11.02.2022
Häppchenweise Klimakatastrophe: Von Hunger, Hitze und Klimapolitik
Ein über den Tag verteiltes Menüerlebnis von Heinz Wraneschitz
Häppchen bei Stehempfängen finden die meisten von uns gut. Aber sind in Häppchen kredenzte Katastrophenberichte besser zu verdauen, als wenn sie in einem Paket auf den Tisch geknallt würden? Der Weltklimarat IPCC jedenfalls will am 28. Februar den zweiten Teil seines Sechsten Sachstandsberichts (AR6) für den Zeitraum 2016-2022 vorlegen, der dritte folgt im April. Und für September ist die „Synthese“ der drei Gänge angekündigt, hoffentlich dann kein zerkochtes Menü.
Kaum jemand mehr kann sich an den Geschmack des ersten Teils von AR6 erinnern. Dabei hätte sich jede*r von uns seit August 2021 Zeit gehabt, sich diesen einverleiben zu können. Wobei wir hoffen, dass wenigstens die politisch Zuständigen von GroKo und Ampel – also der Großteil der im Bundestag Vertretenen – die von weltweit 270 Autor*innen zusammengetragene, heftige Schelte an ihrer Arbeit goutiert haben.
An diesem Mittwoch nun hat das Deutsche Klima-Konsortium (DKK), in dem viele IPCC-Autor*innen Mitglied sind, schonmal einen Vorgeschmack darauf gegeben, was uns alle beim zweiten Gang von AR6 Ende des Monats erwartet. Das „Klima-Frühstück“ - so der Titel der Veranstaltung - dürfte nicht jedem geschmeckt haben.
Sparsames Klima-Frühstück
„Es geht im Bericht um ganz Grundsätzliches: Die Möglichkeiten der Natur für unser Überleben zu sorgen, ändern sich mit dem Klimawandel enorm – Hunger nimmt zu, Wasser wird knapp.“ Deshalb sei neben der Senkung von Treibhausgasen beispielsweise „veränderter Lebensmittelkonsum und Wassersparsamkeit in der Landwirtschaft“ unumgänglich, erklärte Professor Josef Settele, Biodiversitätsexperte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Und: „Ein Weiter-So und ein bisschen Naturschutz reichen bei Weitem nicht aus. „Wir brauchen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, um für kommende Generationen eine lebenswerte Zukunft zu sichern.“
Professorin Daniela Jacob vom Climate Service Center Germany (GERICS) ergänzte am Klima-Frühstückstisch: „Der Klimawandel geschieht vor unserer Haustür und stellt insbesondere unsere Städte und Kommunen vor neue Herausforderungen.“
Schwer verdaulicher Mittagstisch
Ja, für die Klimazustände vor unserer Haustür sind wir selbst genauso wie die jeweilige Bundesregierung verantwortlich. Doch auch die EU-Kommission sowie andere Regierende weltweit gestalten ein Menü aus Vorschriften und Plänen, das für Mensch, Natur und Erde den menschgemachten Klimawandel besser erträglich machen soll. Gerade deshalb war es schwer verdaulich, was Klima-Allianz Deutschland, DNR und VENRO kurz nach dem DKK als vorgezogenes Mittagessen auftischten.
Durch die anstehende Umsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes, die angekündigten „Sofortprogramme“ der Ampel, das „Fit for 55“-Paket der EU, den G7-Gipfel und die IPCC-Berichte werde in diesem Jahr viel Dynamik in die Klimapolitik kommen, war schon in der Einladung zum „Pressebriefing“ zu lesen. Man werde also erfahren, „was 2022 auf Bundesebene, in der EU und auf internationaler Ebene auf uns zukommt“. Was dann aufgetischt wurde, war großteils schwer verdaulich. Denn Deutschland hechelt augenscheinlich so weit hinter den selbst- und fremdgesteckten Zielen hinterher, dass für das Aufholen eine kaum vorstellbare Energie notwendig ist, im wahrsten Wortsinn.
„Die Aussichtslage ist nicht rosig“, umschrieb Viviane Raddatz die katastrophale Klimalage sehr dezent. Doch dann nannte die Leiterin Energiepolitik des WWF Deutschland Fakten: „Das Emissionsziel für 2020 wird selbst 2021 verfehlt. Heuer werden die Sektorziele für Verkehr und Gebäude verfehlt. Und nach unserer Analyse des Koalitionsvertrags wird in keinem Sektor das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Verträge erreicht.“ Vor allem der Verkehr sei das Problem: Es brauche nicht nur fünf Mio. E-Autos bis 2030, „sondern viele weitere Maßnahmen“. Insbesondere sei der Individualverkehr zu reduzieren, der ÖPNV zu stärken.
