berichteten). Demnach ist eine Investition ökologisch nachhaltig „wenn sie einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines festgelegten Umweltziels beiträgt“ und ohne die Gefahr, einen „signifikanten Schaden" zu verursachen (Grundsatz: "Do No Significant Harm“). Am 22. Juni 2020 wurde die Verordnung der EU-Taxonomie im Amtsblatt der EU veröffentlicht und am 12. Juli 2020 trat sie in Kraft. Im selben Jahr leitete die Europäische Kommission einen Prozess ein, "um zu bewerten, ob die Atomenergie in die EU-Taxonomie umweltverträglicher Aktivitäten einbezogen werden soll oder nicht". Seitdem hat die Kommission die Details der Kriterien mittels delegierter Rechtsakte geändert und somit eine neue Taxonomie entworfen. Der Wirtschafts- und Umweltausschuss des EU-Parlaments stimmte am 14. Juni 2022 parteiübergreifend und mit deutlicher Mehrheit gegen den neuen Taxonomieentwurf der Europäischen Kommission, nun stand die Entscheidung im Plenum an. Das ist der Prozess, der nun zu Ende ist.
„And the winner is..“
Konkret ging es am Mittwoch um den „Entschließungsantrag zu der Delegierten Verordnung der Kommission vom 9. März 2022 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in bestimmten Energiesektoren und der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2178 in Bezug auf besondere Offenlegungspflichten für diese Wirtschaftstätigkeiten“ (B9-0338/2022). Um den delegierten Rechtsakt mit einer qualifizierten Mehrheit im Plenum zu befürworten, und damit den Vorschlag der Kommission, Atomkraft und Erdgas als nachhaltig zu klassifizieren, abzulehnen, waren mindestens 353 Stimmen nötig. Schließlich waren es 278 Stimmen. Gegen eine Ablehnung stimmten 328 Abgeordnete, 33 enthielten sich.
Die Position der Bundesregierung
Anfang des Jahres reichte die Bundesregierung die gemeinsame Stellungnahme zum ergänzenden delegierten Rechtsakt bei der EU-Kommission ein. Eine Aufnahme von Atomenergie in den delegierten Rechtsakt lehnt sie nachdrücklich ab (die DGS-News berichteten). Argumente, die hier genannt wurden, sind unter anderen: der Entwurf setze sich nicht mit Stör- und Unfällen bei der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle auseinander, die Endlagerfrage ist nicht gelöst, das Problem des Atommülls verlängert sich je länger Atomkraftwerke laufen. Zudem sei es „für die Bundesregierung nicht ersichtlich, wie ein Atomkraftwerk, das nach 2035 errichtet wird, angesichts der üblichen Bau- und Genehmigungszeiten zur Erreichung der 2050-EU-Klimaziele beitragen kann“. Allerdings: Medienberichten zufolge, erwarte die Bundesregierung nicht, „dass das deutsche Votum die Taxonomie aufhält“, hieß es im Mai. Und im Gegensatz zu Österreich, wolle sie keine Klage erheben. Österreich und Luxemburg haben angekündigt, eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof einzubringen.
Die Frist für eine Ablehnung endet am Montag
Ergänzend sei an dieser Stelle erwähnt, dass der EU-Rat das Recht hat, den ergänzenden delegierten Rechtsakt abzulehnen. Eine solche qualifizierte Mehrheit ist bei einer Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedstaaten erreicht (entsprechend mindestens 72 % der Mitgliedstaaten), die zudem mindestens 65 % der Bevölkerung der EU vertreten. Sollte der Rat den Rechtsakt bis zum 11. Juli 2022 nicht ablehnen, dann wird der Taxonomie-Delegationsakt am 1. Januar 2023 in Kraft treten, wie das Europäische Parlament auf seiner Website mitteilt.