19.02.2021
Atommüllendlagersuche und eindimensionales Denken
Ein Gast-Kommentar von Christfried Lenz
Vom 5. bis 7. Februar dauerte die vom Standort-Auswahlgesetz vorgeschriebene digital durchgeführte „Fachkonferenz Teilgebiete“. Viel Zeit ging für organisatorisch-technische Fragen drauf. Und geologische Details standen im Zentrum. Dabei wäre es wünschenswert, dass bei künftigen Anlässen die weitaus relevanteren inhaltlichen Fragen behandelt werden.
Der Zeitplan – völlig unklar
Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt“, legte im November 2019 in einer öffentlichen Veranstaltung in der Altmark dar: die Schätzungen zum Zeitpunkt der Fertigstellung eines Atommüllendlagers reichen bis in die 2070er Jahre. Das aber bedeutet: Wenn es nicht in Kürze einen Quantensprung im weltweiten Ausbautempo der Erneuerbaren Energien gibt, wird dann die Klimaerwärmung in die in keiner Weise mehr zu beeinflussende Selbstverstärkung gekippt sein. Millionen Flüchtlinge auf der Suche nach einem Platz, wo es sich noch überleben lässt, werden bestehende Ordnungen über den Haufen werfen. Das Prinzip wird lauten: „Rette sich, wer kann!“ Zu meinen, dass in solchem Chaos sich noch irgendjemand für eine Atommülllagerung mit „Sicherheit für 1 Million Jahre“ interessieren wird, ist wirklichkeitsfremd.
Klare Schlussfolgerung deshalb: Vorbedingung für eine ordentliche Lagerung des Atommülls ist die Bremsung der Klimaerwärmung. Das Mittel hierfür: der beschleunigte und vollständige Umstieg auf die Erneuerbaren Energien.
Zuerst Energiewende – dann Endlagersuche
Praktisch bedeutet das: Die Endlagersuche selber muss als Druckmittel für den beschleunigten Umstieg auf die Erneuerbaren genutzt, also instrumentalisiert werden. Die Bevölkerung und die Anti-Atom-Organisationen müssen ihre konstruktive Beteiligung an der Endlagersuche davon abhängig machen, dass zunächst die Energiewende hundertprozentig vollzogen wird.
In den drei PROGNOS-Workshops (2016) zur Vorbereitung der Endlagersuche wurde dieses Junktim von einigen Teilnehmern ins Gespräch gebracht. Doch die Leiterin der Veranstaltung, MdB Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) meinte: „Thema verfehlt! - Wir sind hier zusammengekommen, um uns mit der Endlagersuche zu beschäftigen, nicht mit der Energiewende.“ Sie hat also offensichtlich nicht begriffen, was auf dem Spiel steht. Dabei war derartige Replik leider zu erwarten. Denn auch die Grünen sind von ihren ursprünglich ganzheitlichen Ansätzen hinuntergeglitten in das eindimensionale Denken. Dieses aber ist existenznotwendig für eine (unsere aktuelle) Gesellschaft, die sich gerade nicht am umfassenden Wohlergehen aller ihrer Mitglieder orientiert.
Denkt man an die Konferenz zurück, bleibt das Gefühl: Bayern hat sich wohl bereits erfolgreich aus der Endlager-Suche ausgeklinkt. Umso attraktiver wird die Norddeutsche Tiefebene mit dünn besiedelten Gegenden in ihrem östlichen, ehemals zur DDR gehörenden Teil. Dabei soll die Standortwahl ja offiziell ausschließlich nach geologischen Gesichtspunkten erfolgen.
Wie es mit der „wissenschaftlichen Objektivität“ letztlich bestellt ist - auch dies war in den erwähnten Workshops eindrücklich zu beobachten. Unter den Geologen gab es zwei Fraktionen: die eine lehnte Salz als Wirtsformation grundsätzlich ab, die andere betrachtete es als bestens geeignet. Unschwer war zu erraten, dass erstere den Standort Gorleben ausschließen will, während die zweite kalkuliert, dass über etliche Jahre „Endlagersuche“ die wendländischen Kämpfer aussterben und man dann das fertige Lager Gorleben in Betrieb nehmen könne.
Bei der Norddeutschen Tiefebene aber kommt nun wieder die drohende Klimakatastrophe ins Spiel: Wenn wir das erwähnte Kippen der Atmosphäre nicht verhindern, schmilzt sämtliches auf der Erde vorhandene Eis. Das lässt den Meeresspiegel um 66 Meter ansteigen, wodurch die Norddeutsche Tiefebene komplett überschwemmt wird. Mit der „Sicherheit für 1 Million Jahre“ wäre es dann schon nach 1 bis 200 Jahren vorbei.
Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sieht darin aber kein Problem. In der geologischen Vergangenheit ist „die Überdeckung von Gesteinsschichten durch Meere ... keine Seltenheit“. Wenn die „Gesteinsüberdeckung des Endlagerbereiches robust genug ausgelegt“ ist, kann „ein Schaden durch solch eine Überflutung ausgeschlossen werden“ schrieb sie dem Verfasser dieses Kommentars. Das räumt natürlich bei mir sämtliche Sorgen aus – könnte ich jetzt sarkastisch anmerken.
Zweischneidiger Erfolg der Anti-Atombewegung
Mit dem Atom-Ausstiegsbeschluss für Deutschland hat die Anti-Atombewegung Gigantisches geleistet. Sie möchte ihr Werk nun abschließen, indem die Überreste dieser Technologie für immer unter der Erde verschwinden und engagiert sich daher für die Endlagersuche.
Das Endlager ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Die Pro-Atom-Kräfte wollen es nämlich auch, natürlich aus einem anderen Grund als die Anti-Bewegung. In der Kette der Atomtechnologie ist es schließlich das Glied, das noch fehlt. „Ihr habt das Flugzeug gestartet und fliegen lassen, ohne zu wissen, wo es landen kann“, müssen sich die Atomfreunde vorhalten lassen. Mit dem Endlager wäre dieses Manko beseitigt. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die nach wie vor starke Pro-Atom-Lobby im Endlager das genaue Gegenteil vom Ende der Kernenergie sieht. „Jetzt, wo wir die Landebahn haben, können wir in diese ‚klimafreundliche‘ Energie voll und ganz einsteigen“ werden sie sagen.
Doch diese Kalkulation darf nicht aufgehen! Die Anti-Atom-Kräfte müssen genauestens darauf achten, dass das Lager keinen Kubikmeter größer wird als erforderlich, um den in Deutschland bis zum Atomausstieg angefallenen Müll unterzubringen.
Das einzige sichere Mittel zur definitiven Beerdigung der Kernkraft sind freilich die Erneuerbaren Energien. Wer den nachhaltigen Ausstieg aus der Atomenergie ernsthaft will, muss sich für die Beschleunigung der Energiewende einsetzen.