04.06.2021
Die Bedeutung der Technikgeschichte für die Erneuerbaren Energien (2)
Ein Bericht von Götz Warnke
In Teil 1 haben wir uns mit dem Verschwinden von technischen Ideen und Entwicklungen befasst, sowie gezeigt, wie diese irgendwann in anderem „Gewande“ plötzlich wieder auftauchen. So war zu sehen, wie die von Adolf Goetzberger und Armin Zastrow 1983 in der SONNENENERGIE publizierte Studie „Kartoffeln unter dem Kollektor“ in der Wahrnehmung fast „beerdigt“ wurde, dann aber Jahrzehnte später ihre „Auferstehung“ nicht im Bereich Solarthermie, sondern als Agri-PV feierte. Auch diesmal soll nun von ähnlich gelagerten Fällen die Rede sein.
Die Elektromobilität
Jeder ernst zu nehmende Autoexperte zwischen den Jahren 1930 und 1990 hätte ein künftiges Verkehrskonzept mit Massen von E-Autos ins Reich der Phantasie oder der Alpträume verwiesen. Allen Experten war natürlich damals klar, dass die Zukunft nur mit immer verbesserten Verbrennungsmotoren erfolgen kann. Ob dies nun Hub- oder Kreiskolben sein würden; ob die Energie aus Biogas, Erdöl, Pflanzenöl oder Wasserstoff stammen würde: da war sich die Expertenwelt noch uneins, vulgo „technologieoffen“. Immerhin hatte man während und nach dem 2. Weltkrieg auch auf Holzvergaser-Autos und konzeptionelle Dampfmaschinen-Bomber ausweichen müssen. Aber E-Autos im Alltag? Gott bewahre!
Dabei waren E-Autos zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgreich und weit verbreitet. Es gab in allen Industrienationen eine Vielzahl von Herstellern, von denen der wohl Größte die Baker Motor Vehicle Company war. Mit dem Aufkommen des billigen Benzins, des bequemen Anlassers, aber insbesondere mit dem 1. Weltkrieg verschwanden die E-Autos: Es war halt einfacher, notfalls mit Pferdefuhrwerken Benzinkanister an die Front zu karren, als unter ständigem Artilleriebeschuss und den sich ändernden Frontverläufen zuverlässige Stromleitungen und Ladepunkte zu installieren. Und die schweren Blei-Batterien selbst waren für die Transporte auf unbefestigten Wegen nicht ideal.
Im Krieg, insbesondere bei der Fliegerei, wurden zunehmend leichtere und effizientere Motoren entwickelt, während der technische Stand bei den Akkus praktisch stagnierte. Denn letztere wurden in größerer Zahl nur für U-Boote gebraucht, und da spielte das Gewicht keine große Rolle. Auch der 2. Weltkrieg förderte nochmals den Verbrennungsmotor z.B. durch das aus dem Panzerbau übernommene Automatikgetriebe: Das ermöglichte nun – wie beim E-Motor – ein bequemes, schaltungsloses Fahren.
Natürlich waren auch den Ingenieuren zwischen 1930 und 1990 die Vorteile des E-Motors bekannt: Abgasfreiheit, Drehmoment-Stärke, Laufruhe, Rekuperations-Fähigkeit… Aber wegen der zu schweren und leistungsschwachen Batterien konnte man E-Fahrzeuge nur in Nischen einsetzen, wie es z.B. die Hamburger Firma Jungheinrich ab Anfang der 1950er mit ihren elektrischen Plattform-Hubwagen, Gabelstaplern und Elektrokarren tat. Das E-Auto war hingegen „mega out“.
Erst als Sony 1991 den in den 1970ern und 1980ern von den Forschern Whittingham, Goodenough und Yoshino (sie erhielten 2019 dafür den Chemie-Nobelpreis) entwickelten Lithium-Ionen-Akku auf den Markt brachte, änderte sich die Situation. Der neue Akku war deutlich leichter als die zwischenzeitlich entwickelten Nickel-Cadmium- und Nickel-Metallhydrid-Akkus: In der richtigen Dimensionierung konnte er auch größere Fahrzeuge versorgen. Das führte in den „Nuller-Jahren“ zu einer Renaissance des E-Motors. Denn der konnte nun seine Vorzüge ungehindert ausspielen konnte. Es folgte die Renaissance des E-Autos. Denn der E-Motor selbst war nie das Problem, nur seine nicht ortsgebundene Energieversorgung.
