21.02.2020
Rettungsversuch oder Big Business
Als US-Präsident Trump ganz Grönland kaufen wollte, hatten viele Menschen weltweit den Kopf geschüttelt. Manche Beobachter waren überrascht, allen voran wohl die dänische Regierung, welche noch immer die Oberhoheit über die eisbedeckte Insel ausübt. Die Idee wurde als gigantische Verirrung eines unverbesserlichen Klimaleugners angesehen. Tatsächlich sind Klimaleugner nur ein Teil der Verfechter einer Fortschreibung der bisherigen Verhältnisse. Von den Medien werden sie vielfach als eine Art folkloristische Clowns verlacht, die nicht wissen, was in Sachen Klimakrise ansteht. Das mag für einige gelten, wie z.B. eine bekannte Bundestagsabgeordnete der AFD. Dahinter entwickelt sich aber eine ernstzunehmende Fraktion derer, die Modelle und Szenarien einer massiven Anpassung an extreme Klimaveränderungen ernsthaft denkt und entwirft.
Diese Gedankenspiele gelangen noch wenig ans Licht der Öffentlichkeit. Eines das jetzt publiziert wurde ist der „Northern Europe Enclosure Dam“ (NEED), der von Wissenschaftlern des Königlich- Niederländischen Instituts für Meeresforschung und dem Kieler Helmholtz Institut für Meeresforschung Geomar ausgearbeitet wurde. Ein gigantischer Damm in der Nordsee soll große Teile Nord- und Mitteleuropas schützen, falls sich die Klimaerwärmung und der Anstieg des Meeresspiegels nicht mehr stoppen lassen würde. In ihrer Studie, die im Bulletin of the American Meteorological Society (BAMS) veröffentlicht wurde, schlagen die Forscher, gewissermaßen als große Lösung, zwei gigantische Dämme zwischen Frankreich, England und Norwegen mit einer Gesamtlänge von 637 Kilometern vor.
Als Hintergrund sind nicht etwa hypothetische Überlegungen zu sehen, sondern neue Vorhersagen über den Anstieg des Meeresspiegels, der durch den Verlust großer Eismassen schon im kommenden Jahrhundert zu einem erheblichen Risiko für den Küstenschutz und für viele Küstenmetropolen von New York bis Mumbai und von Hamburg bis Shanghai werden dürfte. Im kommenden Bericht des Weltklimarates IPCC wird die Auseinandersetzung mit diesen Risiken eine große Rolle spielen. Sie basieren u.a. auf der Studie eines Wissenschaftlerteams aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Dänemark, der Schweiz, den Niederlanden, Japan, Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA. "Der 'Antarktis-Faktor' erweist sich als die größte Unbekannte, aber dadurch auch als das größte Risiko für den Meeresspiegel weltweit", sagt dazu Leitautor Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und dem Lamont-Doherty Erdobservatorium der Columbia University in New York.
Das Bauwerk des NEED soll sich aus einem 161 Kilometer langen Damm über den Ärmelkanal zwischen Bretagne und Cornwall und einer zweiten, 476 Kilometer langen, Sperrmauer durch die Nordsee zwischen Schottland und Norwegen zusammensetzen. Die mittlere Wassertiefe im Bereich des Damms im Ärmelkanal beträgt 85 Meter, in der nördlichen Nordsee wären es im Schnitt 127 Meter mit einem Maximum von mehr als 320 Metern. Als Besonderheit wären die in der Nordsee recht großen Tiden anzusehen, die berücksichtigt werden müssten. Neben unfassbar großen Materialmengen, aus denen die Dämme erbaut werden müssten, würden Schleusen und Pumpwerke gigantischen Ausmaßes benötigt. In heutigen Preisen gerechnet würde dies eine geschätzte Summe von bis zu 500 Mrd. Euro erfordern. Ein Betrag, der allerdings geringer ausfallen würde als der aktuelle US-Verteidigungshaushalt.
Die Idee des gigantischen Dammes quer durch die Nordsee scheint aber beileibe kein Verzweiflungsprojekt ratloser Wissenschaftler zu sein, sondern sich im Bereich des finanziell machbaren zu halten. Zumindest wird es so dargestellt. Sie offenbart aber auch die Denke, es in Sachen Klimaschutz bewusst drauf ankommen zu lassen. Und dies gleichzeitig als gigantisches und profitables Geschäft aufzufassen, das die Blaupause für einen profitablen business case abgeben könnte. Anpassung anstelle von Klimaschutz. Die beteiligten Kieler Wissenschaftler sind denn wohl erschrocken über die Perspektiven ihres Planes und versicherten gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel, dass sie die Umsetzung nicht befürworten würden. Aber darauf dürfte es am Ende nicht drauf ankommen.
Ob ein solches Projekt nach unseren heutigen Maßstäben tatsächlich machbar ist oder nicht, ist eine Seite. Es manifestiert sich darin andererseits eine abenteuerliche Art der Herangehensweise – nicht unbedingt der beteiligten Wissenschaftler – sondern von deren Auftraggebern. Sollten große Teile der Küstenregionen in Gefahr geraten, könnte dies, so die Spekulation, zur gigantischen Perspektive für das kapitalistisches Verwertungssystem werden. So wie im vergangenen Jahrhundert am Wiederaufbau des zerstörten Europa glänzend verdient wurde, so das sich bildende Narrativ, könnte die Klimakrise der Ausgangspunkt für eine neue, gigantische Rund der Kapitalanlage bzw. –verwertung werden. Die Wissenschaftler haben neben NEED gleich die Eindämmung der Irischen See und des Mittelmeeres mitgedacht und ins Kartenwerk eingezeichnet. Abgefuckte Szenarien.
Klaus Oberzig
NEED - The Northern European Enclosure Dam for if climate change mitigation fails
Forscher entwerfen gigantischen Damm für die Nordsee, Der Spiegel 17.02.2020