10.06.2022
Wann werden die Deutschen endlich die Klimakatastrophe ernstnehmen?
Ein Wutrede von Heinz Wraneschitz
Es ist eine Katastrophe. Ja, klar, die Aufheizung der Erdatmosphäre, was sonst – denke ich. Aber auf meiner Wellenlänge sind nicht sehr viele Mitmenschen. Deshalb ist das hier für mich noch eine genauso große Katastrophe: Deutschland hat mehr Angst vor der Inflation als vor dem Klimawandel. Die aktuelle Weltkriegsgefahr wegen des verrückten Kremlings liegt auch noch vor der realen Klimakrise; das hat der aktuelle „Deutschlandtrend“ der ARD herausgefunden.
Sind wir wirklich ein Volk der Undichten und Wirrdenker? Wozu machen sich Wissenschaftlerinnen wie Linda van Garderen vom Helmholtz-Zentrum Hereon überhaupt die Mühe, eine Forschungsmethode auf die Beine zu stellen, „mit der es erstmals möglich ist, den Einfluss des Klimawandels auf ein bestimmtes Extremwetterereignis zu bestimmen“?
Van Garderen hat brandaktuell nachgewiesen, „dass der Klimawandel eine ohnehin schwere Dürre in Südamerika noch verstärkte und außerdem zu einem Temperaturanstieg von bis zu vier Grad während einer der stärksten Hitzewellen in Europa führte“. Doch das ist der Mehrheit meiner Mitmenschen in diesem unserem Lande offenbar scheißegal.
„Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, hat Bertold Brecht in seine Dreigroschenoper geschrieben. Doch das stimmt heute nicht mehr: Der Benzinpreis ist viel wichtiger als die Soziale (Un-)Gerechtigkeit. Noch dahinter rangiert übrigens die Energiepolitik. Auch wenn sich deren Wichtigkeit in den Augen der Deutschlandtrend-Befragten verdreifacht hat im Juni gegenüber dem Septembertrend 2021.
Wasserstoff ist überall – und nirgends
Dabei haben selbst Konzerne wie Siemens inzwischen begriffen: „Eine drastische Steigerung der Energieerzeugung durch Erneuerbare Energien ist notwendig, um Energiesicherheit und Klimaziele zu erreichen.“ Um das Ziel – nennen wir es einfach mal 1,5 Grad, weil wir schon bei dieser Temperatursteigerung angekommen sind - zu erreichen, fordert die Siemens-Gamesa-Konzernleitung „die Steigerung des Volumens der in Europa erzeugten Erneuerbaren Energien“. So ist es hier lang und breit und ausführlich und begründet nachzulesen – wenn auch auf Englisch. Und auch wenn der Konzern damit seine erhofften Wind-Wasserstoff-Geschäfte anschieben will.
Aber was tut stattdessen unser Grüner Wirtschafts-Klima-Energie-und-so-weiter-Minister Robert Habeck? Er fliegt rund um die Welt, um bei irgendwelchen Despoten, die zufällig nicht den Namen jenes kriegsgeilen Kremlings haben, Erdgaslieferungen zu ergattern. Sch…egal ob umweltschädlich gefrackt oder nicht. Fossil ist es obendrein und ohnehin.
Oder es werden Firmen mit Geld zugesch…üttet, so lange diese „Produktionsstätten von grünem Wasserstoff und seinen grünen Derivaten entwickelt und betreibet, und diesen an internationale Kunden vertreibt und transportiert“. Selbst Mini-Startups sind hier gleich unter den Global Playern des Geldabschöpfens: „Um Synergien zu heben und die Marktaktivierung zu forcieren, schließt sich das Unternehmen (dessen Namen ich hier schamhaft verschweige) nun der von der Bundesregierung mit knapp einer Milliarde geförderten Initiative von H2Global, die über ein Doppelauktionsmodell einen bereits funktionierenden Markt simulieren will.“
Auf die Frage, wo dieser „bereits funktionierende Markt“ sein soll, weiß eigentlich niemand auf der Welt eine ehrliche Antwort. So wie schon in den 1980ern der Daimler-Dasa-Konzern vom „Wasserstoffflugzeug, das in fünf Jahren fliegt“ fabulierte. Das hört man heute kaum anders, obwohl 35 Jahre vergangen sind. Aufschieben nach St. Nimmerlein ist das, nichts anderes!
Die Klimakrise ist jetzt!
Wann endlich wird die Klimakrise als DIE brandheiße demokratische Herausforderung für uns alle – für Deutschland, für Europa, für die Welt - verstanden? Die Wissenschaftsakademie Leopoldina hat das Thema jedenfalls für den 13. Juni ab 17 Uhr auf ihre aktuelle Tagesordnung gesetzt. Endlich, ergänze ich hier ausdrücklich. Und gottseidank online, damit jede:r miterleben kann, was beim Klima Sache ist.
Aber dass sich Robert Habeck, Olaf Scholz, Friedrich Merz, Volker Wissing, Markus Söder oder wie all die politisch Ablenkenden dieser Tage heißen mögen sich über diesen Link bei den Wissenschaftler:innen kühlen Rat gegen die immer heißer werdende Erde holen werden? Daran habe ich meinen Glauben schon lange verloren. Sie versuchen lieber, den Undichten und Wirrdenkern Liebkind zu sein, denen die Zukunft der Menschheit am Hintern vorbeigeht. „Die Erde braucht die Menschheit nicht, aber die Menschheit braucht die Erde“, hat ein Pulitzer-Preisträger einst völlig zurecht geschrieben. Aber Journalisten sind ja „Lügenpresse“.
Anmerkung der Redaktion:
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