06.08.2021
Ernährung ist politisch – und klimakritisch
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Art, wie wir uns heute ernähren, ist inzwischen stark ideologisch aufgeladen und ein politisch „vermintes“ Terrain, auf dem verschiedene Gruppen um die Deutungshoheit ringen:
- Flexitarier, die sich vorwiegend vegetarisch ernähren, aber bisweilen ausnahmsweise auch ein Stück Fleisch nicht verschmähen.
- Pescetarier, die Fleisch ablehnen, aber neben vegetarischer Nahrung auch zu Fisch und Meeresfrüchten greifen.
- Vegetarier, die neben pflanzlichen Produkten nur solche von lebenden Tieren (Eier, Honig, Milch) nutzen.
- Veganer, die alle tierischen Produkte ablehnen
- Fructarier, die Pflanzen als unverletzliche Individuen sehen, und daher nur herunter gefallene Früchte, Nüsse etc. essen.
Dazu kommen Bioköstler, LowCarbköstler, Paläoköstler, Rohköstler, Trennköstler etc. Überall gibt es Widersprüche innerhalb und zwischen den Richtungen; der derzeitige vegane Hype mit seinen teilweise hochgradig verarbeiteten Lebensmitteln wäre wohl vor 15 oder gar 30 Jahren nicht denkbar gewesen, als die Anhänger von Biolebensmitteln sich gegen die Tricks und Zusatzstoffe der Nahrungsmittel-Industrie wandten. Jedenfalls geht es bei allen dieser Strömungen immer um den richtigen Weg zur Gesundheit, um Tier- und Pflanzenrechte, um ethisches Handeln oder die richtige Moral.
Als ein für den Klimaschutz Engagierter kann man dieses z.T. demonstrative „Gutmenschen-Getanze“ entspannt ignorieren und seine Ernährung nach den Erfordernissen des Klimaschutzes ausrichten. Denn beim Klimaschutz geht es nicht um Moral, sondern um Physik. Und die kennt kein gutes oder schlechtes CO2, sondern nur CO2-Äquivalente, deren Emissions-Budgets sich für die Restemissionen Deutschlands bis zum unweigerlichen „Reißen“ des 1,5°-Ziels genauso berechnen lassen wie für verschiedenen Fahrzeugantriebe – oder eben Lebensmittel. Immerhin gehen bis zu 37% der globalen, menschengemachten Treibhausgase auf das Konto der weltweiten Lebensmittelproduktion – unsere Ernährung und Lebensmittelproduktion sind absolut nicht nachhaltig!
Lebensmittelemissionen zu berechnen hat kürzlich das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) im Zuge eines Forschungsprojekts unternommen. Dabei wurde der CO2-Fußabdruck von 188 Lebensmitteln und 8 Gerichten bilanziert, wobei für erstere die Systemgrenze „Supermarktkasse“ galt und für letztere die Systemgrenze „fertig zubereitet auf dem Teller“. Der jeweilige Fußabdruck wurde als „kg CO2-Äquivalente pro kg Lebensmittel“ berechnet. Dabei wurden die Vorketten (Anbau, Ernte, Transport etc.) berücksichtigt, und einzelne Lebensmittel mit ihrem CO2-Fußabdruck je nach Vorkette (z.B. Freiland vs. Gewächshaus, regionaler vs. internationaler Transport) ausgewiesen. Zudem haben die Forscher vom Neckar für 35 ausgewählte Lebensmittel die Phosphat-, Flächen- und Wasser-Fußabdrücke sowie Energiebedarfe ermittelt, da diese natürlich indirekte Klimaauswirkungen haben können. Insgesamt eröffnet die Untersuchung verschiedene Einblicke und Erkenntnisse.
Das Bekannte
Dass die Erzeugung von einem Kilo Fleisch einen größeren CO2-Fußabdruck erzeugt als die von einem Kilo Gemüse ist prinzipiell ebenso bekannt wie, dass Rindfleisch beim Fleisch diesbezüglich auf dem klimafeindlichen Platz 1 liegt. Doch die genauen Zahlen dürften nur die wenigsten kennen: Rindfleisch (13,6 kg CO2), gefrorene Garnelen (12,5 kg), Hirschfleisch (11,5 kg), Rinderhack (9,2 kg), Hähnchen (5,5 kg), Aquakultur-Fisch (5,1 kg), Schweinefleisch (4,6 kg). Dagegen fallen Gemüseschnitzel (1,3 kg) oder Tofu (1,0 kg) praktisch nicht ins Gewicht. Auch andere tierische Produkte sind sehr klimalastig: Butter 9,0 kg, Feta 7,0 kg, Parmesan 6,3 kg, Emmentaler 6,0 kg, Sahne 4,2 kg. Hingegen Eier (3,0 kg) und Milch (1,4 kg) erzeugen kaum Emissionen, der pflanzliche Milch-Ersatz (Hafermilch etc.) mit 0,3 kg noch viel weniger.
