16.10.2020
Die BEE-Forderungen zur Wärmewende
Ein Bericht von Götz Warnke
Das Jahr 2021 ist kein Jahr wie jedes andere: Es ist nicht nur das erste Jahr in einem Jahrzehnt, in dem sich entscheiden wird, ob die Menschheit einer selbst verursachten Klimakatastrophe noch entrinnen kann. Es ist auch ein Jahr, in dem eine Bundestagswahl darüber entscheidet, welche klimapolitische Richtung Deutschland nimmt - immerhin eine führende Industrienation, die viele Jahre als Vorreiter der Energiewende galt, bis sie dann zum Mittelmaß hinabsank. Da bis zur Wahl nur noch 11 Monate ins Land gehen werden, positionieren sich natürlich jetzt schon Verbände mit ihren Forderungen, die noch rechtzeitig in die Wahlprogramme der verschiedenen Parteien Eingang finden sollen. Und so hat jetzt der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) ein 20seitiges Papier vorgelegt, das unter dem Titel "Krisen überwinden, Wachstum stärken, Wohlstand sichern" die Kernforderungen für die Bundestagswahl 2021 beim Ausbau der Erneuerbaren Energien im Wärmesektor zusammenfasst. Immerhin ist ja der Wärmesektor genau der Bereich, der noch am weitesten von der vollständigen Dekarbonisierung entfernt ist.
Nach einer im Hinblick auf die Leistungen der derzeitigen Bundesregierung diplomatisch zurückhaltend formulierten Einleitung ("Die klima- und energiepolitische Bilanz im Wärmesektor der sich nunmehr dem Ende entgegen neigenden Legislaturperiode fällt aus Sicht des BEEs gemischt aus"), die so gar nicht dem desaströsen Wirken wie beim ungenügenden Klimaschutzprogramm 2030 oder beim Fehlen ambitionierte Ausbauziele im Wärme- und Verkehrssektor Rechnung trägt, wendet sich das Papier dem Wärmesektor zu.
Der Wärmesektor
Dieser hat heute einen Anteil von rund 52 Prozent (ca. 1.300 TWh) am Endenergiebedarf, ist hochgradig fossil betrieben und emittiert jährlich 300 Mio. t CO2. Ein Ausbau der Erneuerbaren Wärme (EW) würde dabei nicht nur die Emissionen reduzieren, sondern auch das heimische Handwerk fördern und einen Devisenabfluss durch die abhängig machenden, fossilen Energieimporte verhindern. Dabei gibt es für die verschiedenen Anwendungsfelder der EW unterschiedliche Perspektiven:
- Gebäudesektor und Heizungsmarkt: In diesem Wachstumsmarkt (überalterte Heizungsanlagen) geht es vor allem darum, die Technologieführerschaft im Inland zu behalten (die PV ist ein warnendes Beispiel), im Handwerk ausreichend Facharbeiter zur Verfügung zu haben, und die Wachstumspotentiale gegen den durch die Corona-Krise bedingten Arbeitskräfteüberschuss einzusetzen.
- Nah- und Fernwärme: Die Nutzung der strukturpolitischen Chancen bei der Installation von EW-Einheiten betrifft die Wertschöpfungsketten bei den Anlagenherstellern (auch Technologieexporte), bei Planungs- und Bauunternehmen, vor allem auch im regionalen Zusammenhang.
- Industrie: Hier stagniert der Treibhausgas-Ausstoß bei rund 190 Mio. t/Jahr, was 60% der o.a. 300 Mio. t des Wärmesektors ausmacht. Nun gilt es, insbesondere die Hochtemperatur-Bedarf bei Industrieprozessen biogene Brennstoffe sowie strombasierte PtX-Technologien zu decken. Dazu ist sowohl die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien auszubauen - der BEE verweist hier aus sein Szenario 2030 vom Mai 2019 (aktualisiert März 2020) - als auch die Strom- und Wasserstoff-Netze auszuweiten.
