02.11.2018
Neuausrichtung in der Union – na schaun wir mal
„In der Union bricht eine neue Ära an", formulierte Niedersachsens CDU-Chef Althusmann am Donnerstag gegenüber der Presse. Es gehe um eine „Neuausrichtung“ für die Nach-Merkel-Zeit, die mit dem Teilrückzug der Dauerkanzlerin jetzt begonnen habe. Zugleich wird als eine der „Lehren aus den Wahlergebnissen von Bayern und Hessen“ kolportiert, man müsse den Streit innerhalb der Union wie auch der Schrumpf-Groko beenden und zur „Sacharbeit“ zurückkehren. Wie passt das zusammen, was uns da täglich von den Medien über den Kopf gekippt wird und vor allem, worum geht es überhaupt? Mieten, Renten, Flüchtlinge, Migration, Bildung, Mindestlohn, Organspende, Hambacher Wald - Schlagworte fliegen genügend durch den Raum. Gehört das zur Sacharbeit und reicht ein Drehen an einigen Stellschrauben in diesen Themenbereichen, um daraus eine Neuausrichtung zu machen? Oder befinden wir uns nur im Verkaufsraum (engl. Showroom!) deutscher Politik und nicht im Maschinenraum, geschweige denn auf der Kommandobrücke, wo Kapitän und Lotse den Kurs bestimmen?
Wodurch hat sich der bisherige Kurs der Regierungen Merkel ausgezeichnet, der von einer Neuausrichtung abgelöst werden soll? Im Wesentlichen durch zwei Kernpunkte: niedrigste Lohnstückkosten und die weltweit zweiniedrigsten Energiekosten. Beides hat zur Stabilisierung der Unternehmen des Exportweltmeisters Deutschland geführt, auch wenn es in Europa wie im Inland zu mannigfaltigen Friktionen führte. Dass es viele Verlierer dieser Politik gibt spiegelt sich ja gerade in den Landtagswahlergebnissen wider. Nicht die unsinnige These vom Streit innerhalb der Union, den die Bürger nicht abkönnten. Hat das auch etwas mit Energiewende und Klimapolitik zu tun? Ja selbstverständlich. Selbst wenn die meisten Parlamentsparteien momentan diese Begrifflichkeit weitgehend meiden und wenn, dann missbrauchen, bleibt festzuhalten, die Kanzlerin hat das Kunststück dieser niedrigsten Energiepreise für die Industrie fertiggebracht. Sie schaffte es, zu Beginn ihrer Regierungszeit über Energiewende zu reden, zugleich aber konsequent dagegen zu arbeiten, sodass die großen Industrien der Deutschland-AG von der bisherigen Solarentwicklung sogar mehr profitieren konnten, als die Erzeuger von regenerativen Energien selbst. Ihr ist es gelungen, sich als Klimakanzlerin in die Herzen vieler Menschen einzuschleichen und hinterher zu verkünden, ihr sei „gesagt worden, Deutschland wird die Klimaziele deutlich verfehlen“. Auch davon künden die Landtagswahlergebnisse.
Dass ein „weiter so“ angesichts der wirtschaftlichen wie technologischen Umbrüche nicht möglich sein würde, das ahnen viele Menschen. Die Friktionen in der Weltwirtschaft - Stichwort Freihandel versus bilaterale Handelsabkommen - sowie die aufpoppende Krise der repräsentativen Demokratien in vielen westlichen Ländern, legen schon den Gedanken an einen Neuausrichtung nahe. Aber wie weit reichen diese Erkenntnisse und das Verständnis über bevorstehende Veränderungen, ja Friktionen, und wo findet dies seine Grenzen? Denn solche Situationen tragen immer beide Elemente in sich, das retardierende wie auch das vorantreibende. Um es konkret und aktuell auszudrücken: natürlich wollen die deutschen Autobauer Investitionen in Ihre Produktionsanlagen nicht vorzeitig aufgeben, sie würden Rendite und die Zustimmung ihre Aktionäre auf Spiel setzen. Kann eine Regierung, die sich bisher dem Vorzug von Verbrennungsmotoren verpflichtet gefühlt hat, die aber die Strahlen einer neuen Elektromobilität am östlichen Morgenhimmel aufsteigen sieht, dies auf Dauer ignorieren? Oder kann eine neue Unionsführung, die auf erfolgreiche Jahre der Eindämmung und Einfriedung der Solarisierung in Deutschland zurückblickt, die Augen weiterhin davor verschließen, dass Solarenergie zu einer starken Industrie in vielen Teilen der Welt geführt hat, mit der deutsche Unternehmen immer weniger zu tun haben? Wenn es stimmt, dass die regenerative Stromerzeugung zukünftig immer kostengünstiger und sich bis 2030 durchsetzen wird, welchen wirtschaftspolitische Sinn macht es, am Kurs des effizienteren Umgangs mit fossilen Brennstoffen festzuhalten, während andere mit der Sonne längst viel niedrigere Energiekosten erreichen und der Vorteil des billigen Kohle- oder Erdgasstroms dahin schmilzt?
Akzeptiert und verarbeitet eine Regierungsverantwortung tragende Partei die Erkenntnisse, dass das Zeitalter der rohstoffbasierten Industrien seinem Ende entgegengeht und in eine bitbasierte Epoche mündet und dass dies sowohl für den Wirtschaftsstandort wie für die Klimafrage von zentraler Bedeutung ist? Oder verbirgt sich hinter der proklamierten Neuausrichtung ein umso verbissener Kampf gegen Erneuerbare Energien und Sozialstaat, als er bisher von den Merkel-Koalitionen betrieben wurde? Man ist es gewohnt, dass die Beantwortung dieser Fragen weder in den Parteien noch von den Massenmedien offen verhandelt und beantwortet werden. Es dürfte daher auch zweitrangig sein, wer sich beim Kandidatenkarussell als CDU-Chef durchsetzt. Viel entscheidender dürfte sein, in welche Richtung sich die ganze Debatte entwickelt. Wofür des Kaisers neue Kleider tatsächlich stehen, wird sich eh erst im Laufe der Zeit endgültig herausstellen – wie sehr die Klimakanzlerin ein Fake war, verstanden viele im Publikum ja auch nicht sofort.
Aber es gilt dennoch, einige politische Eckpunkte zu benennen, an denen sich ein veränderter Kurs der CDU-Führung messen lassen könnte. Solche wären z.B. die Aufhebung bei der Deckelung von Photovoltaik und Windenergie, eine Wärmepolitik, die nicht auf fossiles Energiesparen, sondern direkte und messbare Reduktion von Klimagasen setzt. Erneuerbare Energien müssen konsequenten und prinzipiellen Vorrang haben vor allen fossilen Erzeugungstechnologien. Dies müsste z.B. auch seinen Niederschlag in einer begleitenden CO2-Bepreisung finden. Und es müsste ein Klimaschutzplan ausgearbeitet werden, der sich dem 1,5 Grad Limit verpflichtet fühlt und auch umgesetzt wird. Ob ein Diskussionsprozess innerhalb der Unionsparteien überhaupt stattfindet bzw. in welchem Stadium er sich befindet, ist momentan schwer zu beurteilen. Aber das sollte kein Grund für uns sein, sich in Zurückhaltung zu üben. Die Solarbewegung ist nicht nur Teil der Zivilgesellschaft in unserem Land. Sie ist, mit anderen, ihr innerer Kern, der neben Visionen auch handfeste materielle Interessen daran hat, dass die Solarisierung endlich weiter geht.
Klaus Oberzig