22.10.2021
Endlager am St.-Nimmerleinstag?
Ein Aufsatz über das Atom und die Menschen von Heinz Wraneschitz
„Nicht die sind vom Atommüll betroffen, bei denen einst das Endlager entstehen wird. Sondern wir alle sorgen für die Betroffenheit, weil wir Atomstrom nutzen.“ Raimund Kamm ist einer, der sich seit Jahrzehnten gegen die Atomkraft, die so genannte friedliche, engagiert. Als Politiker, als Landesvorsitzender des Bundesverbands Erneuerbare Energien in Bayern, als bekennender Gegner des immer noch laufenden Atomkraftwerks Gundremmingen, als Mensch. Dieser Tage hat Kamms Verein FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V. den früheren Chef des Ökoinstituts Michael Sailer aus Darmstadt zur Hauptversammlung nach Augsburg gelockt, um in einem öffentlichen Vortrag die Frage zu beantworten: „Bleibt Schwaben der tödlich strahlende Atommüll?“
Sie fragen sich gerade: Wo genau ist in Schwaben dieser tödlich strahlende Atommüll? Dann wissen Sie augenscheinlich nichts von jenen 16 Zwischenlagern, die in diesem unserem Lande gehegt und wenig gepflegt werden; zwölf dieser Deponien mit Atommüll-Containern befinden sich über der Erde, direkt neben AKWs. In Schwaben heißt das: auf dem Gelände des Meilers von Gundremmingen.
Womit wir schon bei Sailers Vortrag wären. Der fand - zumindest im Nachhinein – großen Nachhall in der deutschen Medienlandschaft. Ob in der Augsburger Allgemeine, im Bayerischen Rundfunk, den Nürnberger Nachrichten oder in der Zeit: Überall war in dem Beitrag zu hören, sehen oder lesen, dass „hoch radioaktive Abfälle aus den deutschen Atomkraftwerken wegen eines fehlenden Endlagers voraussichtlich noch weit über ein halbes Jahrhundert an den AKW-Standorten verbleiben müssen“.
Wer die DGS-News dieses Jahres verfolgt hat, wird sich nun eine ganz andere Frage stellen: Aber was genau ist dann im Jahr 2031 geplant? Sollte da nicht der Atommüll-Endlagerstandort bereits fertig sein? Mitnichten. Denn 2031 soll der Bundestag eine Entscheidung über den Standort fällen.
Aber selbst dieser Zeitplan gilt vielen bereits als ziemlich unrealistisch. Der Verlauf der sogenannten „Fachkonferenz Teilgebiete“, die vor wenigen Wochen offiziell zu Ende ging, verstärkt solche Zweifel sogar noch.
Und dann gibt es ja sogar noch die Menschen, die behaupten, Atommüll wäre viel zu wertvoll, um in ein Loch tief unter der Erde vergraben und eine Million Jahre bewacht zu werden. Denn sie fabulieren von „Recycling von Atommüll“ durch „Techniken, um die Langzeitradioaktivität der Abfälle zu verringern, indem sie diese in Reaktoren der nächsten Generation wiederverwenden“. Gut, das sagt nicht ein Lars vom Mars, sondern das ist Sprech‘ der EU-Kommission. Aber dieser Text stammt aus dem Jahre 2009, und von den dort genannten, serienmäßigen „Reaktoren der nächsten Generation“, die wirklich Strom generieren, ist zumindest dem Autor dieses Beitrags hier bis heute nichts bekannt.
Bekannt ist dagegen, dass Frankreich immer weiter auf die Atomkraft als das fastalleinseligmachende Klimarettungsinstrument setzt. Beim Strom mag Frankreich ja ziemlich CO2-frei sein – der Atommüll (siehe oben) hat aber auch im Nachbarland bislang keine dauerhafte Bleibe. Obwohl daran seit etwa einem Jahrzehnt gebuddelt wird.
In der jüngeren Vergangenheit liest man sogar davon, dass doch nicht allen Franzosen der Müll unter der eigenen Haustür ganz egal ist: Es werde schon mal geschlägert deshalb. Und ob es wahr wird, dass „2030 die Atombehörde Andra die erste Tonne Nuklearabfall in Bure einlagert“, scheint auch noch nicht so ganz sicher. Vielleicht quillt ja auch deshalb gerade aus der République française immer wieder jene alte Geschichte um nicht vorhandene „Atomkraftwerke der nächsten Generation“ heraus. Zudem hat der immer wieder geäußerte französische Wunsch an die EU-Kommission, Atomkraft als „klimafreundlich“ einzustufen und die alten Meiler immer noch ein paar Jahre länger laufen zu lassen als ihnen eigentlich nach Atomdoktorprognose gut täte, bislang ja auch gut funktioniert.
