04.12.2020
FDP - die neuen Grünen?
Ein kommentierender Erlebnisbericht von Heinz Wraneschitz
Ob Christian Lindner wirklich wusste, was da - fast im Namen "seiner" FDP - über Online-Kanäle ausgestrahlt wird? "Sustainable Finance: Rendite durch mehr Nachhaltigkeit? Der Kapitalmarkt als Treiber für die Umsetzung von Klimaschutzzielen."
Klar, der Titel der Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung liest sich recht sperrig; das passt zur altbekannten FDP. Doch wer den Inhalt in die Sprache von Normalos übersetzt, kommt zum Ergebnis: Die Partei der Großverdiener und Steuersparer denkt über die Zukunft von Menschheit und Erde nach. Eine kleine Revolution also? Ist Gelbmagenta etwa das neue Grün?
FDP-Newbys reiben sich verwundert die Augen! Da sitzen vier Menschen höchst unterschiedlichen Alters in einem sonst menschenleeren Riesensaal auf Hockquadern: Ein Banker, Andreas Wagner, bei der Hypo Vereinsbank für "Sustainable Finance" zuständig. Oliver Köth, "Chief Technology Officer" bei NTT Data Germany; eine Firma, bei der man beim Blick auf die Webseite nicht sofort - oder überhaupt nicht - begreift, was die eigentlich macht. Mit Bettina Stark-Watzinger, der Parlamentarischen Geschäftsführerin der FDP im Deutschen Bundestag, ist auch eine Vertraute des Parteivorsitzenden dabei. Ob also Christian Lindner vielleicht doch weiß, was hier abläuft? Auf jeden Fall sind alle per "Du", auch mit dem Moderator Felix Schiessl vom European Innovation Forum. Schon das Format ist also hipp und der Zukunft zugewandt.
Jedermensch könne "durch Investition in nachhaltige Geschäftsmodelle oder Devestition aus nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen die Balance zwischen Wachstum, Konsum und Zukunftsfähigkeit stärken", lautet Friedels eigene Übersetzung des Veranstaltungstitels. Dem folgt Stark-Watzinger zwar - relativiert aber auch ein bisschen: "Sustainable Finance - ich kann als Anleger etwas bewirken, in dem ich nachhaltig mein Geld anlege. Das ist aber auch ein Stück Innovationsfinanzierung - denn mit Innovation wird alles auch ein Stück effizienter." Warum bislang noch nicht mehr passiert ist, dafür schiebt Köth hauptsächlich den Geldhäusern den Schwarzen Peter zu: "Die Risiken und Chancen zu bewerten, ist Aufgabe der Banken. Und der Anleger kann mit seiner Entscheidung für nachhaltige Investitionen die Politik steuern." Banker Wagner wiederum erkennt zwar die Aufgabe an, "Kunden und Investoren beraten zu müssen. Aber bisher waren Biodiversität oder Schadstoffausstoß nicht bepreist. Jetzt finden diese Faktoren Eingang in die Kosten" - und damit auch in die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen.
Deshalb sei aus ihrer Sicht "Nachhaltigkeit nicht nur ein Mega-Trend, sondern Notwendigkeit", so alle Diskutierenden auf Nachfrage des Moderators. Um diese Nachhaltigkeit im Unternehmen zu bewerten und "Green Washing" zu vermeiden, habe seine Bank "ein einfaches Tool für 15 definierte Branchen", eine Art Barometer, das den eigenen Stand herausfinde. Köth sieht sein Unternehmen sogar per Strategie zu Nachhaltigkeit verpflichtet: Man gleiche den verursachten Schadstoffausstoß gleich zehnfach anderweitig aus.
Klar, jede Ratingagentur habe andere Bewertungskriterien. Deshalb gebe es für Fonds auch unterschiedliche Nachhaltigkeits-Kennzahlen, "aber auch eine gewisse Konvergenz". Banker Wagner empfiehlt zudem die Anlagestrategie, "Firmen im Wandel, den Trend Brown to Green, von Fossil zu Erneuerbar durch gezielte Investitionen zu unterstützen". IT-ler Köth sieht mehr Chancen, in Automatisierung zu investieren, zum Beispiel bei Automobiltechnik, in "Green Tech" oder ins "spannende Thema Wasserstoff, gerade als Ergänzung zu den E-Antrieben auf der Schiene, oder im Schwerlastverkehr".
Und wenn nicht nachhaltig investiert wird?
Aber "was, wenn wir die Transformation nicht schaffen?", fragt Moderator Friedel. "Dann sind wir alle zusammen die Verlierer", antwortet die Abgeordnete Stark-Watzinger. "Dann werden Wohlstandsverluste auftreten. Der Verlust der Biodiversität führt zu weiteren Kosten, die Atmosphäre wird weiter verseucht, endliche Ressourcen verbraucht", malt Banker Wagner ein Schreckensszenario und appelliert, "im Sinne der Generationengerechtigkeit jetzt zu investieren. Je früher, umso günstiger." Auf jeden Fall schlössen sich Rendite und Nachhaltigkeit inzwischen nicht mehr aus, herrscht allgemeine Einigkeit.
Aber wie genau könne der Anleger gewinnbringend und nachhaltig investieren, hakt Dominik Friedel nach. "Fähige Bankberater ansprechen. Unsere 100 geschulten Sustainable Finance Experts kennen die über 40 Nachhaltigkeitsfonds in Deutschland. Und ständig kommen neue dazu", betreibt Andreas Wagner ziemlich heftige Eigenwerbung für sein Geldhaus. Bettina Stark-Watzinger empfiehlt dagegen, jede*r müsse "sich selber damit auseinandersetzen, sich nicht nur auf Politik oder Finanzberater verlassen". Oliver Köth schlägt vor: "Die klassischen Begriffe von Wohlstand und Wachstum bei der Investitionsentscheidung ergänzen um Qualität. Geschäftsmodelle mit Qualität sind erfolgreich, auch bei geringerem Wachstum." Passend dazu ergänzt Banker Wagner noch den Begriff "Zufriedenheit. Auch der gehört zu Wohlstand", wie ein Blick auf die Menschen in Neuseeland zeige.
Doch irgendwann schlägt bei der Politikerin Stark-Watzinger die altbekannte FDP-Floskelei trotzdem wieder durch: "Transformation ist nicht auf dem Reißbrett zu planen. Wir werden auch Irrwege gehen und dann umsteuern müssen." Sprich: Der Markt wird`s schon richten.
Und auch nach eineinhalb Stunden Online-Berieselung bleibt eine Grundsatzfrage offen: Warum fiel in der ganzen Diskussion kein einziges Mal das Wort "Eigenstromversorgung", warum gab es keinen noch so kleinen Hinweis, dass auch eine Photovoltaik-Anlage auf dem eigenen Dach und ein Stromspeicher im Keller eine nachhaltige Investition ist? Daran denken wohl doch nur "echte" Grünlinge - ob in einer anderen Partei oder einfach umweltbewusst und zukunftsorientiert.