14.02.2020
Der schöne neue Strukturwandel
Der Chemiekonzern BASF will an seinem Standort im brandenburgischen Schwarzheide (Landkreis Oberspreewald-Lausitz) eine neue Produktionsstätte für Kathoden eröffnen. Diese sind Teil von Batteriezellen, die in Elektroautos Verwendung finden. Nach Angaben des Konzerns sollen in einer ersten Ausbaustufe jährlich Batteriebestandteile für 400.000 Autos hergestellt werden. Dabei werden in der Lausitz Vorprodukte aus einer ebenfalls im Aufbau befindlichen BASF-Anlage in Finnland verarbeitet. Die Energieversorgung der neuen Produktionslinie soll ein energieeffizientes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk sichern, das gerade modernisiert wird. Irgendwann später will BASF, so ein Pressetext, die benötigte Energie aus Erneuerbaren beziehen. Nach bisherigen Informationen will das Unternehmen rund 500 Mio. Euro in Schwarzheide investieren und rund 200 neue Arbeitsplätze aufbauen. Die Anlage soll im Jahr 2022 die Produktion aufnehmen.
Ende vergangenen Jahres hatte der E-Auto-Pionier Tesla den Bau einer Gigafabrik für jährlich 500.000 Pkw in Grünheide bei Berlin, ebenfalls in Brandenburg (Landkreis Oder Spree), angekündigt. Dabei war bekannt geworden, dass die Kalifornier dort auch eine eigene Batteriezellenfertigung aufbauen wollen. Genau dafür werden Kathoden benötigt. Hintergrund für die Millionen-Investition beider Konzerne ist offenbar die Entscheidung der EU-Kommission, in Europa eine eigene Batteriezellenfertigung aufzubauen und dies mit bis zu 3,2 Mrd. Euro bezuschussen zu lassen. Schätzungen zufolge werden derzeit mehr als 80 Prozent aller Batterien in Asien produziert, wo auch die entscheidenden Patente liegen. Mit einer "Batterieallianz" aus sieben EU-Ländern, darunter Deutschland, soll der Anteil in Europa gefertigter Batteriezellen für Elektroautos deutlich erhöht werden. Als Förderobergrenze für Deutschland wurden 1,25 Mrd. Euro genehmigt, die als staatliche Beihilfen beigesteuert werden dürfen.
Die brandenburgische Landespolitik feiert diese Entscheidungen der Konzernzentralen als Erfolg ihrer Politik und tut so, als ob sie schon immer eine Politik der Energiewende verfolgt hätte. Wirtschafts- und Energieminister Jörg Steinbach (SPD) erklärte, beim Ausbau der Erneuerbaren Energien habe man auf die „richtige Karte“ gesetzt. Er bestätigte zugleich, BASF könne mit 50 Mio. Euro Landesmitteln rechnen, zusätzlich zu den Fördermitteln des Bundes. Nach den Entscheidungen der Bund-Länder-Vereinbarung über den sogenannten Kohleausstieg war den betroffenen Bundesländern eine Summe von rund 40 Mrd. Euro für Strukturhilfen zugesagt worden. Nun beginne der Strukturwandel, so Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). „Das ist ein entscheidender Beitrag, um Industriearbeitsplätze in der Region zu sichern und neue zu schaffen."
Wenn er den Eindruck erweckt, dies sei eine Politik der Energiewende und des Klimaschutzes, spielt er mit gezinkten Karten. Woidke war einer der verbissensten Kämpfer gegen den Ausstieg aus der Braunkohle. Auch die Tatsache, dass Brandenburg zu den Bundesländern mit der größten Anzahl von Windrädern gehört, ändert nichts an der Tatsache, dass die SPD-geführten Landesregierungen Brandenburgs sich in Sachen Klimaschutz nicht hervorgetan haben. Es ist eher so, dass sie den Bau großer Windparks nicht verhindern konnten. Das holt jetzt Bundeswirtschaftsminister Altmaier nach. Und alles läuft mit der Camouflage des Kohleausstiegs.
Auch Woidke geht es nicht darum, wie die Ziele der Pariser Klimaschutzkonferenz von 2015 umgesetzt werden könnten, sondern um eine weitere Industrialisierung seines Bundeslandes. Er nennt es „Erhalt von Industriearbeitsplätzen“ und sieht die Chance, in der neuen Mobilitätswelt einen Vorteil für sein Bundesland herausholen zu können. Erleichtert wird ihm dies, weil in weiten Teilen der Gesellschaft das positive Bild vom Elektroauto verankert ist. Das Narrativ, das auch die Energiewendebewegung mit zu verantworten hat, macht den Umstieg bei der Antriebstechnik sogar zu einem zentralen Bestandteil der Energiewende und stilisiert ihn zur Großtat beim Klimaschutz.
Dieses schräge Bild beruht darauf, dass nur die Emissionen bei der Nutzung der Antriebe verglichen werden und zudem die elektrische Batterie zur „Flexibilität“ im Energiesystem verklärt wird. Welche Treibhausgase bei der Produktion selbst entstehen, wird weitgehend verschwiegen. Ebenfalls verschwiegen werden die Wachstumsmomente einer ungezügelten Automobilindustrie, deren Heißhunger nach Absatz nach wie vor keine Grenzen kennt. Darin aber unterscheiden sich Verbrennungsmotor und Elektromotor nicht. Im Gegenteil. Auch Carsharing und autonomes Fahren werden am Momentum des Wachstums nichts ändern.
Erst im Jahr 2010 überschritt die Anzahl der Autos auf der Erde die Milliardengrenze. Anfang 2019 lag sie schon bei 1,25 Mrd. Bleibt diese Wachstumsrate, wird bis 2030 der Weltbestand auf 1,6 Mrd. Fahrzeuge zugenommen haben. Gegenwärtig werden jährlich 83 Mio. Autos produziert. Das sind pro Sekunde 2,6 Fahrzeuge – und hier wird nicht nach Antriebsart unterschieden. Es gibt neueste Studien, die bis zum Jahr 2050 einen Fahrzeugbestand von bis zu 2,7 Mrd. Autos auf dem Planeten erwarten. Wie viel Treibhausgase wird dieser Peak bei der Herstellung von Mobilitätsprodukten erzeugen? Verlässliche Zahlen und Werte lassen sich in den gängigen Statistiken nicht finden.
Sowohl die Bundesregierung wie auch die EU wollen bis 2050 „klimaneutral“ werden. Dieser Begriff der Kompensation und des Ablasshandels entlarvt sich gerade bei dieser Politik des Strukturwandels als Fake. Mit dieser Politik des Strukturwandels, wie er sich aus der Bund-Länder-Vereinbarung zum Kohleausstieg ergibt, wird das Gegenteil dabei herauskommen. Die deutsche Automobilindustrie wird, seit sie auf Elektromobilität umstellt, zum großen Klimaretter umetikettiert, obwohl sie eigentlich „nur“ ihre bislang führende Position auf dem Weltmarkt verteidigt. Dass sie diesen Imageschwindel mitmacht, ist nicht verwunderlich, zumal sie nach Dieselskandal und jahrzehntelanger Umwelt- und Klimaverschmutzung noch mit Milliardenbeträgen aus dem Steuersäckel belohnt wird. So bekommt der Spruch Kohle nach der Kohle eine neue Bedeutung.
Klaus Oberzig
Weltbestand an Autos (Ticker)