Allgemeine Regulatorik/Gesetzgebung
Der Aufbruch zur Erneuerbaren Wärme (EW) wird durch eine Vielzahl von Gesetzen beeinflusst, die nicht direkt oder ausschließlich etwas mit EW zu tun haben:
- Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) legt zwar die Minderungspfade bei den Treibhausgasen aller Sektoren bis 2030 fest. Doch es fehlt nach dem BEE hier an einer Festschreibung der Klimaneutralität in 2050 als rechtsverbindliches Ziel, sowie die "Benennung von sektorspezifischen Emissionszielen für die Jahre 2040 und 2050; zumindest für den Zeitraum 2030 bis 2040 sollten jährliche Minderungsziele für die einzelnen Sektoren festgelegt werden." (S.9)
- Der Europäischer Emissionshandel (EU-ETS) leidet unter den Zertifikate-Überschüssen. Die Initiative der Bundesregierung zur Einsetzung von Mindestpreisen ist insofern sinnvoll, als dass die Höhe dieser Preise auch ein Lenkungsniveau entwickelt.
- Der Nationale Emissionshandel (nEHS) beinhaltet zum Jahreswechsel 2020/2021 auch die nicht vom EU-ETS erfassten Emissionen. Während es bis 2026 dafür noch Maximalpreise gibt, sollte man ab 2027 im Sinne eines effektiven Klimaschutzes Mindestpreise einführen.
- Strompreisreduktion und Sektorenkopplung werden dadurch behindert, dass staatliche Auflagen/Eingriffe den Strom teuer machen, was wiederum die strombasierte Wärme (Wärmepumpe!) behindert. Gegenwirken können hier u.a. Ausgleichsregelungen und die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau.
Spezifische Regulatorik für die Erneuerbare Wärme
- Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist bisher unzureichend und daher weiter zu entwickeln, z.B. durch verstärkte Nutzungspflicht von Erneuerbaren Energien - sowohl im Sinne von verpflichtenden Mindestquoten als auch im Altbau - , durch Ausweitung des Betriebsverbots für über 30 Jahre alte Heizkessel auf Niedertemperaturkessel, durch Festlegung eines Niedrigstenergie-Gebäudestandard im Neubau etc.
- Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) sollte u.a. bezüglich der Förderung von fossil befeuerten Gas-Brennwertkesseln eingestellt werden, und in Fossil-Erneuerbar-Hybriden sollte nur noch der erneuerbare Anteil gefördert werden.
- Das "Mieter-Vermieter-Dilemma" (Kostenübernahme bei Heizungsumstellungen) im Mietwohnungsmarkt muss aufgelöst und die geltenden Regelwerke in diesem Marktsegment auf Hemmnisse überprüft werden.
- Die leitungsgebundene Wärmeversorgung, also Fern- und Nahwärmenetze, ist durch den hohen Kohle- und Erdgas-Anteil überwiegend fossil-basiert. Er muss zügig reduziert werden - z.B. durch die verpflichtende Anhebung des Anteils der Erneuerbaren Energien in den Wärmenetzen um jährlich zwei Prozent - , zumal Fernwärme auf Basis von Solarthermie, Erd- und Umweltwärme bisher praktisch keine Rolle spielt.
- Der "Bonus für Innovative Erneuerbare Wärme" (EE-Wärme-Bonus) im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) wird vom BEE zwar begrüßt, sollte nach seiner Ansicht aber u.a. um eine Großwärmepumpen-Förderung auch für Niedertemperatur-Wärmequellen ergänzt werden, die unterhalb der jetzigen Netztemperaturen liegen.
- Ein Markt-Design für Erneuerbare Fernwärme soll geschaffen werden, das u.a. den Einspeisevorrang für erneuerbare Wärme, die verpflichtende Bereitstellung öffentlicher Flächen für EW-Anlagen zur kommunalen Wärmeplanung, die Öffnung von Wärmenetzen zugunsten Dritter beinhaltet.
Soweit die Forderungen des BEE
Was fehlt?
1. Innerhalb des Wohnungseigentumsgesetzes (WoEigG) sollte - analog zum Recht auf eine Ladestation am eigenen Autoabstellplatz - eine Möglichkeit eröffnet werden, die zum eigenen Anteil gehörenden Dach- und Außenwandflächen ohne Zustimmung der Miteigentümer für Solarthermie zu nutzen, wenn wie z.B. bei Reihenhäusern eine eigene Heizungsanlage vorhanden ist.
2. Kälte-/Wärmenutzende Gewerbebetriebe (Kühlhäuser, Brauereien etc.) sollten grundsätzlich verpflichtet werden, einen Anteil ihrer benötigten Wärme auf dem Gewerbegrundstückt selbst zu erzeugen. Dies kann durch Geo- oder Solarthermie bzw. Abfall-Biomasse (Brauereien) geschehen.