25.02.2022
Der Sieg der Geiz-ist-Geil-Gesellschaft?
Kommentar von Heinz Wraneschitz
Zahlreiche Stadtwerke und Regionalversorger haben in den letzten Monaten die Stromtarife in der Grundversorgung massiv erhöht, ganz besonders für Neukund:innen. Gegen diese Aufsplittung in Neu- und Bestandskundentarife geht zum Beispiel der Ökostromanbieter Lichtblick gerichtlich vor. Nun hat das Landgericht Frankfurt/Main per Aufsehen erregender Einstweiliger Verfügung dem hessischen Kommunalkonzern Mainova diese Tarifsplittung untersagt.
Sprich: Mainova muss nach Gerichtsmeinung Neu- und Bestandskunden zum gleichen Grundversorgungstarif mit Strom beliefern. Das klingt zumindest auf den ersten Blick einleuchtend – und Lichtblick feiert die Entscheidung als seinen persönlichen Sieg.
Der ist es aber nur, wenn man nicht genauer hinsieht. Tatsächlich ist es kein Erfolg für dem Ökostromanbieter, sondern für die immer weiter um sich greifende „Geiz-ist-Geil“-Mentalität in diesem unserem Lande. Denn wer sind diese Neukund:innen in der Grundversorgung tatsächlich? Es sind jene Menschen, die in den letzten Jahren ihre Elektrizität bei wie Pilze aus dem Boden schießenden Billigststromanbietern gekauft haben. Die Energie haben solche Firmen oft an der Strombörse gekauft, wenn er am Billigsten war. Langfristbezugsverträge? Fehlanzeige. Zudem wurden diese Angebote oft von werbefinanzierten Web-Preisvergleichsportalen hochgelobt und dadurch leicht gefunden.
Doch seit Monaten steigen die Einkaufspreise massiv – vor allem der Spitzenstrom wird immer teurer. Billigstanbieter geben deshalb entweder von sich aus auf und kündigen die Kundenverträge – oder sie sterben wie geklatschte Fliegen den schnellen Insolvenztot. Genau dann müssen die örtlichen Grundversorger einspringen und von jetzt auf gleich die Belieferung übernehmen.
Aber wer sind die Grundversorger? Oft sind es kleine Stadt- oder Gemeindewerke, die langfristige Lieferverträge abgeschlossen haben über jene Strommengen, die ihre ebenfalls langfristig treuen Kund:innen normalerweise bezogen haben. Und das zu oft langfristig vereinbarten Tarifen.
Mit ihren Gewinnen finanzieren Kommunalunternehmen zum Beispiel Öffentlichen Nahverkehr oder Hallenbäder „quer“. Was bedeutet: Die Langfristkund:innen setzen sich für die kommunale Infrastruktur ein, indem sie solidarisch den einen oder anderen Cent pro Kilowattstunde mehr an den Ortsversorger bezahlen. Doch wenn der nun massiv mehr Strom benötigt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als diesen teuer über die Börse nachzuordern. Was entweder die gesamte Kundschaft – auch die treue – bezahlen muss. Oder eben, wie von Mainova und anderen praktiziert, diejenigen finanzieren sollen, die das Dilemma verursacht haben, indem sie unsolidarisch bei Billigstanbietern kaufen wollten.
Nun aber fordern genau die Geiz-ist-Geilen Solidarität ein. Und Lichtblick stellt sich auf deren Seite. Deshalb ist die Frankfurter Einstweilige Verfügung eine absolut schlimme. Hoffentlich setzt sich die Landgerichtsmeinung nicht auch anderswo durch, sondern Obergerichte kassieren diese Entscheidung. Denn die führt dazu, dass Solidarität in unserer Gesellschaft noch mehr an Wert verliert.