30.10.2020
Atommüll auf den Kopf gestellt
Ein zwiespältiger Debattenbeitrag von Heinz Wraneschitz
Der Deutsch-Schweizer Architekt und Ingenieur Volker Göbel propagiert, die Atommüll-Endlagerei radikal und völlig neu zu denken: Senkrecht sollen sie sein, die Löcher für die abgebrannten Stäbe aus den Atomkraftwerken dieser Welt. Das klingt interessant - und kostengünstig. Doch was ist dran an der Idee?
Bislang werden Atommüllendlager allüberall nach dem Bergwerksprinzip erforscht: Ein Schacht, vielleicht sogar befahrbar wie in Finnland, führt nach unten in die Tiefe des Lagerkellers. Und dort werden waagerechte Stollen ins Gestein getrieben mit Höhlen für jene Atommülleimer, die in Deutschland Castoren heißen.
Das kostet natürlich massiv Geld; zig Milliarden Euro sind in Deutschland dafür vorgesehen. Denn beispielsweise müssen die Stollen gestützt werden, damit sie nicht einstürzen, wenn die gelb-schwarzen Mülldosen dort unten hin und her gekarrt werden. Der Schacht muss - jedenfalls in unserer Republik - dagegen offen bleiben, damit auch in den nächsten 500 Jahren der strahlende Müll wieder an die Oberfläche geholt werden kann. Warum auch immer: So schreibt es das hiesige Endlagergesetz vor.
Kritik an der Endlagersuche
Michael Mehnert betreibt seit fast zehn Jahren die nichtkommerzielle Webseite mit dem Namen Endlagerdialog. Dort schreibt er: "Die Fixierung des Bundesumweltministeriums auf Gorleben ist Ausdruck eines primitiven Politikstils. ... Hier alternativlos und damit unwissenschaftlich zu denken und womöglich zu handeln, ist unverantwortlich. Doch alternativlos ist hier illegal." Passend dazu hat er auch jede Menge Material zum Endlagerthema zusammengetragen, das seinesgleichen sucht - außerhalb von Ministerien oder Forschungseinrichtungen zumindest.
Vielleicht haben ja die Wissenschaftler*innen, die den vor wenigen Wochen präsentierten Zwischenbericht für potenzielle Atommüll-Endlager-Standorte erstellt haben, vorher bei Michael Mehnert vorbeigeschaut: Jedenfalls ist das über viele Jahre und oft fast bürgerkriegsähnlich umkämpfte Gorleben nicht mehr unter diesen 90 Standortflächen zu finden. Und das, obwohl die halb Deutschland umfassen.
Diese "Good 90" sollen bis 2031 auf zwei konkrete Standorte zusammengedampft werden. Aus denen wiederum soll der Bundestag dann - vielleicht im Schni-Schna-Schnupp-Verfahren - den endgültigen auswählen. Dafür wurde ein mehrstufiges Bürgerbeteiligungsverfahren installiert. Die DGS-News waren beim ersten Aufschlag sogar live dabei.
DBHD - was ist das?
Doch weder auf der zur Öffentlichkeitsbeteiligung gehörenden "Infoplattform" noch auf der Suchmaschine von endlagerdialog.de findet sich jenes Kürzel, das die eingangs genannte Radikalwende, das Auf-den-Kopf-Stellen für Atommülllager bringen könnte: DBHD. DBHD steht für Deep Hole Big Disposal; es geht dabei ganz konkret um ein tiefes Loch als Lagerstätte für Atommüll.
Volker Göbel hat sich seit vielen Jahren mit der Thematik beschäftigt, wohl hunderte Zeichnungen von seiner senkrechten Lochlageridee erstellt, zig Briefe an für Atommüll Verantwortliche auf der ganzen Welt geschrieben. Er ist sicher: Sein DBHD-HLW kann auch hochstrahlenden, langlebigen "High Level Waste" (HLW) gasdicht lagern - und ihn auch nach 500 Jahren noch wieder aus der Erde bergen, wenn gewünscht.
Diese DBHD-Idee ist Göbel bereit, auch den bundesdeutschen Endlagersuchstellen BGE oder BASE zur Verfügung zu stellen, oder richtiger ausgedrückt: zu verkaufen. Was nach seiner Meinung jeden Euro wert ist. Auf seiner Webseite sind auch Preise genannt: für ein Telefongespräch, für ein Treffen, für einen Auftritt auf einer Konferenz. Nicht zu vergessen: Sogar Anteile an den Urheberrechten für das DBHD hat Volker Göbel zu verkaufen. 1% kostet gerade mal 150.000 $. Und für eine Länderlizenz sind 6.000.000 $ auf den Tisch zu legen.
Ob für Kanada, die USA, China oder einfach international: der Endlagerfachplaner hat seine Ideen bereits vielfach zu Papier gebracht - und auch veröffentlicht. Mit einem Bohrer von bis zu 12 Metern Durchmesser sollen die Löcher in den Boden gedrillt werden, die dank eines besonderen Seils 2.000 Meter in die Tiefe reichen können. Sind die Castoren einmal drin im Loch, schließt der Erd-Druck oberhalb der Mülleimer das Loch ganz automatisch hermetisch ab.
Wohin mit dem überschüssigen Atom-Müllgebühren?
Dass dieses DBHD-Verfahren wesentlich billiger ist als das bisher gedachte, bei dem erst Stollen waagrecht in die Atommüll-geeigneten Schichten getrieben werden müssen, ist nachvollziehbar. Göbel empfiehlt deshalb: Gebt den Rest der zig Milliarden Euro, die fürs Endlager eingeplant sind, jenem Bundesland, das sich als Standort zur Verfügung stellt. Vielleicht würden sich ja die Menschen dort leichter mit dem Müll unter ihren Füßen abfinden: dank neuer Turn- und Konzerthallen, Sportanlagen, Tourismusangebote oder Eisenbahnlinien?
Ein Problem aber hat Volker Göbel bis heute: Offensichtlich will ihm fast niemand so recht zuhören und vertrauen, zumindest hierzulande nicht. Dabei hat er jede Menge Erfahrung aufzuweisen, wie im "Stellengesuch" auf seiner Webseite nachzulesen ist.
Und dieses Fachwissen würde er der Bundesrepublik sogar fast umsonst zur Verfügung stellen. So jedenfalls liest sich seine sehr umfängliche Bewerbung um die Stelle als Vizepräsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung BASE. Ein Hinweis vorm Anklicken sei erlaubt: Nicht nur die 98 Seiten, auch die 72 MB sind nicht ganz ohne.
Leider war es dem Autor dieses Debattenbeitrags nicht möglich, nach einem Erstgespräch im September noch einmal mit Volker Göbel zu sprechen. Eine Nachfrage beantwortete dieser per Mail zuletzt recht kryptisch: "Es geht nicht um mich. Das ist keine Ego-Show, sondern die Entwicklung der Endlager-Planung für die NPP-Länder", also Staaten mit Atomkraftwerken. Wie weit die Entwicklung irgendwo außerhalb der Bundesrepublik gediehen ist? Keine Antwort. Schade eigentlich.