06.08.2021
Fossil geht’s nicht weiter: Ein Schlaglicht auf den Stand der deutschen Energiewende
Eine Zusammenfassung von Jörg Sutter
Die Energiewende ist in Gange, die politischen Parteien machen derzeit unterschiedliche Vorschläge, wie sie in Deutschland nach der Bundestagswahl im Herbst fortgesetzt werden soll. Dass es mit fossilen Energien langfristig nicht weitergeht, darüber besteht Einigkeit, aber welcher Weg genau genommen werden soll, ist umstritten. Doch wo stehen wir denn heute, wie weit sind wir genau? Diese Frage möchte folgende Zusammenstellung beleuchten.
Deutschland und Europa
Die Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren seine Vorreiterstellung bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien in Europa aufgegeben. Auch die Ziele sind anderswo ambitionierter gesteckt als bei uns: So hat Österreich, das inzwischen auch Energiegemeinschaften im PV-Bereich zulässt, sein Ziel auf eine erneuerbare Vollversorgung beim Strom bis zum Jahr 2030 gesetzt. Dort sind aktuell bereits 75 % erreicht, so dass das Ziel durchaus machbar erscheint. Gemeinsam mit anderen Teilnehmern des „Runden Tisches Erneuerbare Energien“ fordert die DGS daher diese Ambitionen auch für Deutschland: „100% Erneuerbare Energien bis 2030“ lautet die Devise, die es inzwischen hier beim SFV auch gedruckt auf einem T-Shirt und einer Tasche gibt.
Die Welt steigt aus den CO2-emittierenen Techniken aus, teils langsamer, teils schneller, allen Bemühungen liegt das Pariser Klimaschutzabkommen zugrunde. Für Europa hat der „Green Deal“ der EU die Temperaturziele von Paris in konkretere CO2-Minderungen umgerechnet und Vorgaben gesetzt: Minus 55 Prozent CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 ist die aktuelle Vorgabe, wir hatten in den DGS-News dazu berichtet.
Die Statistik zeigt: Der Einsatz von Erneuerbaren Energien ist bislang in Europa sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während Spitzenreiter Schweden schon 2019 einen Anteil von 56 Prozent an Erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch hatte und sich zurücklehnen könnte, waren es in den Niederlanden, aber auch in Luxemburg oder Polen nur um die 10 Prozent. Deutschland liegt hier mit 17 Prozent auch eher im unteren Bereich der Tabelle.
Die Entwicklung des Energieverbrauchs
Bei den Energieträgern (Stand 2019) des Primärenergieverbrauchs stehen das fossile Mineralöl mit 35 % Anteil an erster Stelle, 25 % beträgt der Anteil von Erdgas, 15 % waren Erneuerbare Energien, gerade mal ein Prozentpunkt mehr (genauer: 14,8 zu 13,8%) als ein Jahr zuvor. Darum sind die deutlichen Erfolge der Energiewende beim Strom (s. unten) zwar positiv, müssen aber ins Verhältnis zur Gesamtheit des Energieverbrauches gestellt werden. Übrigens: Im Jahr 2019 konnten in Deutschland 28 Prozent des Primärenergiebedarfs durch inländische Quellen bereitstellt werden, das hauptsächlich durch Erneuerbare Energien und Braunkohle, für den Rest ist man auf Importe angewiesen.
Schauen wir uns den Endenergieverbrauch in Deutschland nach Branchen aufgeteilt an, so verteilt sich der Energieverbrauch grob (Stand 2018) auf 30% für Bergbau und Industrie, 30% für den Verkehr und 15 % für Handel, Dienstleistung, Gewerbe. Weitere 25 % werden in den Haushalten benötigt.
Erschreckend ist die in Bild 2 dargestellte Entwicklung des Endenergieverbrauchs: Der Gesamtverbrauch ist in den vergangenen Jahren überhaupt nicht zurückgegangen, sondern seit Anfang der 1990er Jahre nahezu konstant. Effizienz- und Einsparungsmaßnahmen wurden an anderen Stellen schlicht wieder kompensiert.
Strom – Energiewende in großen Schritten
Der bei der Energiewende meistbeachteste Bereich ist die Stromerzeugung. Sei es in den Medien oder in politischen Statements: Die Änderung bei der Stromversorgung hat stets einen großen Raum.
Die Gesamtstromerzeugung im Land ging 2019 auf 612 Mrd. kWh (damit um 4,8 % gegenüber dem Vorjahr) zurück – das war noch vor den Sonderbedingungen durch Corona, die die Erzeugung in 2020 weiter absinken ließ. 40 Prozent des Stroms wurde 2019 aus Erneuerbaren Energien bereitgestellt. Nachdem die Verstromung der Kohle schon deutlich reduziert ist, wird Ende 2022 das letzte AKW abgeschaltet. Und bis ungefähr 2035/2038 sollen nach dem aktuellen politischen Willen auch die letzten Braunkohle-Kraftwerke abgeschaltet werden. Um hier keine „Stromlücke“ entstehen zu lassen, müssen die Erneuerbaren deutlich schneller als heute ausgebaut werden, sonst riskieren wir nur eine Verschiebung von Kohle zu Erdgas.
Was zu tun ist: Politisch müssen dringend klar die Weichen hin zu Erneuerbaren Energien gestellt werden: Zu viele politische und bürokratische Hemmnisse behindern derzeit den massiven Ausbau, sei es bei PV, Windkraft und Biomasse. Deutschland muss wieder Zubaumeister in Europa werden, nur so werden auch unsere Nachbarländer folgen.
