20.11.2020
Der Klimawandel in Mitteldeutschland
Ein Bericht von Tatiana Abarzúa
"Wir leben hier mitten in den Folgen der Klimakrise", sagte Claudia Dalbert. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalt betonte, dass es in dem Bundesland bereits drei Jahrhunderthochwasser innerhalb weniger Jahre gab. 2002 an der Elbe, 2011 an der Saale und 2013 an Elbe und Saale zusammen. Das Hochwasser habe zu massiven Schäden für Menschen, Natur und Vermögen geführt. Prof. Dr. Dalbert ist eine der Referentinnen einer Podiumsdiskussion zum Thema "Globale Veränderung - lokale Wirkung. Wie der Klimawandel das Leben in Mitteldeutschland verändert", die Anfang November stattfand. Organisatoren dieser Onlineveranstaltung waren die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und das Netzwerk Fridays For Future aus Halle (Saale). Die weiteren Podiumsgäste waren der Chef-Klimatologe der Munich Re Ernst Rauch, der Klimaforscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Stefan Rahmstorf und der Biodiversitätsexperte des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Prof. Dr. Josef Settele.
Frau Dalbert nannte weitere Wettereignisse, die das Erleben der Klimakrise in Sachsen-Anhalt beschreiben. 2017 haben Tiefdruckgebiete zu einem Starkregenereignis im Harz geführt, mit Hochwasser, das auch teilweise von kleinen Bächen verursacht wurde. An über 30 Orten gab es zudem Schlammlawinen. Im darauffolgenden Winter ereignete sich der Sturm Friederike, der in Sachsen-Anhalt zu mehr Schäden als Kyrill (2007) führte. 2018 war das wärmste Jahr der Wetteraufzeichnungen, 2019 das zweitwärmste, beide mit Dürre und Hitze. "Dieses Jahr ist wieder zu warm und immer noch zu trocken, auch wenn wir in den letzten Wochen deutlich Regen gehabt haben", so Dalbert im Rückblick auf 2020. Bodenwasservorräte in 1,60m Tiefe sind bekannte Indikatoren: "der Bodenwasservorrat war das letzte Mal im April 2018 gefüllt". Wie die Ministerin betonte, ist dieser Wasservorrat "für Bäume entscheidend". Zudem wies Dalbert auf Klimaprognosen hin, die für die Zukunft wärmere Temperaturen und mehr Extremwetterereignisse ankündigen.
Nach eigenen Angaben ist es für Frau Dalbert wichtig, den Fokus auf Lösungsansätze zu setzen, um Krisen wie die Klimakrise zu bewältigen. Eine Strategie, die Sachsen-Anhalt verfolgt, ist der Aufbau klimastabiler mehrschichtiger Mischwälder: durch Wiederaufforstung, dem Einsatz von fünf Baumarten je nach Standort, der Berücksichtigung von Bäumen unterschiedlichen Alters und der Förderung von Waldrändern. Sie bezeichnet das als einen Schritt zur Klimafolgenanpassung, da Wälder Kohlenstoffdioxid speichern. Um Hochwasserschutzflächen einzurichten, hatte das Bundesland 2016 weit über 4.000 Flächen der staatlichen Firma "Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG)" aufgekauft. Diese Flächen nutzt Sachsen-Anhalt um Deiche zu verlegen und Polder (eingedeichtes, gewässernahes Gelände) zu bauen oder als Eintauschflächen für landwirtschaftliche Gebiete. "2020 erlebte Sachsen-Anhalt den dritten Dürresommer in Folge", sagte Dalbert, "das dritte schwere Jahr mit Gewinneinbüßen und kaum noch Liquidität für Landwirte und Landwirtinnen". Konsequenterweise forderte sie eine Diversifizierung der Landwirtschaft. Auch die Stadtplanung müsse sich ändern. Nach Meinung der Politikerin sei diese noch nicht auf Wetterveränderungen vorbereitet und müsste etwa mehr Frischluftschneisen in Städten berücksichtigen, um zu vermeiden, dass Menschen Probleme mit der Hitze haben. Beispielsweise hatte eine Messung in der Stadt Halle gezeigt, dass es einen Temperaturunterschied "zwischen Innenstadt und Außenbezirken von bis 7 °C" gibt. Weitere Strategien in Sachsen-Anhalt sind der Ausbau von Erneuerbaren Energien, die Installation von Solaranlagen auf Dachflächen und die Nutzung von Abwärme in Industriebetrieben.
