21.05.2021
Bayern 100 Prozent Regenerativ: Aber nur, wenn die Regierung will
Eine aktuelle Zustandsbeschreibung von Heinz Wraneschitz
"Im 'Szenario Energiemix' sieht man, dass in Bayern die Fläche für eine Energieversorgung mit 100 % Erneuerbaren vorhanden ist." Das erklärt - für manche sicher kaum zu glauben - Detlef Fischer, der Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft VBEW.
Doch Fischer vergisst nicht, zu erwähnen: Um das im Flächenland Bayern vorhandene Potenzial für Erneuerbare Energien ernsthaft auszuschöpfen, müsse "der Ausbau in den nächsten 20 Jahren sechsmal schneller vorangehen, als dies in den vergangenen 20 Jahren der Fall war". Auch wenn er es nicht explizit sagt: Um das zu erreichen, dafür muss die Abstandsregel 10H weg.
Die Aussagen des VBEW-Geschäftsführers fußen auf einer aktuellen Studie mit dem Titel "Flächenbedarf durch Erneuerbare Energien in Bayern 2021 (Ist) und 2050 (Potenziell)", erstellt von der altehrwürdigen Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) e.V. im Auftrag des bayerischen Versorgerverbands.
Die VBEW-Studie von der als konservativ geltenden FfE kommt in weiten Bereichen zu ähnlichen Ergebnissen wie eine Untersuchung, die der Bund Naturschutz Bayern (BN) wenige Tage zuvor öffentlich gemacht hat. "100 Prozent Erneuerbare Energien für Bayern" heißt die. Gemeinsame Ersteller: die TU München (TUM) und das Zentrum für Angewandte Energieforschung Bayern e.V. (ZAE).
Die Fragestellung des BN hatte gelautet: Wie kann die Energieversorgung im Freistaat bis 2040 komplett auf Ökoenergien umgestellt werden? Gemeinsam mit mehreren Mitarbeitern hatte TUM-Studienleiter Prof. Hartmut Spliethoff die Ausarbeitung erläutert und am Ende ganz klar festgestellt: "100 Prozent EE: Es geht mit den bestehenden Technologien!" Das Ganze ist auf 72 Seiten nachzulesen.
Laut Spliethoff dürfen aber die Leser*innen "nicht ein Ergebnis herausnehmen, sondern müssen die Zusammenhänge verstehen". BN-Landeschef Richard Mergner ließ es sich nicht nehmen, klarzustellen: "Eigentlich wäre es die Aufgabe von Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, solche Studien erstellen zu lassen." Die Verantwortung der Regierung stellte im Übrigen auch eine Mehrheit der über 200 Zuhörenden der Präsentation fest: Die Bremse der politischen Rahmenbedingungen zu lösen sei unbedingt notwendig.
Damit lieferten sie Gäste den BN-Studienmachern das Stichwort: Die erwarten, wenn einst die komplette Energiewende in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr stattgefunden hat, "ein System, das ganz anders aussieht, als heute vorstellbar". Strom sei dann überall das zentrale Element. Nicht einmal mehr die Solarthermie wird zur Beheizung oder für Warmwasser gebraucht. "Die hat der Optimierer herausgeworfen", sagte Prof. Spliethoff und meinte damit den Algorithmus des genutzten Programms.
Im Basisszenario reicht sogar der aktuelle Ausbauzustand der Übertragungsleitungen aus. Angenommen werden 50 Prozent technisches Einsparpotenzial beim heutigen Stromverbrauch. Um dann die in 20 Jahren benötigte Strommenge für alle drei Sektoren zu produzieren und deren ungleichmäßige Erzeugung zu puffern, seien 36 Gigawatt (GW) Wind-, 67 GW Photovoltaik- (PV) Leistung und 105 GWh Batteriespeicher notwendig.
Die Frei- und Dachflächen für die Verfünffachung von PV seien vorhanden. Doch müsse die windbegrenzende 10H-Abstandsregel aufgehoben werden: Bei einem Mindestabstand von 1.400 Metern zu Wohnungen sei genug Flächen-Potenzial vorhanden für zwölf Mal mehr Windkraft als aktuell.
Für die Überbrückung der Winter seien Gasturbinen und Kraft-Wärme-Kopplung notwendig. Aber betrieben nicht mit Erdgas, sondern mit Kraftstoff, der durch überschüssigen Sonnenstrom produziert werde. "Wasserstoff-Import ist in der Studie nicht enthalten", hieß es außerdem.
Im Schlusswort stellte Prof. Spliethoff noch zwei Dinge klar: Der von Bayerns Staatsregierung immer wieder genannte synthetische Kraftstoff für Pkw sei keine Lösung: "Dann brauchen wir noch viel mehr Energie. Eine kWh im E-Mobil durch SynFuel ersetzen bedeutet fünffacher Energieeinsatz." Und: "Auf Erfindungen würde ich nicht warten." Damit meinte er unter anderem die auch von Zuhörern hochgelobte Kernfusion.
aut Richard Mergner vom BN ist nun die Regierung in der Pflicht, die Energiewende in allen drei Sektoren wirklich anzugehen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz und die bevorstehende Bundestagswahl sah er dabei als optimalen Anschub.
Und auch für Detlef Fischer vom VBEW ist es "gerade beim Windstrom Aufgabe der Politik, das Flächenpotenzial nicht wie heute durch einengende Vorgaben künstlich niedrig zu halten. Denn ohne Windstrom wird die Energiewende auch in Bayern nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand funktionieren."
Warum übt Bundesverband Windenergie Bayern BWE Zurückhaltung?
Ein Kommentar von Heinz Wraneschitz
Es wirkt wie die Anbiederung an Bayerns Staatsregierung: Fast zeitgleich mit der deutlichen Pro-Wind-Forderung des VBEW sieht der "offizielle" Windverband BWE Bayern "auch unter den aktuellen Rahmenbedingungen der 10H-Regelung Wind-Perspektiven".
In einer - warum auch immer nicht online verfügbaren - Presseerklärung des BWE wird Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) so zitiert: "Wir sind auf dem richtigen Weg. Immer mehr Bürger und Kommunen wollen in regionale Energieversorgung mit Wertschöpfung vor Ort investieren. Hier müssen wir mit passgenauen Lösungen die Menschen einbinden. Windräder sind oftmals eine geeignete und effektive Form der Energieversorgung." Da hätte ich erwartet, dass der Verband eindeutig und klar das Ende von 10H fordert. Aber nein: 100 teilnehmende Kommunen an einer Wind-Fachkonferenz werden überschwänglich gelobt. Aber fast verschämt wird auf gerade mal acht neue Windräder hingewiesen, die 2020 im Freistaat neu in Betrieb gegangen sind. Einziger Grund: 10H!
Wenn sogar der VBEW sich traut, das Ende dieser unsäglichen Abstandsregel zu fordern, um sechsmal mehr Windkraftwerke als zurzeit auf Wiesen und in Wälder zu stellen: Warum nutzt der BWE Bayern diese Steilvorlage nicht? Ist der Windverband nur noch ein Bettvorleger der Staatsregierung?