01.11.2019
Sonnen-Strom aus Dunkelheit
„Zappelstrom“ – so hat der für seine fundamentalistische Ablehnung der Erneuerbaren Energien bekannte Professor Hans-Werner Sinn den Strom aus Sonne und Wind rhetorisch abgewertet. Der Ökonomieprofessor, von 1999 bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München, spricht damit einen Gedanken an, der bei vielen Gegnern der Erneuerbaren Energien, aber auch bei Unentschlossenen und Zweiflern vorherrscht: „Was ist, wenn nachts die Sonne nicht scheint, und der Wind nicht weht.“ Dass es Stromspeicher gibt, dass Bioenergie und die noch ausbaufähige Wasserkraft (siehe auch SONNENENERGIE 3/2019: Kleine Wasserkraft) rund um die Uhr einsetzbar sind, und dass auch die Offshore-Windkraft mit ihren hohen Jahresarbeitsstunden dem oft kaum nachsteht, ist zu wenig bekannt, und spielt für besorgte Bürger auch keine Rolle. Deshalb ist die Nutzungserschließung von weiteren Formen der Erneuerbaren Energien, die zusätzlich Strom erzeugen und dabei die heutigen Stromerzeugungs-Kurven glätten können, von Bedeutung.
Seit einigen Jahren gibt es zunehmend Entwicklungen, die Strahlungswärme der Erde als weitere Energiequelle zu nutzen. Diese terrestrische Ausstrahlung ist je nach Bodenbeschaffenheiten, Geographie und der darüber liegenden Atmosphäre unterschiedlich stark. Bekannt ist, dass es in klaren, trockenen Nächten, bei denen die Wärmestrahlung des Bodens besonders ungehindert ins Weltall entweichen kann, am Boden besonders kalt wird. Das Bonmot, in der Wüste seien schon mehr Menschen erfroren als verdurstet, hat hier seinen Hintergrund. Es geht bei der technischen Umsetzung also letztlich um die Nutzung des Temperaturgefälles zwischen dem warmen Erdboden und dem kalten Weltall. Immerhin strahlt der Globus kontinuierlich eine Wärmeleistung von 100 Petawatt (PW) ins Weltall, was ca. dem 60fachen der vom Golfstrom transportierten Wärme entspricht.
So haben vor fünf Jahren die Harvard-Wissenschaftler Federico Capasso, Steven J.Byrnes und Romain Blanchard eine Studie zu dem Thema veröffentlicht und verschiedene entsprechende Designvorschläge gemacht. Für ihre Berechnungen legten sie die Gegebenheiten im US-Bundesstaat Oklahoma zu Grunde. Die Forscher aus Harvard entwarfen als technische Lösung zwei Versionen eines „Emissive Energy Harvester“ (EEH), und zwar einen thermischen, analog zur solarthermischen Stromerzeugung als auch einen optoelektronischen, analog zur photovoltaischen Stromerzeugung. Während das thermische Verfahren nur recht grob skizziert wird, erfährt das optoelektronische eine eingehendere Beschreibung: als Erntetechnik kommt eine Gleichrichterantenne („Rectenna“) für das langwellige Infrarotspektrum (LWIR) im Bereich 8 bis 13 μm zum Einsatz. Der EEH kann sowohl bei Tag als auch bei Nacht betrieben werden, da die Sonne im Vergleich zur Atmosphäre nur ein vernachlässigbares LWIR abgibt. Am Standort Oklahoma beträgt die ganzjährige 24-Stunden-Durchschnittsleistung gerade einmal 2,7 W/qm, was einem PV-Modul mit einem Wirkungsgrad von 1,5% entsprechen würde. Auch wenn diese Leistungen im ersten Augenblick indiskutabel erscheinen, so darf doch nicht vergessen werden, dass es sich hier um eine erste Konzeptstudie handelt, und die Wirkungsgrade denen der PV im Zeitraum zwischen 1934 und 1954 entsprechen.
Nachdem gewissermaßen die US-Ostküste (Harvard) bei diesem Thema vorgelegt hatte, folgte nun im September diesen Jahres die US-Westküste: Aaswath P. Raman von der University of California/Los Angeles sowie die beiden Stanford-Forscher Wei Li und Shanhui Fan entwickelten einen EEH auf thermoelektrischer Basis, und testeten ihn auf dem Dach der Uni Stanford. Das Ergebnis für das Gerät, dessen Abstrahlelement aus einer schwarz gestrichenen Aluminiumplatte besteht und rund 30 USD kostet: 25 Milliwatt pro Quadratmeter. Das ist für eine effektive Nutzung natürlich völlig ungenügend, und macht schon jetzt deutlich, dass diese Harvester kaum jemals in ernste Konkurrenz zur PV treten werden. Doch es handelt sich hier ja nur um ein erstes Experiment, und Prof. Ranan geht davon aus, dass die Technologie allein mit besseren Bauteilen bereits 0,5 W/qm erzeugen könne.
Welche grundsätzlichen Voraussetzungen müssen aber für eine künftige Nutzung von EEHs gegeben sein?
1. Flächen: Anders als bei der Solarenergie, deren Kollektoren und Module sich nach möglichen Sonnenständen ausrichten lassen müssen (auf der Nordhalbkugel nach Süden, auf der Südhalbkugel nach Norden), existieren bei den EEHs solche Einschränkungen nicht. Sie müssen allenfalls „freie Sicht nach oben“ in den Himmel haben. Allerdings benötigen sie wegen ihres (noch?) geringen Wirkungsgrades sehr große Flächen. Doch diese Flächen, die auch dezentral verteilt sein können, sind auf der Erde generell vorhanden – z.B. in Wüsten- oder Bergregionen. Allerdings dürfte sich hier öfters die Frage nach einer technisch möglichen Netzanbindung stellen.
2. Kosten: Der relativ geringe Flächenertrag rückt die Frage nach den Kosten für Technik, Installation und Netzanschluss in den Vordergrund. Während die Kostenfrage bei Prototypen und Spezialanwendungen nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist sie bei einer Implementierung in eine Alltags-Nutzung von entscheidender Bedeutung.
3. Rohstoffe: wegen der zunehmenden Rohstoffknappheit und daraus resultierenden Konflikten sind alle Stoffe mit Vorsicht zu betrachten, die schon heute für eine Vielzahl von Anwendungen wichtig bzw. unabdingbar sind. Insbesondere gilt das für solche, deren Abbaugebiet sich in einem Land konzentriert. Daher ist es wichtig, für die EEH-Technikinstallationen solche Rohstoffe zu finden, von denen es auch langfristig ein entsprechend großes Angebot gibt.
EEHs sind interessante Techniken, doch sie stehen noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung. Ob und ggf. in welchem Umfang sich der EEH-Ansatz umsetzen lässt, ist heute noch nicht abschließend zu sagen. Wenn die Umsetzung in größerem Maßstab gelänge, wäre dies eine weitere, grundlastfähige Erneuerbare Energie, die helfen könnte, die Fluktuation bei anderen auszugleichen. Dann könnte es künftig sein, dass nicht mehr der Strom, sondern bestenfalls nur noch einer „zappelt“: Prof. Hans-Werner Sinn.
Götz Warnke