Das Unbekannte
0,75 Liter Wein in der Glaseinwegflasche haben mit 1,0 kg immer noch verhältnismäßig geringere Emissionen als 0,5 l Bier in der Mehrwegflasche (0,9 kg). Die CO2-lastigsten Getränke dieser Auflistung sind pulverisierter Kaffee (5,6 kg) und Kakao (5,0 kg). Von allen Tomatenerzeugnissen ist das Tomatenmark mit 4,0 kg am Klimaschädlichsten, noch vor der Gewächshaus- bzw. Winter-Tomate (2,9 kg); deutsche Tomaten in der Saison kommen auf gerade 0,3 kg. Gegenüber frischen Produkten haben alle abgefüllten, eingedosten und -gefrorenen Produkte den anderthalb bis zweifachen CO2-Fußabdruck; dies gilt insbesondere, wenn es sich um Einweg-Behältnisse handelt.
Das Überraschende
Biolebensmittel haben, gleiche Transportwege vorausgesetzt, höhere CO2-Lasten als konventionelle. Nach Ansicht der Autoren (Anm. 9) rührt das daher, dass sie mehr Ackerfläche benötigen, der daher mehr landwirtschaftliche Klimaemissionen zugewiesen werden, die z.B. aus bewirtschafteten Mooren entstehen. Wie sehr Transporte, insbesondere im internationalen Lebensmittelhandel, den CO2-Fußabdruck von Lebensmitteln beeinflussen können, zeigt die Ananas: per Schiffstransport (0,6 kg) ist sie deutlich klimafreundlicher als per Lufttransport (15,1 kg). Von allen kohlenhydrathaltigen Grundnahrungsmitteln haben Kartoffeln (0,2 kg) den geringsten Klimagas-Fußabdruck, gefolgt von Brot, Nudeln und Mais (1,2 kg). Mit Abstand am schlechtesten schneidet der auch bei Veganern beliebte Reis (3,1 kg) ab; da ist selbst die Thüringer Rostbratwurst (2,9 kg) noch klimafreundlicher.
Das Problematische
Weniger die fehlenden Lebensmittel dieser Studie sind das Problem – wenngleich z.B. der Fußabdruck hochprozentiger Getränke schon interessant wäre – , als vielmehr die Systemgrenze „Supermarktkasse“. Diese ist zwar auch berechtigt, verstellt aber den Blick auf eine noch klimafreundlichere, unerwähnte Systemgrenze, die sich für viele Produkte (Obst, Gemüse, Kartoffeln, evtl. auch Huhn) durchaus ermitteln lässt: die Systemgrenze „Eigener Balkon/Garten“. Hier dürften auf Grund der o.a. Ergebnisse bei Verpackung und Transport die CO2-Emissionen erheblich geringer sein. Wer also seine Umwelt nicht nur mit breitblätterigen Blumen und toten Tujahecken zupflastern will, hat jetzt ein Argument.
Ein weiterer Punkt betrifft das o.a. Wild-/Hirsch-Fleisch (11,5 kg): Das ifeu gibt wissenschaftlich korrekt an, dass es dabei eine Erzeugung in Neuseeland und Gatterhaltung ansetzt. Auf Grund der leichteren Verderblichkeit und der gegenüber der o.a. Ananas höheren Kilopreise für Wild darf man auch hier von einem Lufttransport ausgehen. Wenn man dagegen aber frisch geschossenes Wild vom Förster oder Jäger nebenan ansetzt, dann verkehren sich die CO2-Emissionen: Dann dürfte das Wild deutlich klimafreundlicher sein als die o.a. meist industriell verarbeitete Thüringer Rostbratwurst. Solche Daten sollten zum Vergleich auch angeführt werden.
Fazit
Eine klimafreundliche Ernährung ist möglich, wie inzwischen auch medizinische Studien zeigen. Weniger tierische Lebensmittel, weniger (Einweg-)Verpackungen und mehr Bezugsquellen aus dem unmittelbaren Umfeld gehören unbedingt dazu. Ansonsten muss natürlich jede/r entscheiden, wie sie/er sich ernähren will. Denn klimafreundliche Nahrung deckt sich nicht unbedingt mit den o.a. Ernährungs-Ideologien und Moden, zumal sich für eine CO2-reduzierte Ernährung auch einige tierische Lebensmittel wie regionales Wild, selbst gefangener Fisch aus einem nahen Fluss, sowie selbst gezüchtete Hühner oder Weinbergschnecken aus dem eigenen Garten eignen.
So verdienstvoll die ifeu-Studie auch ist, mit ihren „nur“ 188 Lebensmitteln ist sie doch deutlich ausbaufähig. Nicht nur fehlen einige der aktuellen Lebensmittel sowie die Systemgrenze „Eigener Balkon/Garten“; es kommen ja auch immer wieder neue Lebensmittel hinzu: derzeit Insekten, künftig Fleisch und (Mutter-)Milch aus dem Labor. Insofern gilt auch hier: Nach der Studie ist vor der Studie.