Herr Rauch berichtete, dass die deutsche Rückversicherungsgesellschaft Munich RE "seit über 40 Jahren Naturkatastrophenschäden weltweit in den verschiedenen Ausprägungen wie Stürme, Überschwemmungen, Hagelereignisse und andere Gefahrentypen" erfasst. "Die ganz großen Schadensereignisse in Deutschland und in Europa" sind demnach schwere Winterstürme, wie 1990 in Deutschland. Weitere Extremwetterereignisse bei uns waren große Überschwemmungen in den Jahren 2002 und 2013. "Diese Spitzenschäden und Spitzenereignisse haben in Deutschland insgesamt volkswirtschaftliche Schäden von zum Teil jenseits 10 Mrd. Euro angerichtet", wie Rauch resümiert. Außerdem habe sich "das Grundrauschen von kleinen und mittelgroßen Ereignissen sowohl in der Häufigkeit als auch in der Schadenhöhe erweitert". Dieses bezifferte er für Deutschland "in einem mittleren Jahr" auf 3 bis 4 Mrd. Euro an volkswirtschaftlichen Schäden. "Etwa die Hälfte davon zahlt die Versicherungswirtschaft, insbesondere weil viele Bürgerinnen und Bürger bei den Elementargefahren wie Überschwemmungen heute eben noch nicht versichern, bei den Stürmen ist der Anteil Versicherter viel größer", sagte Rauch. Die regionale Auflösung der Daten auf kleinräumige Gebiete sei jedoch noch eine Herausforderung. Rauch zufolge ist Mitteleuropa "eine vom Klimawandel eher moderat betroffene Region". Die Analyse von Wettermusterveränderungen habe bei Konvektivereignissen wie Schwergewitter mit Ausprägungen von Starkniederschlägen und Hagel eine Veränderung meteorologischer Parameter synchron zu Schadensveränderungen aufgezeigt. Trotz solch starker Indizien ist seiner Meinung nach "für eine Quantifizierung des Anteils 'was-ist-schon-Klimawandel' Vorsicht angesagt, da es ebenfalls noch verschiedene andere Effekte und Treiber gibt", wie etwa eine bevorzugte Wohnlage nahe an Wasserflächen.
Der Klimatologe Prof. Dr. Rahmstorf zeigte eine Grafik, die den Verlauf der Erderwärmung veranschaulicht. Der Ausstoß fossiler Emissionen in den letzten hundert Jahren hat "die Abkühlung seit dem mittleren Holozän mehr als wettgemacht" (siehe Abbildung). Das Diagramm basiert auf jahrzehntelanger Paläoklimaforschung unter Nutzung weltweiter Daten aus Sediment- und Eisbohrkernen. Laut Rahmstorf sind "die Temperaturen heute sehr wahrscheinlich im globalen Mittel höher als jemals in der Geschichte des Homo Sapiens." Das würden die Menschen vor allem in der Zunahme von Extremwettereignissen wie Hitzewellen und Extremniederschlägen spüren. Rahmstorf wies darauf hin, dass die physikalischen Gründe für die weltweite Zunahme von extremen Regenereignissen auf der Hand liegen: "Warme Luft kann pro Grad Erwärmung 7 Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und dann entsprechend bei der passenden Wetterlage mehr abregnen." Zudem gebe es inzwischen keinen Tag mehr, an dem das Wetter nicht bereits von der globalen Erwärmung beeinflusst sei. Kurzum: "Wir haben einfach jeden Tag auf der ganzen Welt Wettersituationen, die es ohne die zusätzliche CO2-Menge in der Atmosphäre nicht geben könnte", so Rahmstorf.
Der Biodiversitätsforscher Prof. Dr. Settele ist Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen und Experte für die Bereiche "Schutz und evolutionäre Biologie von Insekten" und "Biodiversität und Landnutzung". Er betonte die Bedeutung der Artenvielfalt "als Basis von ganz vielen Gegenmaßnahmen" auch in der Waldnutzung. Ein Phänomen, das er beobachtet hat, ist die "Verschiebung der jahreszeitlichen Aktivitäten in Mitteleuropa". Diese könne dazu führen, dass die Synchronisation etwa von Blühzeitpunkten und Bestäubung dadurch verloren gehe. Beispielsweise wurden Schwierigkeiten beim Obstanbau beobachtet.
Die Aufzeichnung des Livestreams steht hier im Internet zur Verfügung