29.01.2021
Bio-Ökonomie - ein wichtiges Puzzlestück der Energiewende
Ein Bericht von Götz Warnke
Die moderne Wissenschaft ist das zentrale Element bei der Problembewältigung in einer immer komplexeren und sich schneller wandelnden Welt. Damit die Wissenschaftsakteure mit den Bürgern ins Gespräch kommen und so der gegenseitige Austausch sowie das Verständnis für die wissenschaftlichen Herausforderungen wächst, gibt es seit 20 Jahren das „Wissenschaftsjahr“ mit jährlich wechselnden Themen. Auch letztes Jahr gab es wieder ein Wissenschaftsjahr zu einem spannenden und wichtigen Thema – nur hat es diesmal kaum jemand mitbekommen. Schuld war natürlich die Corona-Pandemie. Damit das wichtige Thema nicht einfach unbemerkt in der Versenkung der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet, hat man aus dem einen Jahr das Doppeljahr 2020/21 gemacht. Das Thema heißt also immer noch Bioökonomie – „äh, Bio- was?“ fragen sich jetzt viele.
Bioökonomie ist der Einsatz wissensbasierter Biokonzepte auf Basis von Pflanzen, Tieren, Pilzen, Mikroben, Abfällen als Ersatz für erdölbasierte Produkte und Verfahren. Es geht u.a. um nachhaltigere Nahrungsmittel, neue Roh-, Treib- und Werkstoffe. Ziel ist eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die die Materialien möglichst kaskadenhaft mehrfach nutzt. Im Januar 2020 hatte die deutsche Bundesregierung dazu ihre Nationale Bioökonomie-Strategie verabschiedet, die neben neuen Wirtschaftsperspektiven auch der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) dienen soll.
Damit ist die Bioökonomie auch ein wichtiger Teil der Energiewende. Unser Energiesystem beruht ja auf fossilen Bodenschätzen wie Kohle, Gas und vor allem Erdöl. Letzteres ist nicht nur die Basis unseres wichtigsten Treibstoffs, sondern auch eingebettet in umfangreiche chemische und ökonomische Verwertungsprozesse. Erdölraffinerien sind eben nicht nur Röhrensysteme, bei denen dann irgendwo unser Benzin herauskommt. Von Gasen wie Butan und Propan (LPG) über Rohbenzin und Benzin, Kerosin, Diesel, Schmieröl, schwerem Heizöl bis zu Bitumen (Straßenbau) und Schweröl (Heavy Fuel Oil – HFO), das sich als Abfallprodukt des Raffinerieprozesses immer noch als Schiffstreibstoff verkaufen lässt, wird das Rohöl fast vollständig verwertet. Ein großer Teil der Produkte geht zudem an die Chemische Industrie (Erdölchemie), die daraus wiederum eine Fülle hochwertiger Stoffe herstellt – von Pestiziden bis zu Handyhüllen.
Dieses ausgeklügelte und intelligente, aber auch energieintensive und klimaschädliche Gesamtsystem steht natürlich massiv zur Disposition, wenn aus Gründen des Klimaschutzes und drohender Ressourcenknappheit Teile des Systems stillgelegt werden müssen – da ist dann der jahrzehntelange Widerstand der Mineralölwirtschaft nicht wirklich überraschend. Andererseits ist natürlich auch die Chemische Industrie eher an günstigen Rohstoffen interessiert als an der kostenintensiven Umstellung ihrer technischen Verfahren weg vom Erdöl. Doch angesichts der sich verschärfenden Klimakrise gibt es zur Energiewende und zum Abschied von der alten, fossilen Industrie keine Alternative. Und das bedeutet eben auch eine Rohstoff-Wende.
Wie bereits oben erwähnt, ist die Bioökonomie im wahrsten Sinne ein weites Feld: Forschende der Ruhr-Universität Bochum entwickeln einen Chip aus dem Biokunststoff Polymilchsäure (PLA), der Harnstoff als Dünger im Acker kontrolliert freisetzt. Oder es entsteht ein patentierter Schnelltest zur Keimfähigkeit von Saatgut, der die dabei getesteten Samen nicht verbraucht. Da sucht ein Berliner Startup Investoren für seine frisch komponierten Cracker aus Grillenmehl mit Kräutern.
Studierende der Hochschule Bremerhaven entwickeln unter dem Projektnamen „Urban Pergola“ einen Sonnenschutz aus lebendigen Kletterpflanzen wie Efeu oder Nutzpflanzen wie Wein, welche sich an zwischen den Häusern gespannten Stahlnetzen entlang ranken. Ein deutscher Forschungsverbund synthetisiert einen Kaskadenprozess zur Nutzung der antioxidativen Inhaltsstoffe der Mikroalge Tetradesmus wisconsinensise für die Kosmetik. Und Forscher aus Bochum erfinden eine Biosolarzelle, die ein Protein aus Cyanobakterien einsetzt, um auch den bisher nicht nutzbaren Grünanteil des Sonnenlichts in Strom zu verwandeln.
Dies mögen nur einige wenige Beispiele aus dem riesigen Bereich sein, der von winzigen Mikroalgen über Bio-3D-Druck menschlicher Ersatz-Organe bis zu riesigen Bio-Raffinerien reicht. Die unzähligen Projekte unterscheiden sich in ihren Ausrichtungen (ökonomisch, technisch oder rein wissenschaftlich), in ihrer Größe und natürlich auch in ihrer Originalität. Bei manchen Projekten fragt man sich zudem, warum diese sich ausgerechnet unter dem Thema Bioökonomie einordnen, und nicht eher unter etwas anderem wie z.B. Robotik. So entwickelt die Uni Hohenheim einen intelligenten Roboter, der die Bäume der wertvollen Streuobstwiesen selbsttätig beschneidet und sie so erhält. Das ist sicher gut und richtig – aber ist es auch Bioökonomie? Aber die Uni Hohenheim hat ja ihre eigene, „erweiterte“ Definition: „Die Universität Hohenheim versteht unter Bioökonomie – in Anlehnung und Erweiterung der Definitionen, die die EU-Kommission und der Bioökonomierat der Bundesregierung verwenden – Folgendes: Bioökonomie umfasst alle Wirtschaftssektoren, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen einsetzen.“ Aha, na‘ denn …
Natürlich hat die Bioökonomie auch ihre Gegner: Neben der o.a. Mineralöl- und Chemie-Industrie sind das vor allem die Naturschutzverbände. Sie fürchten, dass für den Anbau bioökonomischer Nutzpflanzen wie z.B. Löwenzahn „unberührte Naturräume“ geopfert werden. Ob sie bei diesen „unberührten Naturräumen“ an die Heideflächen denken, auf denen nachwachsende Natur Jahr für Jahr künstlich abgefackelt wird, um die romantischen Heidelandschaften zu erhalten, sei mal dahingestellt. Klar ist jedenfalls, dass auch die nachhaltigsten Rohstoffe und Methoden nichts helfen werden, wenn wir als Industrieländer unseren überbordenden Lebensstil nicht deutlich reduzieren.