07.06.2019
Zittern vor den CO2-Vorgaben
Es war ein „vorgezogenes Weihnachtsgeschenk“ der besonderen Art, was sich keiner der Topmanager der europäischen Autoindustrie auch nur im entferntesten gewünscht hätte: Mitte Dezember vergangenen Jahres einigten sich EU-Kommission, EU-Parlament und Minister der europäischen Staaten (Trilog-Verhandlungen) auf eine deutliche Verschärfung der CO2-Grenzwerte bei Kraftfahrzeugen [1]. Selbstverständlich meldete sich sogleich der regierungsamtlich gehätschelte deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) mit seinem Präsidenten Bernhard Mattes zu Wort [2]. Doch es half alles nichts: Ende März wurde der im Dezember ausgehandelte Kompromiss vom EU-Parlament gebilligt und am 15.04. vom EU-Ministerrat in Kraft gesetzt, kam sozusagen als vorgezogenes Ostergeschenk wieder zurück [3]. Während sich Medien, aber auch Verbandsoffizielle vor allem auf den Zeitraum zwischen 2021 und 2030 konzentrierten, in dem bei PKW-Neuwagen der CO2 Ausstoß um 37,5 Prozent, bei neuen leichten Nutzfahrzeugen um 31 Prozent sinken soll, wobei für beide Fahrzeugklassen eine Minderung um 15 Prozent in 2025 als Zwischenetappe gilt, wurde ein anderer Aspekt weniger klar gesehen: der Zeitraum 2019 bis 2021.
Jetzt hat die Kreditversicherungsgruppe Euler Hermes, ein internationales Tochterunternehmen des Versicherungskonzerns Allianz, untersucht, was diese EU-Anforderungen für die europäische Automobil-Industrie bedeuten. Die unter dem Titel „NEW CO2 EMISSION REGULATIONS IN EUROPE: A PERFECT STORM FOR CAR MANUFACTURERS?“ veröffentlichte Studie [4] zeigt die drei sich daraus ergebenden Herausforderungen auf, denen sich die Autoproduzenten gegenüber sehen, und die sich für sie zu einem „perfect storm“, einem verheerenden Ereignis auswachsen könnten.
A) Die technische Herausforderung: In den vergangenen 10 Jahren hat die Autoindustrie die CO2-Emissionen gerade einmal um 25% reduziert; nun muss sie eine Reduktion von 20% in zwei Jahren schaffen – andernfalls werden erhebliche Strafzahlungen fällig. Jetzt rächt sich, dass man in den europäischen Autokonzern-Zentralen, Renault einmal ausgenommen, jahrelang vor allem versucht hat, aus einem Ackergaul (Diesel) ein Rennpferd zu machen, um den schweren Kutschen (SUVs) noch zu einigermaßen akzeptablen Fahrleistungen zu verhelfen. Und sich ansonsten vielfach auf illegale Abschalteinrichtungen verlassen hat. Das alles funktioniert nicht mehr. Jetzt muss das von der Autoindustrie an den Rand gedrängte E-Auto den „Fossil-Karren aus dem Dreck ziehen“. Denn ohne E-Autos lässt sich der angestrebte Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer, den heute kein Autobauer erfüllt, nicht erreichen. Ohne E-Autos ist sind die besonders in Städten wichtigen Abgasreduktionen nicht zu machen. Das weiß man, wenngleich es die Studie nicht erwähnt. Denn auch auf dem weltgrößten Automarkt China, steigt der strafzahlungsbewehrte Pflichtanteil der E-Autos bei den Neuwagen kontinuierlich und Fossil-Fahrzeuge bekommen in Ballungszentren keine Zulassung mehr.
B) Die finanzielle Herausforderung: die jährlich fälligen Strafzahlungen liegen bei 95 € für jedes Gramm CO2, das über den Flottengrenzwert von 95 Gramm pro Kilometer hinausgeht – multipliziert mit der Anzahl der gebauten Fahrzeuge einer Marke! Dabei können nach der Euler-Hermes-Studie schnell Strafzahlungen von 30 Milliarden € auf die europäischen Autoproduzenten zu kommen. Ein weiterer Punkt dieser Herausforderung sind die höheren Investitionen, die für die Produktion CO2-armer/-freier Fahrzeuge nötig sind und die vom noch relativ schmutzigen Mild-Hybrid (MHEV) über Hybride (HEV) und Plug-in-Hybride (PHEV) bis zum emissionsfreien E-Auto (BEV) steigern. Die durchschnittlichen Produktionskosten dürften nach Eulerhermes um 7% steigen.
Was Euler Hermes nicht schreibt: Hintergrund ist die von Typ zu Typ zunehmende Größe der noch teuren Akkus. So wird aber auch verständlich, warum VW seinen Modularen Elektrifizierungsbaukasten (MEB) auch Wettbewerbern anbieten [5] will: hohe Produktionszahlen senken Stückkosten.
