14.05.2021
Atomendlagerbeteiligung als Farce: Zu viel Information
Eine persönliche Betroffenheit schildert Heinz Wraneschitz
"Woll`n wir das wissen müssen? Nein, woll`n wir nicht!" singt Annett Louisan in "Zu viel Information". Und sie hat natürlich Recht, dass man nicht hören will, "Nachbar hat Sex". Manchen ist auch schon "Dein guter Rat - zu viel Information".
Was rund um das Auswahlverfahren zum deutschen Atomendlager passiert: eigentlich müssten wir das sehr wohl wissen müssen. Doch was sind das eigentlich für Infos, mit denen uns zahlreiche Organisationen zurzeit Woche für Woche, ja sogar inzwischen mehrfach pro Tag überfluten?
Vor allem diese drei: Das für die Aufsicht über bestehende und zukünftige Endlager zuständige "Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung", kurz BASE; die Standort-Suchbehörde "Bundesgesellschaft für Endlagerung", kurz BGE; das "Nationale Begleitgremium für ein faires Verfahren", Kürzel NBG.
Es können jedenfalls keine zurzeit wirklich relevanten Erkenntnisse sein. Zwar hat die BGE im September 2020 ihren so genannten "Zwischenbericht Teilgebiete" veröffentlicht. Doch kaum war der raus, rieben sich viele am Atomaus interessierte Bewohner dieses unseres Landes die Augen: Unter ihren Großstädten, Teichen, Tümpeln, Landschaftsschutzgebieten hatte die BGE geeignete Atommülllagerplätze gefunden - 90 Teilgebiete sind im Teilbericht fein säuberlich gelistet. Nur ausgerechnet der jahrzehntelang umhegte und umkämpfte, fast unendlich teure, westdeutsche, aber inzwischen als nur endlich sicher erkannte Atomendlagerstandort im Salzstock Gorleben war nicht mehr dabei. Ansonsten aber fast die Hälfte des Bundesgebiets.
Was fehlt?
Wohl wissend, dass noch nicht einmal die Gutachten der Geologischen Dienste der Bundesländer im Zwischenbericht berücksichtigt sind, ließen BASE und BGE die Maschinerie der offiziellen Bürgerbeteiligung anlaufen. "Fachkonferenz Teilgebiete" heißt das Schlagwort dafür im so genannten "StandAG", dem Standortauswahlgesetz, das der Bundestag 2017 beschlossen hat. Mit bereits festgelegten Terminen genau für jene Fachkonferenz. "Wir halten uns genau ans StandAG", sagen BASE und BGE fast in Dauerschleife. Egal, ob dieser Ablauf Sinn macht oder nicht.
Ich war im Februar bei der ersten Beratungsrunde dieser Teilgebiete-Fachkonferenz online dabei. Und ich habe sie - wie viele andere Teilnehmende auch - fast als Scheinprozess wahrgenommen. Aber die "gesteuerte Selbstbeschäftigung mit Unterhaltungsprogramm", wie es Atomlager-Asse-Aktivistin Heike Wiegel formulierte, ging danach erst so richtig los.
Dass sich die gewählte AG Vorbereitung für die zweite Beratungsrunde zweiwöchentlich trifft, ist einleuchtend. Denn deren Vorarbeit ist wirklich wichtig: Immerhin stellt das ehrenamtliche Team ein Programm zusammen und bereitet Entscheidungen vor, die den Argusaugen der Angestellten- und Beamtenmacht von BGE, BASE und - nicht zu vergessen - aus dem zuständigen Bundesumweltministerium keine Angriffsflächen bieten dürfen. Wer in diese Sitzungen online reinschaut, kommt meist noch mit.
Aber Bürger*innen, die sich einfach mal so an einer der eigentlich für alle offenen, aber inhaltlich klar definierten Themen-AG beteiligen wollen, werden wohl sehr schnell überfahren von den dort anwesenden echte Fachleuten, selbsternannten Experten und Aktivist*innen. Ein nachträglicher Einstieg ist dort eigentlich nicht (mehr) möglich; es sind inzwischen eingefahrene Strukturen entstanden, wie ein Blick in ein x-beliebiges AG-Protokoll zeigt.
