20.12.2019
Der Stand der Ausstiege
Es ist ruhig geworden, sowohl um den Atomausstieg als auch um den Kohleausstieg. Wie weit ist die Umsetzung in diesem Jahr vorangekommen, wo stehen wir und einige unserer Nachbarn derzeit, was folgt in den kommenden Jahren: Eine Bestandsaufnahme.
Abschaltung des AKW Philippsburg II
In diesen Tagen wird wieder ein Puzzleteil in das Bild des deutschen Atomausstiegs eingefügt: Schon seit Oktober wird langsam die Leistung des AKW Philippsburg II in der Nähe von Karlsruhe gedrosselt, am 29. Dezember geht das Kraftwerk endgültig vom Netz. Es ist das einzige, das in diesem Jahr bei uns abgeschaltet wird.
Derzeit verstummen die Kritiker aber nicht, die befürchten, dass es hier doch noch zu Verschiebungen kommen könnte, wenn z.B. durch einen Blackout die Diskussion um die Stabilität der Stromversorgung wieder hochkochen würde. Gleichzeitig wird es aber derzeit immer deutlicher, dass der „Ersatzstrom“ der abzuschaltenden Kraftwerke mit dem derzeitigen Ausbaudtempo bei Solar und Wind wohl nur schwer bereitgestellt werden kann. So haben sich zum 29.12. auch Gegner des Atomausstieges in Philippsburg angekündigt, um bei einer Demo auf die vermeintliche Klimaschutzwirkung des Atomstroms aufmerksam zu machen.
Am 15.12. wurde aus dem abgeschalteten Kernkraftwerk Krümmel der letzte Behälter mit Brennelementen entnommen. Das Kraftwerk ist nun brennstofffrei, nicht hingegen das benachbarte Zwischenlager, in das die Brennelemente gebracht wurden.
Im nächsten Jahr steht keiner der dann noch verbleibenden sechs Reaktoren auf der Abschaltliste. Bis spätestens Ende 2021 werden noch die AKWs in Brokdorf, Grohnde und der letzte Block C in Gundremmingen heruntergefahren, bis Ende 2022 die letzten Reaktoren Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 (siehe Bild 2), die 1988 und 1989 in Betrieb gegangen und damit die jüngsten AKW´s sind. In etwas mehr als zwei Jahren wird die Stromerzeugung in Deutschland atomkraftfrei sein.
Abschaltung auch in der Schweiz
Ein Blick über die Grenzen: Auch die Schweizer freuen sich, dass bei ihnen der Atomausstieg vorangeht: Schon am heutigen 20. Dezember wird dort das AKW Mühleberg endgültig vom Netz gehen. Mühleberg liegt rund 110 Kilometer südwestlich von Basel und produziert seit 1972 Strom. Die Schweiz hatte nach dem Unglück im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 2011 den Atomausstieg beschlossen, jedoch die Restlaufzeit im Ermessen der Betreiber gelassen. Der Betreiber von Mühleberg hat nun aus wirtschaftlichen Gründen die Abschaltung beantragt. Vier weitere Kernkraftwerke sind in unserem Nachbarland noch am Netz, darunter die ältesten Blöcke Beznau I und II aus den Jahren 1969 und 1971 nahe der deutschen Grenze bei Waldshut-Tiengen. Deren Betrieb wurde im Oktober auch vom deutschen Bundesumweltministerium kritisiert, nachdem weltweit AKWs für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt werden, der Schweizer Betreiber nun aber auch die Kraftwerke in Beznau noch weitere 10 Jahre am Netz lassen möchte und damit eine Lebensdauer von 60 Jahren erreichen würde. Zum Vergleich: In Deutschland wurde beim Atomausstieg eine Regelbetriebszeit von 32 Jahren festgelegt.
In Belgien sind an zwei Standorten sieben atomare Reaktorblöcke am Netz, der Kraftwerksname Tihange ist insbesondere für die Aktivisten im Raum Köln/Aachen ein rotes Tuch. Zwischen 1975 und 1985 gingen dort drei Blöcke ans Netz, die schon des Öfteren durch Pannen, marode Technik und Abschaltungen auf sich aufmerksam gemacht haben. Schon 2003 hat Belgien beschlossen, bis 2025 auf die Atomkraft zu verzichten, das wurde im vergangenen Jahr bekräftigt. Im März 2019 bezeichnete der belgische Außenminister Didier Reynders den Prozess als „auf gutem Weg“. Deutschland kritisiert immer wieder den Zustand der Blöcke, seit 2017 ist jedoch auch bekannt, dass ausgerechnet Deutschland die Kernbrennstäbe für Tihange liefert. Und nachdem Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, immer wieder einen Stopp forderte, wollte er dann aber im Herbst 2018 den Vorstoß des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann doch nicht unterstützen, der im Bundesrat einen Ausfuhrstopp für die Brennstäbe durchsetzen wollte.
