15.05.2020
Windanlagen-Rückbau: reicht das Geld?
20 Jahre und kein bisschen müde! Und das soll jetzt alles gewesen sein? Schon mit der kommenden Jahreswende müssen sich die ersten 1.500 der vieltausend Windkraftwerksbetreiber in Deutschland dieser Frage stellen. Denn deren Stromvergütung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz läuft Ende 2020 aus. Und finden sie keine andere Möglichkeit, die Ökowindenergie wirtschaftlich zu vermarkten? Dann führt kein Weg am Rückbau der Anlage vorbei. Selbst wenn die immer noch voll im Wind steht.
Mehr Recht als Technik
Wie aber geht das - Rückbau? Technisch gibt es da weniger Probleme als rechtlich. Das war spätestens am Ende des BWE-Webinars „Umfang der Rückbaupflicht und notwendige Absicherung“ aber auch jedem der fast 60 Teilnehmer klar. Der Bundesverband Windenergie hatte geladen, und Banker, Projektierer, Stromkonzerne, Förster, Steuerberater hatten sich eingeloggt. In der Mehrzahl waren aber Anlagenbetreiber der Einladung des Verbands gefolgt.
Der BWE hatte denn auch keinen Ingenieur als Referenten verpflichtet, sondern einen fachkundigen Anwalt: Peter Sittig-Behm, promovierter Jurist aus der Leipziger Kanzlei Prometheus.
So räumte Sittig-Behm mit einem Missverständnis auf, dem viele Betreiber bis heute unterliegen: Repowering ist nicht immer gleichbedeutend mit Neubau einer Anlage an der gleichen Stelle. „In Schleswig-Holstein werden die Regionalpläne gerade wieder aktualisiert und Repowering-Standorte ausgewiesen. Dafür müssen im umliegenden Bereich Einzelstandorte aufgegeben werden.“ Rückbau sei deshalb gerade dort „ein aktuelles Thema und wird immer akuter“: Im Norden entstanden gerade zu Beginn der EEG-Ära die meisten Windkraftanlagen (WKA).
Zwar werde erst seit 20. Juli 2004 von den Betreibern jeweils eine sogenannte „bauliche Rückbauverpflichtungserklärung verlangt. Doch was ist mit den WKA von vorher? Was ist die Rechtsgrundlage? Wieso kann bei denen jemand den Rückbau verlangen?“ fragte der Referent und gab auch gleich die Antwort: „Wegen der Erlasse der einzelnen Bundesländer. Jedes hat andere Vorstellungen, jede Behörde auch. Wir sind noch im >Wilden Westen<“, stellte er fest und sprach von „unausgegorenen Vorstellungen der Politik. Doch die versucht, einen Roten Faden zu finden.“
Momentan orientierten sich offensichtlich viele Länder am Rückbauerlass des Landes Schleswig-Holstein, veröffentlicht erst am 22. April 2020, also vor wenigen Wochen. Deshalb ging der Jurist besonders auf diesen Erlass intensiv ein: Der sei „vom Grundsatz her umfassend“.
Aktuell jedoch müssten „bei allen Betreibern in Niedersachsen die Alarmglocken schrillen: Der dortige Erlass fordert den Rückbau zum naturhaften Zustand. Ich halte das für zu weitgehend. Aber gerade dort könnten die Behörden dies für bare Münze nehmen und es von Ihnen verlangen“, schreckte Peter Sittig-Behm die Teilnehmer auf.
Denn „harte gerichtliche Fakten“, also rechtsverbindliche Urteile von Bundesgerichten, wie weit die Pflicht zum Rückbau gehen dürfe, gebe es nicht. Das gelte, so der Referent, selbst für den Beschluss des Hessischer Verwaltungsgerichtshofs 3 UZ 2619/03 vom 12.01.2005. Darin steht: „… ist nicht nur der Ausbau des oberirdischen Teils der Windkraftanlage geboten, sondern auch die Entfernung des Betonfundaments.“ So bezweifele Hessens Umweltministerium bis heute, dass die von den VGH-Richtern genannte Tiefe von 1,20 Metern „einem ordnungsgemäßen Rückbau gerecht“ werde.
