01.11.2019
Sinteg-Schaufenster-Netzprojekte: Praktischer Nutzen nicht immer erkennbar
„Mach Deinen Balkon schön!“ Ein brandaktueller, 20-seitiger Leitfaden mit dem Inhalt „Mit steckerfertigen PV-Anlagen selbst Strom erzeugen" auch die DGS hat daran mitgearbeitet - ist ein greifbares Ergebnis aus dem süddeutschen C/sells-Projekt. Das wiederum ist eines von fünf bundesdeutschen „Schaufenstern Intelligente Energie“, kurz Sinteg. Die Sinteg-Schaufenster – sie sind bis Ende 2020 geöffnet - werden vom Bundeswirtschaftsministerium BMWi mit insgesamt 200 Millionen Euro bezuschusst, wenn auch nicht paritätisch verteilt. Allein 44 Mio. Euro fließen zu C/sells. Warum dann jener Leitfaden zusätzlich vom „Solarcluster Baden-Württemberg“ unterstützt werden musste, obwohl z.B. großteils Billig-Stock-Fotos verwendet wurden, bleibt das Geheimnis des Herausgebers Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e.V. Diese Plattform ist der Träger von C/sells. Die Vereins-Mitglieder reichen vom Industriekonzern 3M bis zum ZSW-Forschungszentrum des Landes.
Die fünf Sinteg-Schaufenster mit den wunderbaren Künstlernamen C/sells, DESIGNETZ, enera, NEW 4.0 und WindNODE bearbeiten jeweils spezifische Schwerpunkte. Insgesamt will Sinteg „in großflächigen Modellregionen übertragbare Musterlösungen für eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung bei zeitweise 100% Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien entwickeln und demonstrieren“. Bei C/sells, das sich über Baden-Württemberg, Bayern und Hessen erstreckt, ist das Ziel nicht weniger als „das Energiesystem der Zukunft im Solarbogen Süddeutschlands“ zu schaffen.
Designetz – ein Projekt in Nordrhein-Westfalen, Saarland und Rheinland-Pfalz – geht noch etwas weiter: Es sei „die Blaupause für die Energiewende“. Aber die Macher fangen etwas kleiner an: Mit der Frage „Weiß Ihre Steckdose, wo es den günstigsten Strom gibt?“ wollen sie zum Beispiel Privatleute auf die Webseite locken.
Doch die Antwort, wie die Steckdose wirklich künftig den günstigsten Stromanbieter aussuchen wird, gibt es dort (noch) nicht. Was also passiert in dem vom Energiekonzern Innogy koordinierten Modellprojekt konkret? Auf einer „Route der Energie“ wollen die Designetz-Macher „die Energiewende für alle Interessierten erlebbar“ werden lassen.
Die Energieroute ist bunt verteilt über die drei Länder. So kann man beispielsweise bei den „Energienetzen mit innovativen Lösungen“ kurz EMIL, des Designetz-Partners VSE AG drei Mal halten. Aber viel mehr als Schlagworte wie „das Projekt sammelt Erfahrungen, die Netzbetreiber und Technologielieferanten aus der Industrie gezielt auswerten können, um neue Ansätze für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu gewinnen“ werden vorerst nicht verraten. Wobei VSE immerhin die Zielrichtung von EMIL preisgibt: „Hier gilt es vor allem, das Dilemma der Netzbetreiber zu beziffern, die Rückflüsse nur für Investitionen über die Kapitalverzinsung zu erzielen, nicht aber über den Betriebsaufwand.“ Es geht also zumindest bei EMIL wohl vor allem um die Rendite des Saarländer Netzbetreibers VSE – und nicht primär um den günstigsten Strom für den Endverbraucher, wie Besucher der Internetseite designetz.de zuerst glauben mögen.
Vor Ort, an den zurzeit elf „Haltestellen“ der Route der Energie, gibt es jeweils Stelen, an denen über Apps Informationen abgegriffen werden können. Schon das ein Hinweis, dass bei dem Projekt insgesamt das Digitale im Vordergrund steht, weniger die Hardware. Doch dass Normalmenschen diese „Demonstratoren, die Bausteine für das Stromnetz der Zukunft besuchen und interaktiv erleben“ können, sind längst nicht alles, was Designetz ausmacht.