C) Die ökonomische Herausforderung besteht darin, dass die unvermeidbare Weitergabe der Produktionskosten an die Kunden zu einem Nachfragerückgang führen wird. Werden z.B. die Produktionskosten so weitergegeben, dass der Durchschnittspreis um 7% steigt, würde das zu einem Rückgang der verkauften Fahrzeuge um rund 9% führen. Tritt dies ein, sind nach Euler Hermes 160.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Gefahr. Ebenso könnten neben den Strafzahlungen zusätzlich 3 Milliarden Euro an Gewinnen ausfallen.
Euler Hermes hat hier noch nicht einmal eingepreist, dass in den kommenden Jahren auch hier vermehrt chinesische E-Autos als Konkurrenz auf den Markt kommen könnten – und das zu sehr attraktiven Preisen. So will etwa der chinesische Hersteller Thunder Power ab nächstem Jahr in Belgien Kleinwagen bauen. Auch zeigte die italienische Firma DR Automobiles SRL auf dem Genfer Autosalon, dass chinesische Technik und italienisches Design gut zusammen passen [6].
Gegenstrategien
Da klar ist, dass die Autoindustrie nicht mit „business as usual“ weitermachen kann, beschreibt die Studie die verschiedenen Gegenstrategien. Da sind zuerst einmal die üblichen Maßnahmen zur Kostenreduktion wie Straffung der Fahrzeugpalette, Abbau von Arbeitsplätzen und anderes. Als zweites geht es um das Ausnutzen der Erleichterungen und Schlupflöcher, welche die EU-Gesetzgebung bietet. Dazu gehört das Super-Credit-System, bei dem in 2020 Autos mit CO2-Emissionen von unter 50g/km als zwei Autos gelten und so den Durchschnitt nochmals senken. Dazu gehören die Eco-Innovations-Credits, bei denen der Einbau energiesparender, innovativer Techniken wie z.B. PV-Panels als CO2-mindernd eingerechnet werden. Die Marken Hyundai und Kia rüsten z.B. jetzt ihre Autos mit PV-Dächern aus: wohl nicht zufällig zuerst die Verbrenner, dann die Hybriden und schließlich die E-Autos [7]. Und dazu gehört das Pooling, bei dem sich Autokonzerne zusammenschließen, damit eine Firma ihre hohen CO2-Emissionen durch die niedrigen einer anderen kompensiert, wodurch die erste Firma hohe Strafzahlungen spart und die zweite Firma entsprechend honoriert wird, wie es derzeit Fiat Chrysler (FCA) und Tesla machen [8].
Weiterhin kämpfen Autoindustrie und Politik gegen – die von ihnen selbst verschuldete – Zurückhaltung der Konsumenten gegenüber dem E-Auto. Zudem muss die Industrie den Spagat zwischen dem notwendigen Umstieg zur E-Mobilität und dem Wunsch vieler kurzsichtiger Kunden nach einem neuen Fossil-Fahrzeug schaffen. Doch die fossilen Neufahrzeuge belasten das CO2-Konto der Hersteller zusätzlich, da es dabei einen hohen Prozentsatz an SUVs gibt, und die statt des Diesels vermehrt nachgefragten Benziner einen höheren CO2-Ausstoß haben als die Selbstzünder. Für ein wirkliches Umsteuern bedarf es mehr Klarheit bei der Politik und für den Verbraucher.
Fazit
„A perfect storm for car manufactures“ ist eine gut gemachte Kurzstudie, die das Ineinandergreifen der verschiedenen Problemkreise der heutigen Autoindustrie deutlich herausarbeitet. So martialisch sich der Titel auch anhört, so kann man doch nicht behaupten, dass die Gefahren für die Autokonzerne übertrieben dargestellt würden. In manchen Abschnitten wirkt die Studie sogar eher verhaltend.
Götz Warnke
[1] www.tagesschau.de/wirtschaft/eu-abgas-grenzwerte-103.html
[2] www.dgs.de/news/en-detail/211218-wenn-der-grenzwert-gar-nicht-passt/
[3] www.tagesschau.de/wirtschaft/co2-grenzwerte-101.html, https://ec.europa.eu/clima/news/clean-mobility-new-co2-emission-standards-cars-and-vans-adopted_en
[4] www.eulerhermes.com/content/dam/onemarketing/euh/eulerhermes_com/erd/publications/pdf/20190524-TheView-CarRegulation.pdf
[5] www.automobil-produktion.de/hersteller/wirtschaft/volkswagen-oeffnet-elektro-plattform-fuer-wettbewerber-239.html
[6] www.dgs.de/news/en-detail/150319-genfer-sehen/
[7] www.sonnenenergie.de/sonnenenergie-redaktion/SE-2019-01/Layout-fertig/PDF/Einzelartikel/SE-2019-01-s032-Mobilitaet-Tankstellen_der_Elektromobilitaet.pdf (S. 35)
[8] www.zeit.de/2019/16/co2-deal-tesla-fca-elon-musk-elektroautos-emmissionen