02.07.2021
The God Pod: Exxon Mobil ist nur ein Beispiel
Ein Kommentar von Matthias Hüttmann
Man sollte meinen, dass sich die Politik dem zentralen Thema unserer Zeit mit der notwendigen Ernsthaftigkeit annimmt. Schließlich bedeutet Klimaschutz nicht weniger als die Möglichkeit, unsere Spezies und das uns bekannte Leben vor dem Untergang zu retten. Wobei man das ein wenig einschränken muss. Es geht weniger um das Leben auf unserem Planeten als solches, sondern um das gegenwärtige und um uns selbst. Nein, das ist jetzt keine dramatische Prosa; der unlängst veröffentlichte Entwurf eines umfassenden Berichts des - das muss auch hier vielleicht einmal betont werden - unabhängigen Weltklimarates dem „Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC)“ , hat das kürzlich recht deutlich formuliert: „Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft, Menschen können das nicht."
Das sollte uns durchaus zu denken geben. Denn auch wenn wir bereits eifrig dabei sind Arten auszurotten, Landflächen unbewohnbar zu machen und Meere zu leblosen Zonen zu degradieren, wir uns indirekt also bereits die Lebensgrundlage rauben, betrifft uns eine solche Einschätzung direkt. Das ist umso erstaunlicher, denn bisweilen wird dem IPCC ja vorgeworfen, zu beschwichtigen oder zumindest durch wenig dramatisch gewählte Formulierungen der Politik immer wieder Spielraum zu geben, um auf Zeit zu spielen. Die Brisanz, so die Kritiker, wird oft nicht in der entsprechenden Wortwahl geschildert. In besagtem Bericht ist das anders; so steht dort etwa auch: "Das Schlimmste kommt erst noch und wird das Leben unserer Kinder und Enkel viel mehr betreffen als unseres".
Zurück zu unserer Tagespolitik. Der Wahlkampf in Deutschland ist ein fast schon obszönes Spiegelbild dieses Generationenkonflikts. So ist es offensichtlich, dass die Interessensvertreter vorwiegend monetär zu verortende Prioritäten haben, es unseren gewählten Vertretern im Parlament nicht um die Interessen der Bürger oder der Gesellschaft in Gänze geht. Selten ist in einer solchen Klarheit erkennbar, dass nur im hier und heute agiert wird, und die im IPCC-Bericht erwähnten Kinder und Enkel keine Stimme haben. Das Morgen, so die Botschaft, soll sich vom Heute nach Möglichkeit nicht unterscheiden, lediglich in Nuancen. Alles andere seien, so die Botschaft, übertriebene Horrorvisionen, mit denen Angst geschürt werden soll. Das perfide daran: die Politik setzt dabei ganz bewusst darauf, dass sich Menschen, wenn es um Veränderungen und Transformationen geht, gerne etwas vormachen und letztendlich schnell bereit sind, sich belügen zu lassen. Denn wer will sie schon haben, die unbequeme Wahrheit, wenn es gleichzeitig die behagliche Lüge gibt, noch dazu viel günstiger. So muss man dem Gros der Politik leider besagte Ernsthaftigkeit absprechen: Es ist eben erst mal Wahlkampf angesagt, und da geht es nicht um Inhalte als solches. Es geht vielmehr um Dinge, die überdecken sollen, wie wenig wichtig man das Thema letztendlich nimmt und wessen Interessen vertreten werden. Und da sind jetzt die Eigeninteressen noch gar nicht mit gemeint.
Klimaziele
Wir haben verstanden! Selten war sich die Regierung so einig. Unser ach so ambitioniertes Klimaschutzgesetz war nicht der große Wurf, aber das könne schnell korrigiert werden. In einer schon atemberaubenden Geschwindigkeit wurden Ziele hochgeschraubt, die Zeitachsen verkürzt. Sich für seinen eigenen Murks noch selbst zu loben, das ist schon einmalig. Aber die Ziele dennoch nicht ernsthaft anzustreben, das ist genau genommen Wahlbetrug. Klar, es wird erst in ein paar Jahren deutlich werden, aber das ist ja der Trick. Ein Beispiel: Man fordert eine höhere CO2-Abgabe, sagt aber gleichzeitig, dass sie nicht kommen wird oder genauer, sie niemand bezahlen muss. Denn weder der Industrie, noch den Bürgern ist so etwas zuzumuten. Das gleiche gilt für den gehypten grünen Wasserstoff, den man jedoch nicht im eigenen Land produzieren möchte. Denn würde man das tatsächlich wollen, müsste man ja die Gängelung der Erneuerbaren sein lassen. Abstandsregelungen bei Windkraftanlagen bis runter zu Kleinwindkraftanlagen passen einfach nicht zu den propagierten Ausbauszenarien. Am liebsten lagert man die Probleme unserer business as usual-Strategie einfach nach Nordafrika aus, sollen doch die Emissionen woanders reduziert werden. Nur ist das eine Milchmädchenrechnung: Stößt man im Land nicht weniger der gefährlichen Treibhausgase aus, dann kann das durch eine Enthaltsamkeit anderswo nicht kompensiert werden. Wenn wir hierzulande nicht netto weniger in die Luft jagen, passiert kaum etwas. Mal ganz abgesehen davon, dass unsere Wirtschaftsleistung mit großen Emissionen belastet ist, da unsere Werkbänke längst auf der ganzen Welt stehen und es eigentlich nicht sinnvoll ist, bei den Emissionen nur auf das eigene Territorium zu schauen.
