19.11.2021
Die Regierung privilegiert die Kohle gegenüber dem Leben der indigenen Bevölkerung
Ein Feature von Tatiana Abarzúa
Es ist eine angemeldete Kundgebung. Etwa zwei Dutzend Demonstrierende sind dabei. Die Anzahl der Polizisten in der Nähe, in Mannschaftswagen oder zu Fuß, scheint fast die gleiche zu sein. Die Protestaktion verläuft ruhig. Doch plötzlich stehen zwei Polizisten mittendrin unter den Klimabewegten und stoppen den Aufbau eines Tripods, hier an einem Berliner Novembernachmittag auf dem Bürgersteig gegenüber der kolumbianischen Botschaft. Einer der Organisatoren vermittelt. Kurz darauf kann es weitergehen.
Die Yukpa-Territorien zurückgeben
Die Anti-Kohle-Aktivisten stellen die Konstruktion auf, die aus drei langen, stabilen Bambusstangen besteht, die im oberen Teil verbunden sind. Es ist ein Symbol für die weltweite Kritik am Kohleabbau, da es solche einfachen dreibeinigen Türme sind, die beim Schutz von Flächen oder Wegen vor Räumungen zum Einsatz kommen. Etwa bei Aktionen zivilen Ungehorsams im Rheinischen Braunkohlerevier. Die Demonstrierenden halten Transparente hoch, mit Aussagen wie „Um weiterhin Widerstand, Gerechtigkeit und Würde zu säen“ („A seguir sembrando resistencias, justicia y dignidad“), „Illegalen Bergbau auf Yukpa-Gebiet stoppen“ („Stop illegal mining on Yukpa territory“) und „Koloniale Zerstörung stoppen von Lützerath bis Cesar – end fossil fuels“, und skandieren „devuelvan la tierra“. Sie fordern von der kolumbianischen Regierung, „die Erde zurückzugeben“, sprich: das Recht der Yukpa auf ihr angestammtes Land zu respektieren. Diese indigene Gemeinschaft lebt in Südamerika an der Grenze zwischen Kolumbien (im Departamento Cesar) und Venezuela (im Bundesstaat Zulia). Auf beiden Seiten des Gebirgszugs Sierra de Perijá, einem östlichen Ausläufer der Anden. Juan Pablo Gutierrez, Yukpa-Sprecher und internationaler Delegierter der nationalen indigenen Organisation Kolumbiens (Organización Nacional Indígena de Colombia, ONIC) kritisiert das auf Kohleexport orientierte extraktivistische Modell des Landes. „Von welcher Art von Fortschritt reden wir?“, so Gutierrez. Der Kohleabbau sei ein komplett verantwortungsloses Modell, sagt er. Für den zweitgrößten Tagebau Kolumbiens – die Mine „Die Erholung“ („El Descanso“) – wurden Territorien der Yukpa beschlagnahmt und Friedhöfe entweiht, erklärt er. Nach Meinung des kolumbianischen Exilanten privilegiere die Regierung seines Landes die Kohle gegenüber den Wasserressourcen. „Die Regierung privilegiert die Kohle gegenüber dem Leben der indigenen Bevölkerung“, ergänzt er.
Steinkohle-Abbau ohne Konsultation
Nach eigenen Angaben betreibt das transnationale Unternehmen Drummond International LLC den Tagebau „El Descanso“ seit 2009. Der kolumbianische Staat genehmigte den Abbau von Steinkohle im 430 km² großen Tagebau ohne eine vorherige, freie und informierte Anhörung der Yukpa. Dieser Großbergbau zerstörte nach und nach die Artenvielfalt im Gebiet der Yukpa und verschmutzte die Luft, so die ONIC. Zudem berichtet die NGO, dass das kolumbianische Umweltministerium die Umleitung von Flüssen genehmigte, die für die Fischerei und das Überleben der Yukpa und der verschiedenen Ökosysteme der Region unerlässlich sind. Das beeinträchtigte sowohl die Fähigkeit der Indigenen, sich selbst zu ernähren und zu leben, als die Möglichkeit ihre Kultur an jüngere Generationen weiterzugeben.
Gefährdete Natur und Kultur
Indigene Gemeinschaften umfassen 4 % der Weltbevölkerung, 95 % der kulturellen und menschlichen Vielfalt und ihre Territorien beherbergen 80 % der Biodiversität, teilt die ONIC mit. Eine Erhebung aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass in Kolumbien 115 indigene Gemeinschaften leben. Bereits vor 25 Jahren wurden die Yukpa, die Nukak und weitere Ethnien als vom Aussterben bedroht erklärt. In diesem Zusammenhang gilt die Anordnung, Reservate zu schaffen und zu erweitern und dem Priorität und finanzielle Mittel zu geben (Präsidialdekret 1397). Laut diesem Gesetz dürfen im indigenen Territorium keine Arbeiten, Explorationen, Ausbeutungen oder Investitionen ohne vorherige Absprache mit den indigenen Behörden, Gemeinschaften und ihren Organisationen durchgeführt werden.