Wärme – Die Wende gelingt nur langsam
Eines der Sorgenkinder bei der Energiewende ist die Wärme, denn dort hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas getan. Das Durchschnittsalter der Wärmeerzeuger in Deutschland beträgt 17 Jahre, 24 % Prozent sind nach Angaben des VDI über 25 Jahre alt. Laut BSW-Solar wurden im vergangenen Jahr 83.000 neue Solarthermie-Anlagen gebaut und es steht eine Solarthermieleistung von insgesamt 15 GW auf den Dächern in Deutschland zur Verfügung. Vermehrt werden solarthermische Großanlagen aufgebaut und Nah- oder Fernwärmenetze angebunden.
Was zu tun ist: In Baden-Württemberg müssen nun alle Kommunen eigene Wärmekonzepte entwickeln und dem Land vorlegen, wie sie eine schrittweise Dekarbonisierung umsetzen. Das könnte auch bundesweit zur Pflicht werden. Im zweiten Schritt muss durch eine weitere Erhöhung des CO2-Preises das fossile Heizen teurer werden, die Attraktivität der erneuerbaren Heiztechniken steigt dann weiter an. Und die staatlichen Fördermittel für die Heizungsumstellungen auf fossiles Erdgas gehören endlich gestrichen.
Verkehr – Bislang keine Wende, aber Tempo
Im Verkehr sind die Konzerne heute weiter als die Politik. Reihenweise werden Jahreszahlen als Ende des Verbrenners an die Presse gegeben, die Produktpalette wird komplett elektrifiziert – während Politiker noch immer über Wasserstoffautos und Brennstoffzellen nachdenken. Heute ist es so klar wie noch nie: Die PKW-Flotte wird elektrifiziert, die Bahn wird ausgebaut und ist sowieso schon auf den meisten Strecken strombetrieben unterwegs. Die Schiff- und Luftfahrt werden auf erneuerbare Kraftstoffe oder Wasserstoff angewiesen sein.
Die Energieeffizienz der Verkehrsleistung ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen: Nach Angaben des Umweltbundesamtes bei LKW um 26 Prozent, bei Fernverkehrszügen um 46 Prozent, im Güter- und Nahverkehr um 58 Prozent. Das ist weniger als die Hälfte gegenüber dem Vergleichsjahr 1995. Jedoch folgt ein großes ABER: Durch größere Fahrleistungen und Transport-Zuwachs (insbesondere bei LKW) wurde das alles überkompensiert. Eine Reduktion des Energieverbrauchs im Verkehrssektor war in der Vor-Corona-Zeit bis 2019 nicht sichtbar. Die Elektromobilität wird sich durchsetzen, doch auch das ist noch ein langer Weg: Zwar steigen die Zulassungszahlen inzwischen stetig, doch energetisch hatte das 2019 noch praktisch keine Bedeutung: Nur 1,6 Prozent der Verkehrsenergie wurde elektrisch bereitgestellt, davon wiederum 3 von 4 Kilowattstunden für den Betrieb der Eisenbahn, nur eine von 4 Kilowattstunden für Elektroautos. Alternative Antriebe und Biotreibstoffe (außerhalb der Beimischung z.B. bei Diesel und E10-Benzin) spielen bislang auch keine Rolle.
Was zu tun ist: Ein radikaler, aber erster politischer Schritt wäre, sowohl das Dieselprivileg zu streichen als auch die Regelungen für Pendler neu zu fassen. Der weitere Ausbau der E-Mobilitäts-Infrastruktur ist notwendig. Und rechnerisch – so eine kleine Rechnung, die ich diese Woche im Internet las – bezahlt jeder bei uns pro Jahr 350 Euro fürs Fliegen – ganz ohne selbst ein Flugzeug zu besteigen. Ja, rechnerisch, wenn man den Luftfahrtvorteil der nicht zu bezahlenden Kerosinsteuer samt Umsatzsteuer auf die Bürger der Republik umlegt.
Industrie – Hoffnung Wasserstoff?
Auch bei der Industrie ist die Energiewende inzwischen angekommen. So verlangt der Autohersteller Porsche von sämtlichen Zulieferern, nur noch Ökostrom einzusetzen. Andere Hersteller werden folgen. Viele Werke auch aus anderen Industriebranchen werden schon heute oder zukünftig vollständig (zumindest auf der Stromseite) mit Erneuerbaren Energien versorgt. Doch insgesamt ist der Energiehunger der Industrie enorm: Allein die chemische Industrie beziffert ihren Strombedarf für Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 mit jährlich 500 Mrd. kWh grünem Strom - also nur etwas weniger als ganz Deutschland heute insgesamt an Strom benötigt! Und das ist nur die Chemie, da ist kein Automobil oder die Stahlbranche mitgerechnet. Und der Verband der Chemischen Industrie gibt auch gleich noch eine zweite Forderung vor: Mehr als 4 Cent pro kWh darf der Strom nicht kosten.
Was zu tun ist: Der Transformationsprozess der Industrie und die dafür notwendigen Mengen an Erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff müssen solide berechnet werden. Ganz wichtig ist aber eine Perspektive, woher der in der Praxis kommen soll. Es hilft nichts: Alle Ausbaubremsen (z.B. im Planungsrecht und im EEG) müssen gelockert werden und auch Großprojekte, wie der 2-Gigawatt-Windpark der RWE, der allein den Chemie-Standort der BASF in Ludwigshafen versorgen soll, müssen rasch umgesetzt werden. Auch ein Import von grünem Wasserstoff wird kein Tabu bleiben können, denn die benötigten Mengen sind einfach zu groß.