07.05.2021
Klimaschutz mit neuer Priorität
Ein DGS-Kommentar zum Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes
Ja, wir dürfen uns freuen. Und wir teilen als DGS die Freude der klagenden Klimaschützer und Vereinigungen wie dem SFV über den Erfolg uneingeschränkt mit. Der Beschluss aus Karlsruhe, den viele als Urteil bezeichnen, wird uns alle voranbringen und gibt uns Rückenwind für unsere Arbeit.
Bremsspuren hat der Beschluss gleich kurz nach der Verkündung hinterlassen, als die Reaktionen aus dem politischen Berlin nicht lange auf sich warten ließen. Wieder einmal durfte schnell an der Glaubwürdigkeit der Politik gezweifelt werden: Minister Altmeier begrüßte den Beschluss, dessen kritisiertes Gesetz er selbst mitgeschrieben hatte, als „groß und bedeutend“. Anders sein Amtskollege Andreas Scheuer: Dieser schwieg zum Urteil - doch auch Schweigen kann eine Aussage sein. Ministerpräsidentin Schwesig befürwortet am Tag der Verkündigung erneut North Stream II. Ministerpräsident Söder dagegen: „Das müssen wir jetzt anpacken“.
Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht sieht den Beschluss als historisch an und warnt davor, ihn zu unterschätzen. Das Gericht habe zwar nur die Regelungen nach 2030 als verfassungswidrig eingeordnet, aber diese Beschränkung war möglich, so Müller, weil der bisherige Reduktionspfad bis 2030 sowieso aufgrund der neuen europäischen Ziele geändert werden muss.
Die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klima-Abkommens ist mit diesem Beschluss letztlich nicht nur völkerrechtlich, sondern auch verfassungsrechtlich als verbindlich zu betrachten.
Und es sei an dieser Stelle nochmals betont: Das Pariser Klimaabkommen ist eine verbindliche internationale Übereinkunft, die bei uns von Bundestag und Bundesrat ratifiziert wurde. Daran sollte man die Abgeordneten und Regierungsführer eigentlich nicht erinnern müssen, aber ich tue das heute trotzdem nochmals. Es ist ein Vertrag, mit anderen Staaten und mit den zukünftigen Generationen, auch wenn diese bei der Unterzeichnung nicht mit am Tisch saßen.
Die DGS begrüßt den BVG-Beschluss außerordentlich, auch weil wir schon die Eckpunkte des Klimapaketes im September 2019 als unzureichend kritisiert haben. „Die DGS erwartet [..], dass mit den geplanten Maßnahmen die Klimaziele 2030 bei weitem verfehlt werden“ war damals in unserer Stellungnahme zu lesen.
Und wir waren beileibe nicht allein: Auch die Klimawissenschaftler hatten damals den Entwurf und später das verabschiedete Klimaschutzgesetz unisono als nicht ausreichend kritisiert, das sollte heute ebenfalls nicht vergessen werden.
Schade, dass viele Köpfe mit Regierungsverantwortung das in den letzten Jahren entweder nicht erkannt haben oder nicht den Mut hatten, danach zu handeln: Schon seit Jahren trommeln viele Klimaschützer, dass das weitere Kohlebaggern in NRW und in der Lausitz oder auch das Projekt North Stream II nicht mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind. Das wurde politisch ignoriert – jetzt kam mit dem Urteil die Quittung dafür.
Und einige Bundesländer machen es vor: In Baden-Württemberg gilt ab 1.1.2022 eine Solarpflicht für gewerbliche Neubauten und Parkplatzüberdachungen, im aktuellen Koalitionsvertrag soll die Pflicht wohl weiter auf Wohngebäude ausgedehnt werden – Details sind dazu leider noch nicht bekannt.
Auch im druckfrischen Koalitionsvertrag in Rheinland-Pfalz ist die Einführung einer Solarpflicht vereinbart, wenn auch dort noch recht unverbindlich formuliert wurde: „Wir werden Windkraft und Solarenergie kräftig ausbauen, um bis 2030 eine Verdopplung der installierten Leistung bei Windkraft und eine Verdreifachung bei der Solarenergie zu erreichen. Dazu werden wir eine Photovoltaik-Pflicht für gewerbliche Bauten und Parkplätze mit mehr als 50 Stellplätzen einführen“. Die Bundesländer Hamburg, Berlin und Bremen haben auch schon Solarpflichten verabschiedet.