Interessanter noch als diese Techniken, die gerade eine Renaissance erleben oder erlebt haben, sind aber jene Ideen der Vergangenheit, die Potential haben, jedoch noch nicht wieder adaptiert wurden. Dies mögen hier zwei Beispiele zeigen.
Die Doppelflügel-Windmühle
Johann Joachim Becher (1635-1682)war ein typischer (Universal-)Gelehrter des Barock: Als Alchemist, Mediziner, Ökonom und Techniker interessierte er sich auf seinen Reisen quasi für alle Wissenschaften. Kurz vor seinem Tode veröffentlichte er sein Buch „Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein Hundert so Politische alß Physicalische Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen“ (Frankfurt 1682), eine Art literarische Wunderkammer. Darin beschreibt er auch ein interessantes Windmühlen-Modell, welches er wohl Ende der 1650er Jahre in Mainz während seines Besuchs bei Prinz Ruprecht von der Pfalz gesehen hat:
„26. Holländische Windmühl mit doppelten Flügeln in Billemmer Meer.
Nichts daucht ohn versucht/ also gehets den Holländern auch/
sie haben mit grossen Kosten dieses Werck gebanet/ welches gantz nicht gut gethan:
ich habe gleichwol bey dem P[r]intz Ruprecht ein Modell gesehen von einer Windmühl/
wie ein Horizontaler Haspel/ welches trefflich gut gethan/
und würde in Grossen eine schreckliche Gewalt thun/ ist aber darum in Grossen nit practicirt/
weil der Printz dafür hält/ man werde diese Mühl/ wann sie im Gang ist/ nicht stillen können.
Sonsten seynd die gemeine Windmühlen eine nicht geringe Invention/ und wer die Ursach weiß/
warumb eine Windmühl herumb gehet/
dörffte vielleicht auch noch wol finden/ eine mit doppelten Flügeln zumachen.“
Was wissen wir vom Original dieser Mühle?
1. Sie stand am Bylmer Meer/Bijlmermeer, einem ehemaligen, ab 1627 entwässerten Torfsee südöstlich von Amsterdam, der heute ein Stadtteil der Metropole ist.
2. Die Mühle hat funktioniert.
3. Sie war wegen ihrer Leistung schlecht zu bremsen.
Heute wird die Technik des Doppelflügels praktisch nicht eingesetzt. Es gibt einige Schlitzflügel-Konzepte und sogar die Analyse "Theoretisch-Numerische Untersuchungen an Schlitzrotoren" von A. Wick und T. Rung, die 1995 an der TU Berlin entstand.
Auch in der Luftfahrt kommt der Doppeldecker praktisch nicht mehr vor, sieht man mal von Einzelexemplaren, bestimmten Auftriebshilfen und Flugzeugkonzepten ab.
Bleiben also drei Fragen:
A. Warum haben die Holländer diese Mühle gebaut? Es gibt im Text zwar keine Begründung. Aber zu der Zeit entwickelte sich in den Niederlanden eine vielfältige Mühlenindustrie, u.a. mit Säge-, Hammer-, Schleif- und Pulvermühlen. Je größer, also länger die Flügel einer Mühle waren, desto mehr Energie lieferten sie, um weitere Sägeblätter etc. anzutreiben. Doch für große Flügel brauchte man große Baumstämme. Genau hier aber gab es eine übermächtige Konkurrenz: die niederländische Flotte mit den Masten für ihre Großkampfschiffe. Also mussten sich die Mühlenbauer alternative Konzepte überlegen.
