19.07.2019
Aufforstung als Klimaschutz
Angesichts der immer weiter steigenden CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre sowie der zunehmenden Bedrohlichkeit der Klimakrise und ihrer Auswirkungen können neue Lösungsansätze des Problems sich eines breiten, öffentlichen Interesses sicher sein. Einen solchen „neuen“ Vorschlag zur Einhaltung des Pariser 1,5°-Ziels präsentierten Anfang diesen Monats Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich [1] im renommierten Fachmagazin „Science“. Das Ergebnis der Studie lautet in Kurzfassung: mehr Bäume pflanzen.
Dazu hat ein Team um Jean-François Bastin, Studienleiter und Postdoc am Crowther Lab an der ETH Zürich, welches sich mit naturbasierten Lösungen für die Klimakrise beschäftigt, rund 80.000 Satellitenaufnahmen der Erde ausgewertet. Dabei ging es in erster Linie darum, mögliche Aufforstungsgebiete zu ermitteln, die nicht in Flächenkonkurrenz zur Landwirtschaft, zu Städten oder anderer Infrastruktur stehen oder als wertvolle Moorflächen bereits jetzt als klimaschützende CO2-Senke einen Beitrag leisten. Derzeit sind 2,8 Milliarden Hektar (= 28 Millionen qkm) mit Wald bedeckt. Aus rein klimatischen Gründen wären heute 4,4 Milliarden Hektar Landflächen mit Wald bepflanzbar, wovon sich allerdings über 40% in einer o.a. Flächenkonkurrenz befinden. Letztlich stünden zu einer Aufforstung immerhin 900 Millionen Hektar (USA: 983 Millionen Hektar) zur Verfügung – was etwa 500 Milliarden Bäumen entspräche. Allein die Wälder auf dieser Fläche könnten mit 205 Milliarden Tonnen CO2 knapp mehr als zwei Drittel der 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern, die der Mensch seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre entlassen hat. Schlüssele man die Potentiale nach Ländern auf, ergäbe sich in der Rangfolge folgendes Bild: Russland (151 Millionen Hektar), USA (103 Millionen Hektar), Kanada (78,4 Millionen Hektar), Australien (58 Millionen Hektar), Brasilien (49,7 Millionen Hektar) und China (40,2 Millionen Hektar). Insgesamt sei die Bewaldung das effektivste Mittel gegen die Klimakrise [2].
Diese hier umfänglich wissenschaftlich evaluierte Idee einer Planetenbegrünung zur Eindämmung des CO2-Anstiegs ist an sich nicht neu und überraschend. Schon Ende 2006 entstand, ausgehend vom UN-Umweltprogramm UNEP in Nairobi, die Bewegung „Plant for the Planet“, die in Deutschland vom damals jugendlichen Felix Finkbeiner vorangetrieben wurde [3]. Ziel der Initiative war es 1 Milliarde Bäume zu pflanzen, was man damals noch für ausreichend hielt. Inzwischen gibt es weitere private Ansätze wie den des Gründers der Stiftung „Forum für Verantwortung“ Klaus Wiegandt: der Ex-Vorstandssprecher des Großkonzerns Metro AG bemüht sich, weltweit Unternehmer für eine Aufforstungs-Initiative zusammen zu bringen; Ziel müsse es sein, auf der Erde 350 Milliarden neue Bäume zu pflanzen (die DGS-News berichteten) [4].
Selbst einige der in der Studie erwähnten Staaten gehen voran: China bepflanzt auf dem kahlen Qinghai-Tibet-Plateau eine Fläche von der Größe Frankreichs und betreibt damit das weltweit größte Aufforstungsprojekt [5]. Dazu kommen Projekte, die primär nicht auf die Eindämmung des Klimawandels, sondern auf die der Wüsten zielen, wie z.B. wie Afrikas Grüne Mauer, Chinas Große Grüne Mauer oder die Landbegrünung in Indien [6]. Diese Projekte binden natürlich auch CO2 und dämmen so die Klima-Erhitzung ein. Selbst die beim Klimaschutz eher unterambitionierte Bundesregierung möchte Bäume pflanzen: Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner will ein „Mehrere-Millionen-Bäume-Programm“ aus dem Energie- und Klimafonds der Bundesregierung finanzieren – die durch die Klima-Erhitzung und ihre Folgen gebeutelten Waldeigentümer und Familienbetriebe Land und Forst sind entsprechend angetan [7].