Entscheidendes Datum 20. Juli 2004
Doch das betrifft eine der Anlagen, die vor dem 20. Juli 2004 genehmigt wurden. Für die Zeit danach gilt § 35 Absatz 5 Satz 2 Baugesetzbuch (BauGB). Es sei „eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen“, steht da. „Die genaue Auflage steht in der Genehmigung: Danach richtet sich der Umfang des Rückbaus. Aber was darf in solchen Auflagen stehen?“, fragte der Referent und riet den Betreibern: „Man muss aufpassen, dass die Behörden über diese Vorschrift nicht allumfassende Rückbauverpflichtungen auslösen.“ Denn auch für Generalklauseln nach Baurecht und Bodenschutzgesetz gelte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. So sei die behördliche Vorgabe auf Rückbau von Kabeln aus seiner Sicht beileibe nicht immer gerechtfertigt. Dennoch: „Selbst, wenn die Eingriffe des Rückbaus in den Boden größer sind als der Rückbau selbst: Ermessenserwägungen finden nach §35 eigentlich nicht statt. Den Behörden ist das völlig egal: Vollständig heißt für die vollständig.“
Deshalb hofft der Anwalt, die Vorgabe im Erlass aus Schleswig-Holstein setzt sich durch: „Wenn z.B. Teile der Tiefgründung nicht ohne Schaden für Natur und Umwelt wie z. B. dem Grundwasserschutz, entfernbar sind, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Belange und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit über den Rückbauumfang … zu entscheiden“, steht dort.
Gehört die Infrastruktur zur Anlage?
Es sei ohnehin unklar: Gehören Wege und Kabel überhaupt zum Vorhaben WKA? „Es gibt im Baurecht und Immissionsschutzrecht dafür keine Pflicht des vollständigen Rückbaus.“ Denn Baurecht könne es erst geben, wenn die Erschließung vorhanden sei. „In § 35 BauGB ist die Rückbaupflicht nicht enthalten, im Erlass von Schleswig-Holstein dagegen schon“, nannte der Fachanwalt gegensätzliche Vorgaben. Sprich: Es kommt aktuell darauf an, in welchem Land die Anlage steht.
Das wiederum wirkt sich auf die Höhe der Sicherungsleistung aus, die zu Beginn des Bauvorhabens festge- und hinterlegt wird. „Aber die Forderung vor Erteilung der Baugenehmigung ist unverhältnismäßig und nicht rechtens: Es ist ja nicht klar, ob die Genehmigung erteilt wird. Und erst nach der Genehmigung ist der Umfang der baulichen Anlage bekannt und damit auch, was genau zurückzubauen ist.“ Erwartete Rückbauerlöse dürften aber keinesfalls in diese Summe eingerechnet werden, stellte Peter Sittig-Behm klar. Und: Die Spannweite der erwarteten Rückbaukosten reichen „von 120.000 Euro bis zum Vielfachen, gerade wenn es um Tiefgründungen bis zum letzten Zipfel geht.“
Auch wichtig sei die Frage, wann die Nutzung dauerhaft aufgegeben ist. „Das Zeitmodell des Bundesverwaltungsgerichts spricht von der Vermutung, nach zwei Jahren ohne Betrieb ist der Betrieb aufgegeben. Das Immissionsschutzrecht geht nach drei Jahren ohne Betrieb von der dauerhaften Nutzungsaufgabe aus.“ Doch eines sei Fakt: „Wenn die Betriebsgenehmigungen erlöschen, dann ist die Anlage formell immer illegal.“ Als Beispiele nannte Anwalt Sittig-Behm kritischen Rost, „oder Teile fallen ab“. Aber er machte auch klar: „Im Regelfall erlischt die Genehmigung nicht automatisch nach 20 Jahren. Außer es steht in einer Genehmigung drin. Denn was in der Genehmigung steht, ist rechtmäßig.“ Und gegen unbotmäßige Forderungen der Genehmigungsbehörden mahnte er die Anlagenbetreiber und Planer: „Wehret den Anfängen.“
Ergänzung: Einen ganz guten, sechs Monate alten Überblick über das Thema Rückbau gibt dieser Vortrag von Christian Falke. Der ist ein Kollege des obigen Referenten in derselben Kanzlei.