„Wir wollen mit diesem Ansatz ein hocheffizientes, dezentrales System auf die Beine stellen“, sagte Projektleiter Lothar Ahle anlässlich der Designetz-Halbzeitbilanz Anfang des Jahres. Im Projekt gehe es um „ein breites Portfolio an technischen und marktdienlichen Lösungen in unterschiedlichen Netzen und auf unterschiedlichen Netzebenen“, ergänzt dazu das BMWi.
Konkret werden in den drei Ländern Demonstrationsanlagen für flexible Lasten wie Erzeugung, aber auch für intelligente netzdienliche Flexibilität aufgebaut – eben jene auch als „Haltestellen“ der Energieroute genutzten Demonstratoren. Und in der „System-Cockpit“ genannten Zentrale werde „das Zusammenspiel der verschiedenen Einzellösungen auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene simuliert und untersucht“, wie es eine Gruppe von Forschern verschiedener Institutionen in einem Fachaufsatz formuliert haben. Wobei das Projekt nicht auf die aktuelle Erzeugungssituation blickt, sondern auf ein erwartetes Szenario im Jahr 2035: Dann soll bereits über 90 Prozent der Stromerzeugung dezentral und regenerativ geschehen.
Insgesamt 46 Partner arbeiten am Designetz mit, von Hochschulen bis zu Stadtwerken, von Industriebetrieben über Verteilnetzunternehmen bis zu Kohlekraftwerksbetreibern. Assoziiert sind der Übertragungsnetzbetreiber Amprion und der Energiekonzern Steag. Es gibt 30 Förderprojekte, die jeweils eigenverantwortlich arbeiten. So errichten die Stadtwerke Bochum einen Demonstrator rund um die Mobilität; die ehemaligen Stadtwerken EWR testen in Worms in einem Wohnquartier die Netzdienlichkeit von E-Mobilen; die „Energiewabe“ von Westnetz verknüpft im Hunsrück verschiedenste, sogar überregionale Speicher mit vielen dezentralen Photovoltaik-Anlagen, überwacht und gesteuert vom in einer Ortsnetzstation untergebrachten „Smart Operator“. Konsortialführer ist die Innogy SE, Lothar Ahle hat die Gesamtverantwortung. Als zentrales Element bringt Innogy das „System-Cockpit“ in das Projekt ein: Ein Laborarbeitsplatz, auf den demnächst alle Projektpartner zugreifen können.
Das ist genauso einsatzfähig wie die meisten technischen Anlagen. Auch die IT, ein Prototyp aus der Uni Saarbrücken, steht bereit. „Wenn wir alle Anlagen ans das System-Cockpit angebunden haben, werden wir die Fahrpläne für die einzelnen Versuche simulieren. Im Grunde kommt jetzt die Zeit, in der wir die Einzelprojekte miteinander verbinden und Ergebnisse aus dem Gesamtsystem sammeln können“, freut sich Ahle auf die zweite Projekthälfte. Die Ergebnisse würden dann zeigen: Es geht, es geht nicht, oder: Es geht unter folgenden Prämissen, nennt er seine Designetz-Ziele.
„Das System-Cockpit verbindet die Live-Daten realer Anlagen mit der simulierten Energiewelt 2035“, erläutert Innogy in einer Presseinfo dessen Funktion. Aber das Unternehmen ist bereits jetzt sicher: Das Energienetz der Zukunft werde ohne eine solche zentrale Steuerung auskommen. Und Projektleiter Ahle ergänzt: „Der Umbau des Energiesystems und das Erreichen der Klimaziele 2035 wird nicht an der Verfügbarkeit von Technologie scheitern. Was bislang fehlt, ist der geeignete regulatorische und marktliche Rahmen.“
Während er und die Mitarbeiter der einzelnen Projekte auf nutzbare Zukunftstechnik hinarbeiten, passiert auf regulatorischer Ebene wenig. So hat zum Beispiel der „Politische Beirat“ von Designetz ein „Impulspapier“ beschlossen. Zentrale Aussage: „Beteiligte Länder wollen konkrete Maßnahmen ergreifen.“ Doch dann kommen Statements, die sich wie jene Bekundungen lesen, die nach jedem Energiegipfel seit dem 2011 ausgerufenen Energiewendestart wiederholt werden: „Die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die nur gelingen kann, wenn wir alle einen Beitrag dazu leisten“ ist so eine aus dem Mund von Jürgen Barke, dem Energie-Staatssekretär des Saarlands. Hoffentlich sind solche Statements nicht das Einzige, was die Politik beitragen will.