23.08.2019
Bremsklötze im Windgetriebe
Für den 5. September ist in Berlin ein Krisentreffen zur Windkraft geplant. Und zwar bereits im Jahr 2019. Laut dpa-Informationen will Bundes-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dabei „über die Krise der Windkraft an Land beraten“. Mit wem genau, das wollte uns sein Ministerium nicht verraten; nur „mit der Windbranche und den Ländern“.
Doch wieso „Windkraft-Krise“? Seit 2009 bis 2016 stieg „die Brutto-Produktion in Deutschland durch erneuerbare Stromerzeugung in Millionen Euro“ von 15.700 auf 27.300. So steht es jedenfalls wörtlich in der Reaktion des Bundeswirtschaftsministerium BMWI auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion. Wobei das BMWI mit den Zahlen tatsächlich nicht die Stromerzeugung beziffert, sondern: „Die Bruttoproduktion umfasst neben der eigenen Wertschöpfung auch alle als Vorleistungen bezogenen Güter.“ Sprich: Das war der Umsatz mit den Windanlagen selbst.
Aber dann kam der Bruch: Nur noch 21.890 Mio. Euro „Bruttoproduktion“ stand 2017 zu Buche. 2018 und 2019 ging es nach Branchenaussagen noch viel weiter nach unten, auch wenn bislang keine genauen Zahlen vorliegen. Ein Abwärtssog. Und das, obwohl Raimund Kamm, bisher bayerischer Landesvorsitzender des Bundesverband Windenergie (BWE) und inzwischen in derselben Funktion für den Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. BEE aktiv, dieser Tage feststellte: „Weltweit schrumpft der Ausbau von sowohl Atom- wie Kohlekraftwerken stark. PV und Windkraft sind sogar betriebswirtschaftlich so preiswert geworden, dass Atom und Kohle im Wettbewerb schnell verlieren.“ Da müsste doch eher ein Windkraft-Hoch zu spüren sein. Aber das herrscht offenbar nur im Rest der Welt. Stattdessen: Über Deutschland liegt seit zwei Jahren eine Windkraft-Flaute. Zu der aber „der Bundesregierung keine Erkenntnisse vorliegen“, wie eine mehrfach offensichtlich kopierte Antwort in jener Bundestagsdrucksache trefflich belegt.
So hat die Regierung auch über die Gründe für den eklatanten Arbeitsplatzrückgang in der Windbranche „keine Erkenntnisse“. Dabei gingen von 2016 auf 2017 allein „Onshore“ sage und schreibe 21.700 „Bruttobeschäftigte“ flöten: Diese Zahl kennt das Ministerium tatsächlich. Dennoch waren 2017 immer noch 112.100 Menschen allein für die Onshore-Windkraft tätig. Das sind knapp sechsmal so viele, wie im selben Jahr in der hochsubventionierten Braunkohle-Industrie malochten: Von 20.000 schrieb damals der Spiegel. Sprich: Für 20.000 umweltschädliche Arbeitsplätze von Braunkohle-Kumpeln will die Bundesregierung 80 Milliarden Euro über Jahre hinblättern. Genauso viele High-Tech-Jobs im Windkraft-Bereich wurden durch fehlende Zukunftsperspektiven in gerade mal einem Jahr vernichtet.
Diesen „sozialverträglichen Ausgleich“ hatten während der Arbeit der Kohlekommission immer wieder lautstark Landesregierungen und Lobbyverbänden gefordert. An die entlassenen Windwerker dagegen floss offenbar kein Ausgleichs-Euro. Genauso wenig hat sich in den letzten drei Jahren irgendein verantwortlicher Politiker öffentlich erkennbar für die Windwerker stark gemacht. Und das, obwohl von fast allen demokratischen Parteien immer wieder lauthals verkündet wird: Die Energieversorgung der Zukunft müsse auf Erneuerbaren Energien basieren.
Möglicherweise wissen nur wenige dieser Parteigänger, dass Windkraft und Solarstrom dabei die Hauptlast tragen müssen. Das aber wird ohne gesetzlich festgelegte Ausbauperspektiven nicht funktionieren. Nun also kommt das Wind-Krisentreffen. Bei dem ist kaum zu erwarten, dass der für Finanzen zuständige Bundesminister Olaf Scholz (SPD) viel Geld für die zusammengeschrumpfte Windkraft-Branche und deren Mitarbeitende übrig haben wird. Denn in einer Art Krisentreffen des Präsidiums hat Scholzens einstige Volkspartei am 27. Juni 2019 den „Beschluss Klimaschutz Arbeit“ gefasst. Darin steht zwar 14mal das Wort „Kohle“ – gemeint ist das schwarze oder braune Brennmaterial, nicht die 80 Milliarden Euro - aber nur sechsmal „Wind“.
„Wir sind der Garant dafür, dass der ökologische Umbau den Menschen dient und die Wirtschaft stärkt. Von dem Gelingen dieser sozial-ökologischen Transformation hängt gute zukünftige Arbeit für Millionen von Menschen und die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts ab.“ Von Millionen ist die Rede, tatsächlich sind es aber – wie beschrieben – nur 20.000. Denn der Beschluss bedeutet mitnichten, man wolle dem weiteren Abbau der Windjobs entgegenwirken: „Die SPD sorgt dafür, dass umfangreiche öffentliche Mittel für die notwendige Strukturentwicklung den Kohleregionen zur Verfügung gestellt werden.“
„Anpassungsgeld für die soziale Absicherung der Beschäftigten in den Kohlerevieren“ werde es geben. Viele „abgebaute“ Windwerker dürften dagegen bald bei Hartz IV landen – wobei ja auch dieses „Arbeitslosengeld 2“ eine Errungenschaft der SPD ist.
Hoffnung machen im SPD-Protokoll lediglich Hinweise wie: „Wir müssen die Bremsen lockern beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Auch der Deckel für Windenergie muss fallen. Grünstrom-Verträge außerhalb des EEG sollen ermöglicht werden.“ Man will nun wohl jene Bremsklötze wieder abmontieren, die vor allem ein anderer Sozialdemokrat erst im EEG angebracht hat, der einstige Energieminister Sigmar Gabriel. Diese Entbremsung nennt die SPD jetzt „Leitprojekt für unsere Arbeit in den kommenden Monaten“.
Im Endeffekt aber ist der Plan der Präsidiumsmitglieder mit 10 Punkten ein Sammelsurium von Details, kein Konzept. Jeder kann das raussuchen, was am besten gefällt. So hat der Deutschlandfunk das Ganze doppeldeutig unter der Überschrift zusammengefasst: „SPD will Fliegen verteuern". Man könnte fast wetten: Am Ende des Krisentreffens beim Bundeswirtschaftsminister kommt ebenfalls ein 10-Punkte-Plan heraus. Doch wenn die Regierenden von CDSU und SPD den Welt-Klimakonsens von Paris ernsthaft einhalten wollen: Dafür brauchen sie auf jeden Fall etwas Konkreteres als eine „Beratung“ oder einen „Präsidiumsbeschluss“.