Doch es gibt durchaus auch Menschen, die einen ganz anderen Grund hinter der französischen AKW-Liebhaberei vermuten: Ohne „friedliche“ gäbe es dort nämlich auch keine „knallige“ Atomkraft, schreibt zum Beispiel Telepolis ganz aktuell. Doch das wird bei uns von breiten Bevölkerungs- und Politikschichten bislang ignoriert. Im Gegenteil: überall wagen sie sich wieder in die Öffentlichkeit, die Atomlobbyisten und Strahlungsfans.
In einem Verein, der sich „Ökomoderne“ nennt, haben sich viele dieser Rückwärtsblicker*innen versammelt. Im Internet-Foto präsentieren sie sich altklug-jugendlich und feministisch-gleichberechtigt. Doch tatsächlich dürfte die Crew deutlich älter sein. Wie einer der Vorstände, Amardeo Sarma, Baujahr 1955. Der bekennt sich auf der Homepage des Vereins als Vorsitzender der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), aber auch als Mitglied der SPD. Also jener Partei, die gerade dabei ist, die Führung einer neuen Regierung zu übernehmen. „Wie wir arbeiten: Wir bemühen uns darum, die verlässlichsten, relevantesten und aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verwenden. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse bringen wir uns in politische Debatten ein“, verkündet Ökomoderne - man könnte das auch als Drohung verstehen. Denn unter ihrer ausgelagerten Seite „onebilliontons.org“ ist ein Papier zu finden, dass sicher bald in SPD- und anderen Neuregierungskreisen zirkulieren wird. „Deutschlands wirksamste Klimaschutzmaßnahme: Eine Milliarde Tonnen CO2-Ausstoß senken und Deutschlands Kohleausstieg beschleunigen: Die Laufzeitverlängerung unserer 6 Kernkraftwerke bis 2045.“
Während die Ökomodernen sich bei den drei mehrtägigen Fachkonferenzen Endlagersuche zumindest nicht lautstark zu erkennen gaben, war dort die Ex-Nuklearia-Vorständin Anna Veronika Wendland bis zuletzt sogar in der AG Vorbereitung der einzelnen Treffen aktiv. Dieser Verein ist schon etwas älter als die Ökomoderne, hat aber nahezu die gleichen Inhalte. Und wer sich auf der Vereinswebseite umschaut, findet dort ähnliche Vorschläge, wie sie aus Frankreich zu hören sind: „Die Endlagerung des Atommülls ist nicht alternativlos! Atommüll ist kein Müll, sondern Wertstoff!“
Passend dazu, ging es bei der letzten Beratungsrunde der Fachkonferenz ans Eingemachte: Wie soll es tatsächlich weitergehen mit der Beteiligung der Betroffenen an der Endlagersuche? Zurzeit wären das etwa die Hälfte der Bürger*innen dieser unserer Bundesrepublik. Denn die BGE, die Bundesgesellschaft Endlagerung hat in etwa die Hälfte der Fläche zum potenziellen Endlagerstandort erklärt. Ist Ihr Wohnort eigentlich in einem dieser 90 Teilgebiete dabei?
Nun findet Anfang November – wohlgemerkt: nach dem offiziellen Ende der Beteiligungs-Fachkonferenz! – eine Veranstaltung des „Nationalen Begleitgremiums“ (NBG) statt mit dem Titel: „Atommüll-Endlager: Wie gelingt gute Beteiligung? Bilanz & Perspektiven“ Veranstaltungsort: The Ritz Carlton Hotel Berlin; Übernachtungspreis: 200 Euro Minimum. Das ist natürlich für einen „normalen“ Atomkraftgegner kaum finanzierbar. Gut, dass man wenigstens ein bisschen auch Online teilhaben darf: „Sie haben die Chance, die Diskussionen im Livestream auf dem YouTube-Kanal des NBG zu verfolgen und im Chat Fragen zu stellen.“
>Doch mehrerer Bürgerinitiativen und der BUND Naturschutz haben sich schon während des 3. Fachkonferenz-Termins von der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung verabschiedet, werden demnach wohl auch nicht in Berlin dabei sein. Aktive kündigten bereits an, sie wollten nach und nach ihre Anti-Atomlager-Proteste auf die Straße verlagern. Und statt ins „Ritz“ laden sie am 30. und 31. Oktober komplett ins „Online“ zu einer „Alternativen Statuskonferenz rund um das Thema Atommülllagerung“ ein.
Raimund Kamm, Atomgegner aus Überzeugung, sieht diese Aktionen aber skeptisch. Denn wie er erklärt, sind die echten Betroffenen der Atommüll-Entsorgung heute die Anwohner der ungesicherten Zwischenlager, vor allem derer an AKW-Standorten. Und sollte es tatsächlich einmal zu einem Endlager kommen, „werden tausende Generationen nach uns betroffen sein vom Atommüll, den wir erzeugt haben. Und sie werden fragen: Warum habt ihr Euren Strom so dreckig erzeugt?“