Und - wer hätte das gedacht - auch vom Bundestag ausgewählte Begleitgremium NBG lädt laufend "alle Interessierten" zu seinen Online-Veranstaltungen ein. "Alles klar? Kritischer Dialog zum Zwischenbericht Teilgebiete" hieß am 24. April einer dieser Treffs als Ergänzung zur 50. NBG-Sitzung. An diesem Freitagabend standen genau jene Geodienstedaten im Blick, deren Anlieferung die BGE nicht abwarten wollte, bevor sie ihren - wegen dieser fehlenden Daten praktisch unsinnigen - Zwischenbericht "nach Gesetz" ablieferte. Um die 200 Gäste hatten an diesem NBG-"Dialog"-Abend Interesse.
Am nächsten Morgen, einem Samstag, hatte dagegen die offizielle Bürgerbeteiligung der Fachkonferenz zu zwei Workshops geladen. Einer hieß "Geologische Abwägung" - mit praktisch demselben Inhalt und vergleichbaren Diskutant*innen wie bei der NBG-Runde am Vorabend. Daran nahmen insgesamt nur noch etwa 90 Menschen teil. Gerade mal 14 davon gaben sich als Bürger*innen zu erkennen - und selbst unter denen waren einige (Landratsamts-)Mitarbeitende. Berechtigterweise forderte denn auch Andreas Fox von der AG Vorbereitung: "Die Beteiligungsverfahren von BGE und NBG müssen zusammengeführt werden." Doch daraus wird bestimmt nichts: "Weil das so nicht im Gesetz steht" sage ich die Ausrede der Bundesbehörden voraus.
Fazit: Es ist schlichtweg zu viel Information, die auf uns Normalos über das Atomendlager innerhalb kürzester Zeit ausgeschüttet wird. So viel können Menschen nicht aufnehmen und verarbeiten, schon gar nicht neben ihrer Erwerbstätigkeit. Zumal der Kübel-Inhalt oft doppelt und dreifach derselbe ist. Die Menschen werden abgeschreckt, die Beteiligung nach Gesetz ist eine Farce. Aber offiziell ist ja alles soooo transparent, was mit dem Atommüll für unsere Zukunftsgenerationen zu tun hat.
Annett Louisan hat also in ihrem Song "Zu viel Information" ganz offenkundig bereits 2014 an die Wissensexplosion gedacht, die seitens der Behörden seit Herbst 2020 immer wieder nachmunitioniert wird. Denn "Unser Schlaf hängt am Tropf / Von den Bildern im Kopf". Und je mehr Bilder da sind, umso mehr wird der Traum zum Albtraum. Auch beim Endlager.
Mir scheint, als würden die Verantwortlichen momentan alles daran setzen, die Bürger*innen und NGOs gleich am Anfang der erwarteten 50 Jahre Planungs- und Bauphase mit möglichst viel Information vollzuknallen. Damit die später nicht das kleinste weitere Bisschen mehr sinnvoll verarbeiten können. Das könnte verhindern, dass die wirklich Betroffenen ihre Bedenken und Ideen dann einbringen, wenn die Standort-Auswahl ernsthaft vor der Tür steht: Also vielleicht in gut zehn Jahren. Und erst recht nicht mehr, wenn das Loch tatsächlich endlich angebohrt wird.
PS: Am 18. Mai steht die nächste öffentliche Sitzung des NBG an. Darin der TOP 2: „Vorstellung der Ergebnisse der beiden Gutachten zu den Grundsatzfragen zur Berechnungsgrundlage für die Dosisabschätzung bei der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle.“ Ob die „Öffentlichkeit“, die an der anschließenden „Diskussion mit Fragen“ teilnehmen darf, überhaupt verstanden hat, was dieser Studien-Supersatz bedeutet?