Dass immer was „hängen bleibt“ ist dabei im Übrigen ein bekanntes politisches Kalkül, Dreck werfen ein probates Mittel, um selbst nicht als schmutzig wahr genommen zu werden.
Anmerkung am Rande: Um ganz sicher zu gehen, soll in das Klimaschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen übrigens noch ein kleiner Absatz eingeführt werden: „Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen werden durch oder aufgrund dieses Gesetzes nicht begründet“. Nicht dass da jemand auf die Idee kommt, man meine es ernst damit.
Die Probleme der anderen
Aber zum Glück ist die Klimakrise im Zweifelsfall scheinbar immer noch weit genug weg, ob zeitlich, irgendwann in der Zukunft, oder einfach nur räumlich. Wenn es dann passiert, dass in Kanada ein kleines Dorf tagelang die heißesten jemals in Kanada gemessenen Temperaturen ertragen muss, und es schließlich von den Flammen verschlungen wird, so dass die Bewohner gezwungen waren zu fliehen, viele ohne ihr Hab und Gut mitnehmen zu können, dann ist das weit, weit weg. Wenn Landshut unter Wasser steht und wir schon wieder mal ein Jahrhundertregenereignis erleben, dann ist das tragisch. Doch hier können tapfere Feuerwehrmänner und Politiker in Gummistiefeln meist schnell helfen. Zyniker könnten behaupten, dass diese Ereignisse durchaus hilfreich für diejenigen sind, die sie gar nicht verhindern wollen. So lassen sich die Inaktiven als Helfer feiern; sie profitieren gar indirekt von ihrem eigenen Versagen. Das wäre noch die nettere Variante. Aber das wäre zu einfach. Politik ist nicht so dumm, wie mancher glauben mag. Und überhaupt: Wer glaubt, dass Flugtaxis bei der Verkehrswende helfen, macht bei der Hitzewelle auch seinen Kühlschrank auf.
Fazit
1. Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen
2. Lassen sie sich nicht weismachen, Sie seien schuld an dem Dilemma
3. Lassen sie sich nicht weismachen, man nehme die Lage erst
4. Lassen sie sich nicht weismachen, es sei schon zu spät
5. Lassen sie sich nicht weismachen, unser Intellekt und unsere Technik werde uns retten
Anhang:
Ein investigativer Bericht aus den USA zeigt die Skrupellosigkeit fossiler Interessen. Dort kommen Exxon-Lobbyisten zu Wort, die schamlos und ungeniert offenbaren, wie wenig sie unsere Zukunft tangiert. Hierzu vier Aussagen aus dem Film:
- Did we aggressively fight against some of the science? Yes
(Sind wir aggressiv gegen einen Teil der Wissenschaft vorgegangen? Ja)
- Did we join shadow groups to oppose early efforts [on climate action]? Yes, we did. But there's nothing illegal about that.
(Haben wir uns den Denkfabriken und Interessengruppen angeschlossen, um uns den frühen Bemühungen [zum Klimaschutz] zu widersetzen? Ja, das haben wir. Aber das ist nicht illegal.) - Nobody is going to propose a tax on all Americans… A carbon tax is not going to happen.
(Niemand wird eine Steuer für alle Amerikaner vorschlagen... Eine CO2-Abgabe wird es nicht geben.)
- On something like climate change, there’s the forest fires, there’s an increase of, you know, .001 Celsius… that doesn’t affect people’s everyday lives.
(Bei so einer Sache wie dem Klimawandel gibt es Waldbrände, es gibt einen Anstieg von, Sie wissen schon, 0,001 Grad Celsius ... das hat keinen Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen.)
* Zu der Überschrift:
The God Pod (so viel wie “der Sockel, auf dem Götter sitzen“) wird das Exxon-Hauptquartier in den USA intern genannt.
Passend zum Thema:
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