Kurzfristige Änderungen erwartet
Kurz nach dem BVG-Beschluss, am 30. April, hat Umweltministerin Svenja Schulze zugesagt, einen verschärften Gesetzentwurf schnell vorzulegen. Und auch ihre Aussage, dass sie sich bei den verschärften Zielen von ihren Sachverständigen leiten lassen möchte, ist zu begrüßen. Doch warum geht das erst jetzt, erst nach höchstrichterlichem Druck? Die Wissenschaftler haben schon vor Jahren auf den Tisch gelegt, was nötig ist. Das es jetzt schnell gehen kann mit dem Entwurf, ist ebenfalls keine Überraschung, standen doch konkrete Ziele nach 2030 schon im ersten Gesetzentwurf des Klimaschutzgesetzes drin, wurden danach aber im politischen Verfahren wieder herausgenommen. Hoffentlich ist dieses Copy-Delete-Copy-Paste nicht die einzige Änderung im neuen Gesetz, erste Ankündigungen wie „Klimaneutralität bis 2045“ lassen dazu hoffen, dass hier mehr kommen wird, aber warten wir mal bis zur nächsten Woche ab.
Und was soll die Politik nun inhaltlich machen?
Nun: Vor allem machen. Nicht abwarten und diskutieren, einfach machen. Mutig neue Ziele und konkrete Maßnahmen ins Klimaschutzgesetz schreiben und dann aber auch gleich auch mit der Umsetzung beginnen. Verschiedene Vorschläge machen derzeit die Runde: Agora Energiewende hat aktuell 6 Eckpunkte zur Änderung des Klimaschutzgesetzes vorgelegt (siehe auch Artikel von Götz Warnke in diesen News)
Auch Vorschläge, um den Ausbau der Solarenergie voranzubringen, gibt es zur Genüge, aktuell hat der „PV Think Tank“ 50 Handlungsempfehlungen veröffentlicht, von denen auch ein Teil gerne schon in dieser Legislatur eingefädelt werden dürfen.
Auch einen Blick wert ist die aktuelle Veröffentlichung „World Energy Transitions Outlook: 1.5°C Pathway (Preview)“, die die weltweite Dimension darstellt. Wichtig ist aber auch: Es muss endlich ein Maßstab her, um den Fortschritt beim Klimaschutz zu messen, wie Stefan Rahmstorf 2019 entlarvend hier beschrieb.
Und wir hätten noch einen Vorschlag: Einfach das Ziel, „100% Erneuerbare bis 2030“, mit dem sich neben der DGS inzwischen eine Reihe von Verbänden und Vereinigungen identifizieren, ausrufen. Eine Diskussion über mögliche Restbudgets nach 2030 hätte sich damit einfach erledigt – das würde einige Arbeit sparen.
Doch so weit sind wir leider noch nicht: Viele Randbedingungen für die Umsetzung von neuen PV-Anlagen bei uns sind derzeit negativ zu bewerten: Die EEG-Vergütung sinkt weiter monatlich um 1,4%, Rohstoffpreise für Stahl steigen weiter, genauso die Modulpreise. Doch im 1. Quartal konnten trotzdem 1,1 Gigawatt neue PV-Leistung aufgebaut werden. Auch die Solarthermie freut sich seit Monaten über eine starken Marktzuwachs.
Doch unabhängig von der aktuellen Situation am Markt: Das Karlsruher Urteil ist ein starkes Signal, dass die Welt bis 2030 noch erneuerbarer versorgt werden wird als bislang angenommen. Alles in die Zeit nach 2030 zu schieben, geht nun nicht mehr. Der Spielball liegt nun wieder in Berlin, die Politik hat als Hausaufgabe neue Randbedingungen für nichts weniger als unsere Zukunft zu setzen. Und mit den Worten der Mitklägerin Luise Neubauer (Aktivistin bei FFF): „Klimaschutz ist nicht nice-to-have, Klimaschutz ist unser Grundrecht“.
Jörg Sutter für das Präsidium der DGS e.V.