Antje Mensen, beim DNR für EU-Klima- und Energiepolitik zuständig, benannte große Probleme beim Emissionshandel: „Es gibt immer noch mehr Zertifikate als reale Emissionen", wenn man kostenlose und kostenpflichtige Zertifikate zusammenzähle. Und auch der Entwurf der deutschen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EER), die auf die europäische „Fit for 55“-Zielsetzung folgt, bleibe „weit zurück: In Deutschland reden wir nur über den Strommix, die EU zielt auf Gesamtenergie ab.“ Dennoch sah sie es als „nicht absurd, sondern machbar“ an, die Ziele zu erreichen – aber nur, „wenn bei den beiden Bereichen Emissionen und EER stark nachgeschärft würde“.
Vera Künzel, Klimawandel- und Menschenrechts-Referentin von Germanwatch, forderte insbesondere „eine Klimabilanzierung. Die ist essentiell – die gibt es bislang aber international nicht. Und bei uns sind die finanziellen Mittel zur Erreichung Klimaziele in der Haushaltsplanung nicht drin. Die international zugesagten sechs Mrd. Euro sind also nicht gesichert“, kritisierte sie. Für Deutschland habe die „Ampel“ zwar ein Sofortprogramm Klimaschutz im Koalitionsvertrag verankert, aber das werde nach Meinung von Viviane Raddatz frühestens zum Jahresende gesetzlich wirksam. Nur für die verfehlten Ziele der Vorjahre müsse bereits im Juli das Kabinett Gegenmaßnahmen beschließen.
Ohnehin schien, dass die Einladenden des Pressebriefing die Hoffnung eher auf internationalen Klimaschutz-Austausch als denn auf wirksamen Klimaschutz in Deutschland haben. So erklärte Vera Künzel: „Es ist ja keine Entscheidung einer einzelnen Regierung – es geht um den globalen Beitrag, andere Länder zu unterstützen. Partnerschaften werden im Focus stehen.“ Deshalb muss aus ihrer Sicht die deutsche Präsidentschaft der „G7“-Wirtschaftsmächte dafür sorgen, „dass G7 kein exklusiver Club bleibt“ – weder bei Klima, noch bei Gesundheit und Digitalem. Deshalb legt sie große Hoffnungen in den EU-Afrika-Gipfel am 17. Und 18. Februar, „dem ersten seit 2017. Es geht um eine Partnerschaft auf Augenhöhe.“ Es müsse auch konkrete Vereinbarungen zum Ausstieg aus fossilen Energien geben „einschließlich der Abkehr vom Erdgas“.
Hierzu ergänzte Antje Mensen vom DNR: „Wir bekommen Signale dass die Taxonomie noch gestoppt werden kann. Das geht mit einfacher Mehrheit im EU-Parlament. Und wir setzen auf die Klagen dagegen aus Österreich und Luxemburg. Der Drop ist noch nicht gelutscht.“ Wie auch von uns ausführlich berichtet, hat die EU-Kommission zu Jahresbeginn Atomkraft und Erdgas zu „bedingt nachhaltigen Energiequellen“ erklärt.
Und laut Moderatorin Christiane Averbeck (DNR) ist gerade in Deutschland nicht alles schlecht bei der Klimapolitik: „Ich finde es toll, welche Dynamik sich da entfaltet hat. Klimaschutz ist in den Ministerien angekommen und wird ernst genommen. Sogar im Finanzministerium gibt es gute Ansätze. Auch im Verkehrsministerium (beide FDP-geführt, d.Red.) ist Bewegung. Ich habe eine positive Einschätzung für die Legislatur.“
Und was Feines zum Dessert…
Zur Hoffnung auf Veränderung zum Besseren passt, dass es zum Abschluss am Mittwochabend einen feinen Nachtisch gab: Deutschlands langjährige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan, eine „Berlinerin mit amerikanischem Pass“, wird Klimaschutzbeauftragte und nach ihrer Einbürgerung Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, also die für internationalen Klimaschutz Zuständige der Bundesregierung.
Dass die Neu-Ministerin Annalena Baerbock (Grüne) damit einen Coup gelandet hat, ist den wutschnaubenden Reaktionen der Bundestags-Opposition zu entnehmen. Denn mit Morgan könnte endlich einmal Qualifikation und nicht Parteienproporz bei der Besetzung eines für die Zukunft essenziellen Postens wichtig gewesen sein.
Zumindest der Nachtisch hat Lust auf mehr gemacht.