In Frankreich wird derzeit seit Jahren versucht, einen neuen EPR-Kernreaktor zu bauen, der die alten AKW´s ersetzen soll, die derzeit noch 70 % des französischen Stroms erzeugen. Doch Lehrgeld wird derzeit am Ärmelkanal bezahlt: Statt 4,5 Jahren Bauzeit und 3,3 Mrd. Euro Baukosten ist die Baustelle des AKW Flamville heute bei 15 Jahren Bauzeit und Kosten über 12 Mrd. Euro angekommen, die Inbetriebnahme ist für 2022 vorgesehen. Also auch für alle, die in der Kernkraft einen Beitrag zur Lösung der Klimakrise sehen: Diese Technik ist zu langsam und zu teuer. Und die alten Kraftwerke sind – wie das AKW in Fessenheim nahe des Rheins, südwestlich von Freiburg - schon länger auch in der deutschen Kritik. Doch Frankreich kommt von der Atomkraft nicht los: Ursprünglich sollte die Kerntechnik bis 2025 auf 50 % der Stromerzeugung zurückgehfahren werden, 2017 wurde jedoch beschlossen, dass sich das Land hier 10 Jahre mehr Zeit nimmt. Bis spätestens 2035 soll es dann soweit sein.
In den Niederlanden läuft noch einer von ehemals zwei Reaktorblöcken mit einer voraussichtlichen Laufzeit bis zum Jahr 2033. Jedoch erzeugen die Niederlande damit gerade einmal 4 % ihres Strombedarfs. Mitbetreiber mit 30% ist die Deutsche RWE. In den Niederlanden hat die Regierung den Kohleausstieg bis 2030 beschlossen, RWE und Uniper haben daraufhin angekündigt, auf dem Klageweg gegen den niederländischen Staat vorzugehen und Schadensersatz in Milliardenhöhe geltend zu machen. Gerade von Uniper, das inzwischen mehrheitlich im Besitz der finnischen Staatskonzern Fortum ist, lässt sich dieses Vorgehen nicht wirklich nachvollziehen. Schließlich hat Finnland politisch beschlossen, bis 2029 aus der Kohle auszusteigen.
Der Kohleausstieg in Deutschland
Nachdem Ende Januar 2019 – ja, das ist schon fast ein Jahr her - die Kohlekommission ihren Kompromiss präsentiert hat, gibt es zu diesem Thema aktuell nichts Neues. Angeblich laufen Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern, auch der Entwurf des Kohlegesetzes ist derzeit in der Bearbeitung. Doch die politische Zusage von Anfang des Jahres, den Kohlekompromiss 1:1 umsetzen zu wollen, ist derzeit nichts mehr wert: So haben einige Energieverbände (u.a. BDEW und VKU) in der vergangenen Woche vom Bundeswirtschaftsministerium genau diese kompromisstreue Umsetzung eingefordert. Doch schon am Beispiel des neuen Kohlekraftwerks Datteln 4 wird deutlich, dass das wohl nicht gelingen wird und soll.
Die Kohlegegner haben dieses Kraftwerk als neues Feindbild: Nach Daten in den Kraftwerkslisten im Internet wurde für das neue Kohlekraftwerk Datteln 4 mit 1.100 MW die Genehmigung für den Beginn des Testbetriebes Anfang 2020 erteilt. Dieses Signal geht „einmal wieder“, so viele Energiewender, in die völlig falsche Richtung (siehe auch Medienspiegel der DGS-News vom 01.11.). Im Sommer 2020 soll das neue Kraftwerk dann die Stromerzeugung aufnehmen. Staatsekretär Flasbarth betonte letzte Woche zwar, dass dafür entsprechend alte Kohlekraftleistung vom Netz genommen werden soll, aber das Misstrauen ist groß, dass genau das nicht erfolgen wird.
Die Stromerzeugung aus Kohle ist in diesem Jahr in Deutschland stark zurückgegangen, jedoch nicht aufgrund des geplanten Kohleausstiegs, sondern weil zahlreiche Kohlekraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben mussten. Der Vorteil dabei: Hierbei werden keine Entschädigungen an die Betreiber fällig. Entschädigungen werden im Rahmen des Kohleausstiegs für die Kraftwerke diskutiert, die och in der Phase des wirtschaftlichen Betriebs, oder der kalkulierten Lebensdauer, aufgrund des Ausstiegsbeschlusses abgeschaltet werden.
Doch auch der aktuellste bekannte Gesetzentwurf (mit Stand vom 3.12.) enthält keine Details zum Ausstiegstempo und Kompensationsregelungen mit den Betreibern, diese sind vermeintlich noch derzeit in Diskussion zwischen der Bundesregierung und den Betreibern, allen voran RWE. Das ist wenig verständlich, bedenkt man, dass der gesellschaftliche Kompromiss zum Kohleausstieg durch die Kohlekommission bereits im Februar verkündet wurde. Bestätigt wurde in dieser Woche nur, dass das Kohlegesetz erst im neuen Jahr in das parlamentarische Verfahren gehen soll, ursprünglich war schon der November 2019 dafür versprochen.
Und die Erneuerbaren? Haben in Deutschland in der Woche vom 9. bis zum 15. Dezember stillschweigend 52 Prozent der Netto-Stromerzeugung im Land zur Verfügung gestellt. Der Umstieg läuft, wenn auch zu langsam.
Jörg Sutter