14.01.2022
2022: „Die Kehrtwende nun wirklich einleiten“
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
Diese Woche, etwa einen Monat nach seiner Amtsübernahme, hat Wirtschafts- und Klimaschutzminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) auf einer Pressekonferenz die konkreten Ausbauziele für Erneuerbare Energien vorgestellt. Anschaulich erklärte er den anwesenden Journalist:innen und den Onlinezuschauer:innen, dass die Bundesrepublik acht Jahre Zeit hat, um den Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch zu verdoppeln.
EE-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse
Das Ziel lautet: Eine Erhöhung von 42,6 % – der vorläufige Wert für 2021 – auf 80 % (siehe Abbildung). Entsprechend der Festlegung im Koalitionsvertrag: bei einem angenommenen Bruttostrombedarf von 680 bis 750 Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2030. Oder als Mittelwert: 715 TWh. Demnach sollen „im EEG die Weichen für 80 Prozent erneuerbare Stromerzeugung bis 2030“ gestellt werden“, so Habeck. Es werde dabei der Grundsatz verankert, „dass der EE-Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse ist und der öffentlichen Sicherheit dient“ (Pressemitteilung). Dabei setzt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf eine Erhöhung der technologiespezifischen Ausschreibungsmengen.
Geschwindigkeit der Emissionsminderung verdreifachen
Bereits im Dezember erklärte Habeck, dass es absehbar sei, dass die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden, wie die Süddeutsche berichtete. Auf der Pressekonferenz betont der erste grüne Bundeswirtschaftsminister, dass die Emissionen in Deutschland seit 2010 jährlich etwa um 15 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sanken. Für die Jahre 2022 bis 2030 müssten es jährlich jedoch im Durchschnitt über 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sein. „Das ist der Faktor drei, von dem ich gesprochen habe“, so der Minister. Die Ausrichtung auf das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045, das die vorherige Bundesregierung beschlossen hat, war bereits Thema bei der Amtsübergabe von Peter Altmaier an ihn. Die Transformation der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt hin zur Klimaneutralität ist „die große strukturelle Aufgabe unserer Zeit, dieser Regierung, dieser Legislatur, dieses Jahrzehnts“, so Habeck. Diese Aufgabe bedeute „die ordnungspolitische Leitplanken weiterzuentwickeln und aus der sozialen eine ökologisch soziale Marktwirtschaft zu schaffen“ (bei ca. Minute 33:00).
Zwei „Klimaschutzpakete“ für 2022 geplant
Die geplanten Maßnahmen sollen gebündelt werden, so Habeck, das erste „Klimaschutzpaket“ soll bis Ende April im Kabinett ausgearbeitet und bis zur Sommerpause im Bundestag beschlossen werden – das „Osterpaket“ des Kabinetts – und das zweite in der zweiten Jahreshälfte – das „Sommerpaket“. Diese Strategie entspricht der Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag: „Wir werden noch im ersten Halbjahr 2022 gemeinsam mit Bund, Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen, um das gemeinsame Ziel eines beschleunigten Erneuerbaren-Ausbaus und die Bereitstellung der dafür notwendigen Flächen zu organisieren“. Die Dringlichkeit beschreibt Habeck so: „Das was prioritäre Wirksamkeit entfaltet, muss alles in 2022 erledigt sein, damit es in 2023 wirksam wird.“ In 2022 sollten somit alle nachgelagerten Verfahren stattfinden: „parlamentarische Befassung im Bundestag, ggfs. in den Landesparlamenten, im Bundesrat oder Notifizierung in der EU“.
Das Wind-an-Land-Gesetz
Für den Zubau von Windkraftanlagen sei „zwei Prozent der bundesdeutschen Fläche“ erforderlich, sagt Habeck. Dabei sei theoretisch eine Fläche von 0,8 Prozent ausgewiesen, und von 0,5 Prozent verfügbar. Er ergänzt: „Über das Repowering schonen wir die Fläche und haben trotzdem einen guten Zubau von Leistung. Aber wir brauchen mehr Fläche – völlig klar“. Laut dem Grünenpolitiker gebe es „nur zwei Länder, die in die Nähe des Zwei-Prozent-Ziels kommen. Das sind Hessen und Schleswig-Holstein. Alle anderen liegen darunter, und da muss man jetzt nicht lange um den heißen Brei herumreden.“ Das neue Gesetz soll laut Bundesminister zudem „den Windenergieausbau mit dem Artenschutz versöhnen und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen“.