Ist also unser Planet so gut wie gerettet? Können wir ein paar Milliarden Bäume pflanzen und dann so weiter machen wie bisher? Wohl kaum, denn:
1. wird es noch Jahrzehnte brauchen, ehe die Bäume ausgewachsen sind und als effektive Kohlenstoff-Speicher dienen; bis dahin dürften noch einige Milliarden Tonnen CO2 mehr in der Atmosphäre sein und die Klimakrise verschärfen.
2. ist es noch gar nicht ausgemacht, dass bilanziell mehr Waldflächen entstehen als verloren gehen. Denn wenn die Klima-Erhitzung ungebremst fortschreitet, könnte unser Planet nach der Studie bis 2050 auch 223 Millionen Hektar Wald verlieren – insbesondere in den tropischen Gebieten Brasiliens und Indonesiens, wo schon jetzt große Waldflächen für den Soja- bzw. Palmöl-Anbau gerodet werden.
3. ist Wald nicht gleich Wald: während in den nördlichen, „borealen“ Zonen unseres Planeten eine Baumbedeckung der Waldfläche von 30 bis 40% herrscht, sind es in den tropischen Wäldern 90 bis 100%. Die höhere botanische Dichte führt auch zu einem größeren Kohlenstoff-Speicherpotential. Und – das erwähnt die Studie nicht explizit – es gibt bei der tropischen Vegetation keine winterliche Wachstumspause.
Insofern lehnt das Crowther Lab den Gedanken ab, man könne unseren Planeten allein durch das Pflanzen vieler Bäume retten [8]. Das ist auch vollkommen richtig, denn inzwischen geht es nicht mehr nur darum, die vom Menschen neu erzeugten Klimagase zu begrenzen und die seit längerem schon in der Atmosphäre befindlichen Klimagase wieder einzufangen, sondern die sich selbst verstärkenden Sekundär-Effekte der Erd-Erhitzung zu begrenzen: immer häufiger und größer brennende Wälder und Moore [9], die Methan-Ausgasungen der arktischen Tundren und die verminderten Rückstrahlungseffekte (Albedo-Effekt) durch das Schwinden des arktischen Eises.
Das Verdienst der Studie ist, einen effektiven, günstigen und akzeptablen Weg zur Abwendung der Klimakrise aufgezeigt zu haben. Denn so umstritten manche Maßnahmen sind, da viel zu viele Lösungen gleich als Einschränkung der persönlichen Freiheit abgekanzelt werden – gegen das Pflanzen von Bäumen kann eigentlich niemand etwas haben.
Götz Warnke
[1] https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2019/07/wie-baeume-das-klima-retten-koennten.htmlhttps://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2019/07/wie-baeume-das-klima-retten-koennten.html
[2] Bastin JF, Finegold Y, Garcia C, Mollicone D, Rezende M, Routh D, Zohner CM, Crowther TW: The global tree restoration potential, Science, 5 July 2019, http://dx.doi.org/10.1126/science.aax0848
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Plant-for-the-Planet
[4] https://www.dgs.de/news/en-detail/050419-mut-zur-nachhaltigkeit/
[5] https://www.forstpraxis.de/weltweit-groesste-aufforstungsflaeche-in-china/
[6] https://www.mpimet.mpg.de/kommunikation/aktuelles/single-news/news/china-und-indien-sind-fuehrend-in-der-begruenung-der-erde/
[7] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/julia-kloeckner-will-programm-zur-aufforstung-der-deutschen-waelder-16271555.html , https://www.presseportal.de/pm/113965/4318551
[8] https://www.crowtherlab.com/tree-restoration-potential-qa/
[9] https://www.spektrum.de/news/der-andere-arktische-klima-teufelskreis/1658352