B. Warum wurde die Doppelflügel nicht weiter genutzt? Seinerzeit waren Mühlen komplexe und teure Hightech-Industrie-Produkte. Noch vor Flügelbrüchen fürchteten die Betreiber nichts so sehr wie Brände: Die kamen gerade bei Mahl- und Sägemühlen immer mal vor, wenn sich eine Mühle nicht rechtzeitig stoppen ließ und „durchging“. Daher dürften viele Müller der schwer zu stoppenden Doppelflügel-Technik reserviert gegenüber gestanden haben.
C. Zu welchem Zweck könnte man die Doppelflügel-Technik heute einsetzen? Heute entfallen die erwähnten „alten“ Argumente. Doch mit Höhen-Vorschriften („Kleinwindanlagen bis 10 Meter“), teilweise unsinnigen Abstandsregeln (10 H wie in Bayern) und Gerichtsurteilen („landschaftsprägend“) gibt es neuen Normen, bei denen ein leistungsfähiger Doppelflügel mit seinen kürzeren Flügeln helfen könnte. Die eigentliche Kunst dürfte dabei die Entwicklung des aerodynamischen Designs sein.
Der Energiestapel
Alte Bücher können interessant sein, wenn man sie nach Jahrzehnten mal wieder liest – so auch Klaus-Dieter Kaufmanns Buch über Energiedächer von 1981.* Vor 40 Jahren, im Zeitalter der noch jungen Solartechnik, findet sich im Bereich der Solaren Wärme eine Vielzahl von Lösungskonzepten. Beispiele sind der Energieabsorber-Zaun, die Energiesäule, die Energiekuppel und u.a. auch der Energiestapel von RWE. Ja, in dieser Frühzeit, als die Erneuerbaren Energien eher ein Kuriosum denn eine echte Konkurrenz für das Stammgeschäft der Energiekonzerne waren, hatten hieran auch die Großen der Energiebranche Interesse.
Der Energiestapel war ein quaderförmiges, von Wasser durchflossenes Rohrsystem, das Umweltwärme aufnehmen und für eine Wärmepumpe bereitstellen konnte. Aufstellungsort sollte das Dach eines Hauses sein. Abgesehen davon, dass vielen Hauseigentümern beim Gedanken eines schweren Energiestapels auf ihrem First schon wegen der Dachstabilität die Haare zu Berge standen, und dass bei Wind den Hausbewohnern ein Orgelkonzert des Jüngsten Gerichts über ihren Häuptern drohte, war der Energiestapel – trotz aller ernsthaften Bemühungen von RWE – auch energetisch nicht sonderlich erfolgreich.
Eine technologische Sackgasse also? Nicht unbedingt.
Im Sommer erreichen die großen, dann meist leeren Gewächshäuser Innen-Temperaturen von 60° Celsius und mehr, weshalb die Lüftungsklappen geöffnet werden müssen. Denkbar ist aber auch, in einem solchen Gewächshaus ohne geöffnete Klappen einen Energiestapel mittels einer Standsäule möglichst dicht unter dem Giebel zu positionieren. Dort könnte er die aufgestiegene Hitze abernten, und über Rohre durch das Innere der Standsäule an einen saisonalen Wärmespeicher (etank, Eisspeicher) abführen. Wind, Regen, Schnee etc. würden den Energiestapel dabei nur indirekt beeinflussen. Die Größe des Gewächshauses, die Größe des Energiestapels, sowie seine Einsatzzeit im Jahresverlauf (Anfang April bis Ende Oktober?) müssten natürlich je nach geografischem Standort berechnet werden.
Fazit
Diese Beispiele zeigen, dass beim Blick auf die „untergegangenen“ Techniken noch die eine oder andere Idee zu heben ist. Jeder kann dabei mitmachen; so kann das Stöbern in alten Büchern, Web-Sammlungen, Patentschriften-Suchmaschinen, ja selbst Museen zu einer produktiven Unterhaltung werden. Die Technik – gerade auch im Bereich der Erneuerbaren Energien – ist ein weites Feld. Und es gibt noch viel zu entdecken.
* Klaus-Dieter Kaufmann: Energiedächer – Energiefassaden, Energiezäune, Energiestapel und andere Energieabsorber, Puchheim 1981