Außerdem gebe es im Bundesgebiet Flächen auf denen Windkraftanlagen gebaut werden könnten, „die aber auf Grund von anderen Schutzgütern oder Gütern belegt sind“, etwa in den Bereichen Funknavigation und Drehfunkfeuer (entsprechend 4 bis 5 GW Leistung) sowie bei militärischen Belangen (entsprechend 3 bis 4 GW Leistung). Da werde eine Konkurrenzabwägung oder eine Güterabwägung neu vorgenommen.
Bei der gestrigen Rede im Bundestag betonte Habeck die aktuellen Schwierigkeiten beim Ausbau der Windenergie: „Die durchschnittliche Genehmigungszeit für eine Windkraftanlage in Deutschland beträgt 6 bis 8 Jahre. Da muss man jetzt nicht besonders helle sein oder in Mathematik in der Schule aufgepasst haben, um zu merken, dass das nicht funktionieren kann. Wir müssen also effizienter und schneller werden in den Planungs- und den Genehmigungsverfahren.“ (Regierungserklärung, etwa Minute 05:25).
Das Solarbeschleunigungspaket
Mit mehreren Einzelmaßnahmen soll die Photovoltaik ausgebaut werden. Explizit genannt sind hier: „eine Verbesserung beim Mieterstrom“, „die Anhebung der Ausschreibungsschwellen“, „neue Flächen für Freiflächen-PV und bessere Fördersätze“, „unter Beachtung von Naturschutzkriterien“. Auf allen geeigneten Dachflächen soll künftig für Solarenergie genutzt werden („Solarpflicht“).
Wärmestrategie
Das BMWK sieht eine stärkere Nutzung industrieller Abwärme in den Wärmenetzen vor, sowie die Ausrichtung von Gebäudesanierungen und Neubauten auf das Ziel der Klimaneutralität 2045 und einen deutlich reduzierten Energiebedarf. Über die kommunale Wärmeplanung soll ab 2025 ein Anteil von 65 % an Erneuerbaren Energien für alle neuen Heizanlagen erreicht werden – eine weitere Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag. Das BMWK plant zudem einen „Roll-Out“ von Wärmepumpen auf vier bis sechs Millionen, „ das ist eine Vervier- bis Versechsfachung der bisherigen Zahlen und Planungen“.
Weitere Ziele
Es ist geplant, die Wasserstoffstrategie zu überarbeiten und etwa Standorte für Elektrolyseure zu identifizieren. Für den Ausbau der Elektromobilität, auf 15 Millionen Fahrzeuge bis 2030, seien jährlich 100.000 neue Ladepunkte notwendig. „Eine große Infrastrukturaufgabe, die da auf uns zukommt“, sagt Habeck. Ab 2023 soll die EEG-Umlage über den Bundeshaushalt finanziert werden und somit „abgeschafft“ werden. Anstelle der bisherigen „Besonderen Ausgleichsregelung“ soll ein neues Gesetz erarbeitet werden, das die Umlage aus dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz und die Offshore-Netzumlage regeln soll.
Rede im Bundestag
Bei der Bundestagrede appellierte der Klimaschutzminister, innerhalb der Ressorts gut zu kooperieren und über Wahlkampf hinaus zu denken: „Am besten wäre es, wenn die gewinnen würden, die die besten Konzepte am schnellsten umsetzen und nicht den anderen das Leben möglichst schwer machen.“ (Minute 07:47). Die Dringlichkeit zu handeln, und eine Kehrtwende einzuleiten, betonte er auch: „Wir müssen es schaffen diese acht Jahre möglichst effizient zu nutzen und in diesen vier Jahren möglichst weit zu kommen“, so Habeck (Minute 08:14).
Anmerkung der Redaktion:
Leider fehlt beim Solarbeschleunigungspaket jeglicher Hinweis auf die Bedeutung der großen Solarthermieflächen für die Dekarbonisierung von Wärmenetzen. Im Unterschied zu vorher getätigten Äußerungen zur Solarpflicht, bei denen die Solarthermie zumindest in Klammern noch mitberücksichtigt wurde, ist scheinbar nur noch den Ausbau der Photovoltaik das Ziel. Zitat: „Beim Ausbau der Solarenergie gilt es alle geeigneten Dachflächen zu nutzen: Dafür wird die Solarstromerzeugung auf gewerblichen Neubauten verpflichtend und im privaten Neubau zur Regel“. Analog findet die Solarthermie auch im Zusammenhang mit Wärmenetzen keine Erwähnung mehr. Stattdessen formuliert das BMWi: „Eine Schlüsseltechnologie für die Transformation der Wärmenetze sind strombasierte Großwärmepumpen zur Nutzung von Umgebungswärme und Niedertemperatur-Abwärme“.