Das Urteil T-713 von 2017
Gutierrez fordert vor der kolumbianischen Botschaft die Regierung auf, „das Urteil T-713 des Obersten Gerichtshofs umzusetzen“. Demnach sind die kolumbianischen Regierungsverantwortlichen verpflichtet, das angestammte Territorium der indigenen Yukpa formell abzugrenzen. Bisher ist die Regierung dem nicht nachgekommen.
Seit Jahren grassiert die Gewalt
Im August gab die NGO Global Witness bekannt, dass vergangenes Jahr weltweit 227 Menschen ermordet wurden, die für den Erhalt der Natur gekämpft haben. Etwa ein Drittel diese Menschen, 65, lebten in Kolumbien. Die gefährlichsten Länder in Lateinamerika in Bezug auf die Einwohnerzahl waren Nicaragua, Honduras und Kolumbien. Der Spiegel, der über diese Studie berichtet hatte, zitiert eine kolumbianische Menschenrechtsaktivistin: „Firmen und Kunden sollten sich bewusst machen, dass Bergbau, Landwirtschaft und Abholzung in Lateinamerika oft mit Gewalt einhergehen“. Zudem seien die Aggressionen gegen Umweltschützer und Menschenrechtsaktivisten schlimmer geworden. Am häufigsten gefährdet seien Indigene, „die ihre angestammten Ländereien verteidigen“.
Vernetzte Solidarität
Auf der Kundgebung in Berlin-Mitte hielt auch Lakshmi Thevasagayam eine Rede. Sie ist Sprecherin der Initiative „Lützilebt“ aus dem Dorf Lützerath in NRW. Sie sagt: „Bei den Yukpa und bei uns in Lützerath zerstören Konzerne das Klima und Land für Kohle, nur damit sich Geld vermehrt.“ Sie betont, dass die Menschen in Deutschland dagegen kämpfen können, „ohne mit dem Tod bedroht zu werden“. Deshalb und weil Kolumbien einer der Hauptlieferanten für die Kohle ist, die in Kohlekraftwerken in Deutschland verfeuert wird, möchten sie und die andere Klimaaktivisten auf die Situation der Yukpa aufmerksam machen.
Parallel zur Berliner Protestaktion fanden zeitgleich weitere Demonstrationen der Klimagerechtigkeitsbewegung vor kolumbianischen Botschaften in weiteren europäischen Städten statt: Paris, Madrid, Sevilla, Mailand, Neapel. Gemeinsam äußerten die Aktivisten ihre Unterstützung für die Yukpa bei ihrem Kampf gegen den Drummond-Tagebau und ihrer Kritik an der Untätigkeit der kolumbianischen Regierung.
Glasgow
Gutierrez sieht es sehr kritisch, dass die kolumbianische Regierung hohe Geldsummen zur Klimafinanzierung erhalten soll. Seiner Meinung nach, „sollten keine Gelder an Länder vergeben werden, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden, wie in Kolumbien“. Laut dem Delegierten der Indigenen ist Kolumbien das Land mit der zweithöchsten weltweiten biologischen Vielfalt und das Land in dem am häufigsten Menschenrechtsaktivisten ermordet werden. Am Ende seiner Rede ruft er erneut, mit dem Blick auf das Botschaftsgebäude, „gebt den Yukpa ihr Territorium zurück“. Er ergänzt: „Iván Duque, das Wort ohne die Tat ist leer”. Für Gutierrez vereint „der Kampf um die Mutter Erde“ alle Menschen „von den Territorien bis in die Städte
Die Yukpa kämpfen gegen einen Kohletagebau der etwa sechszehnmal größer ist als der von RWE betriebene Braunkohle-Tagebau Garzweiler II. Für diesen begann das Unternehmen Anfang des Jahres mit dem Abriss mehrerer Häuser in Lützerath. Obwohl eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aufzeigte, dass sowohl der Wald als auch die Dörfer erhalten bleiben könnten und die bereits erschlossenen Tagebauflächen bis zum vereinbarten Ausstieg genug Kohle für die Kraftwerke liefern würden. Die Umsiedlungen im Zusammenhang mit der Absicherung des Tagebaus Garzweiler waren „ein zentrales Anliegen von RWE/NRW im Gegenzug zur frühzeitigen Stilllegung des Tagebaus Hambach und dem Erhalt des Hambacher Forsts“, wie eine Greenpeace-Recherche ans Licht brachte (die DGS-News berichteten).