10.06.2022
Mehr Stromverbrauch dank PV-Anlage?
Eine Analyse von Jörg Sutter
Ja, es hat sich verändert in den vergangenen Jahren. Während eine Begleituntersuchung des 1.000-Dächer-Programmes Ende der 1990 Jahre festgestellt hat, dass PV-Betreiber, damals mit reinen Volleinspeise-PV-Anlagen, in den Jahren nach Anschaffung der PV-Anlagen deutlich sparsamer beim Stromverbrauch wurden, ist das heute gegenteilig.
So beschreibt es die Zusammenfassung des Forschungsprojektes „EE-Rebound“, das von IÖW, RWTH Aachen und dem Fraunhofer ISI aus Karlsruhe bearbeitet wurde. Die Ergebnisse wurden aktuell veröffentlicht. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, den „Rebound-Effekt“ beim Einsatz von Erneuerbaren Energien zu untersuchen. Rebound bedeutet in dem Fall, dass der Einsatz von Erneuerbaren Energien (hier PV-Strom) einen konkreten gegenläufigen Trend (hier höherer Stromverbrauch im Haushalt) ebenfalls begünstigt. Diesen Effekt gibt es in ganz vielen Bereichen und er wird oft untersucht, vor allem mit der Fragestellung, ob er der Ursprungswirkung nicht sogar überwiegt. In unserem Fall mahnen die Forscher, dass der Effekt sowohl zu finanziell höheren Kosten der Haushalte als auch zu einer Verlangsamung der Energiewende führen, denn mit steigendem Stromverbrauch werden auch mehr Anlagen benötigt.
Der Projekt-Endbericht ist hier zu finden, eine Zusammenfassung können Sie hier herunterladen.
Doch wie groß ist dieser Effekt?
Gemäß „EE-Rebound“ kann dieser Effekt recht groß sein, insbesondere bei PV-Anlagen, die nach 2011, also wesentlich mit Eigenversorgung, installiert wurden trat ein mittlerer Mehrverbrauch von rund 18 Prozent gegenüber Vergleichshaushalten auf. Und nicht nur bei der eigenen PV-Anlage konnte dieser Effekt nachgewiesen werden, sondern auch bei der Wärme: Wer mit Erneuerbaren Energien heizt, plant seltener energetische Sanierungen. Auch beim Wechsel von Graustrom zu Grünstrom steigt der Stromverbrauch nachweislich an.
Und woher kommt das?
Interviews mit Prosumerhaushalten haben gezeigt, dass eine Mischung aus finanziellen und psychologischen Faktoren hier eine Rolle spielt. Gerade das Gefühl, dass der selbst erzeugte Strom sehr geringe Kosten hat und das Gefühl, schon viel für die Umwelt getan zu haben, führt zu einem laxeren Umgang mit Energie und einem steigenden Verbrauch.
Bei der Untersuchung hat sich auch gezeigt, dass Haushalte mit PV-Anlagen vor 2011 sich anders verhalten als Haushalte mit PV-Anlagen, die später mit Eigenversorgungsregelung errichtet wurden. Automatisch wird bei dieser Konstellation ein Augenmerk auf die Optimierung der Eigenversorgung gelegt. Auch zusätzliche Großverbraucher wie Wärmepumpe, Sauna, E-Auto, wurden betrachtet und es wurde ein erhöhter Stromverbrauch ermittelt, der größtenteils nicht als Eigenverbrauch aus der eigenen PV-Anlage gedeckt werden kann, z.B. weil beim E-Auto ein Pendlerfahrzeug angesetzt wurde, das erst abends geladen wird.
Eine seltsame Argumentation der Forscher: Sie werfen vielen Prosumern vor, dass ihnen nicht bewusst sei, dass der eingespeiste Strom wichtig für die Energiewende ist – für andere Konsumenten. Doch da auch eine Investition in eine PV-Anlage zumindest zum Teil aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffen wird, ist das aus meiner Sicht den Prosumern definitiv nicht vorzuwerfen. Warum soll ich mir für teures Geld eine PV anschaffen, um dann mit einem eigenen finanziellen Verlust der Strom für andere bereitzustellen, die nicht bereit sind, bei der Energiewende mitzumachen? Nur aus Verantwortung zur Energiewende wird das niemand tun*, im Übrigen auch nicht die Stromversorger, die ja seit Jahrzehnten für unsere sichere Versorgung zuständig sind und viel zu spät – später als viele Hausbesitzer - in die Erneuerbaren Energien ein- und umgestiegen sind. So kann ein Anreizsystem nicht funktionieren und tut es auch in der Praxis nicht. Drum wird real weiter fleißig der Eigenverbrauch von den Prosumern optimiert.
Empfehlungen der Forscher und Bewertung:
1. Effizienz und Suffizienz sollen bei der Energiewende stärker als bisher mitgedacht werden, konkret in der Beratung oder mit Apps zur Analyse des eigenen Verbrauchs. Bewertung: Nahezu jeder Prosumer hat der App des PV-Wechselrichters oder des Stromspeichers die Möglichkeit, seinen Verbrauch einzusehen und zu überwachen. Beim Thema Beratung bezweifle ich, dass die Anlagenbetreiber erreicht werden können, haben Sie doch, eventuell mit Zuhilfenahme von Energieberatern o.ä., eben erst ihre PV-Anlage umgesetzt.
2. Für Prosumer soll die Einspeisung von Strom attraktiver gemacht werden, sowohl für Privathaushalte als auch für Energiegemeinschaften. Bewertung: Das ist eine politische Entscheidung, die in den vergangenen Jahren gegenteilig getroffen wurde. Der Einspeisesatz für Strom, der vom Prosumer eingespeist wird, wird derzeit deutlich schlechter vergütet als der Marktwert und ist derzeit für Neuanlagen ein „Drauflegegeschäft“. Und für Energiegemeinschaften gib es bei uns derzeit schlicht noch keine gesetzliche Grundlage – eine Verhinderung des letzten Bundeswirtschaftsministers, der sich seit 2018 gegen die entsprechende Umsetzung der EU-Richtlinie gesperrt hat, die gerade solche Energiegemeinschaften explizit ermöglichen will.
3. Im Neubau fordern die Forscher, auch bei hohem EE-Einsatz trotzdem eine umfassende Reduktion des Verbrauchs zu fordern. Bewertung: Auch das ist politisch in der Vergangenheit anders behandelt worden: Viele Hausbauer konnten sich entscheiden zwischen hohem Energiesparstandard und einem Einsatz von Erneuerbaren Energien. Und stellt sich vor allem im Moment die Frage, ob bei der derzeit so geringen Sanierungsquote und steigenden Baukosten mit noch weiter zusätzlich verschärften Anforderungen nicht mehr Ärger geschaffen wird als energetischer Nutzen. Mit einer deutlichen Verschärfung der Anforderungen ist daher aus meiner Sicht in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.
*Anmerkung der Redaktion: Doch, so etwas gab und gibt es vielfach. Und ja, Prosumer sollten nicht nur wirtschaftlich denken und handeln. Das ist bei Erneuerbaren Energien nicht anders als bei Ernährung, Konsum und in der Freizeitgestaltung. Suffizienz lässt sich jedoch nicht anordnen, Genügsamkeit ebenso wenig.