31.03.2023
Auch ein gescheiterter Volksentscheid kann ein Impuls für Klimaschutz sein
Eine kommentierte Analyse von Tatiana Abarzúa
442.210 Wähler:innen (50,9 %) stimmten für den Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“, also wenn auch knapp, die Mehrheit. 423.418 Wähler:innen (48,7 %) stimmten dagegen. Für die Annahme des Beschlussentwurfs, das Land Berlin durch Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2030 verpflichten (die DGS-News berichteten), hätten jedoch zusätzlich auch mindestens 25 % aller Wahlberechtigten zustimmen müssen. 165.308 Stimmen haben gefehlt, um dieses Quorum zu erreichen. Somit ist der Volksentscheid gescheitert.
Nun bleibt es bei der bisherigen Zielsetzung im Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz, die CO2-Emissionen „spätestens bis zum Jahr 2045 um mindestens 95 Prozent im Vergleich zu der Gesamtsumme der Kohlenstoffdioxidemissionen des Jahres 1990“ zu verringern. Also nicht 15 Jahre früher. Wie geht es nun weiter mit den Klimaschutzambitionen der Berliner:innen?
Wahlergebnisse – Pro
Auf Bezirksebene war die Initiative in Friedrichshain-Kreuzberg (76,7 % Ja-Stimmen), Mitte (67,2 % Ja-Stimmen), Pankow (57,6 % Ja-Stimmen), Charlottenburg-Wilmersdorf (53,9 % Ja-Stimmen) und Neukölln (53,5 % Ja-Stimmen) erfolgreich.
Wahlergebnisse – Contra
Was das Wahlergebnis von anderen Volksentscheiden unterscheidet, ist, dass eine nennenswerte Zahl von Wahlberechtigten zur Abstimmung gegangen ist, um dagegen zu stimmen. Das war in Marzahn-Hellersdorf (71,4 % Nein-Stimmen), Reinickendorf (64,4 % Nein-Stimmen) und Spandau (63,5 % Nein-Stimmen) deutlich der Fall. Auch in Treptow-Köpenick (56,2 % Nein-Stimmen) und Steglitz-Zehlendorf (53,6 % Nein-Stimmen) stimmte die Mehrheit gegen den Volksentscheid.
Wie ist die Haltung der Politik?
Nach dieser Abstimmung bietet es sich an, Bilanz zu ziehen. Manche Leser:innen erinnern sich vielleicht daran, dass die Berliner Politik die Forderung, eine Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen, abgelehnt hatte. Der bisherige Senat argumentierte, er halte es „für unmöglich, als sie weitgehend entkoppelt von den Klimaschutzzielen auf Bundes- und europäischer Ebene erfolgen müsste“. Wenig überraschend, lehnen Franziska Giffey, Noch-Regierende Bürgermeisterin, und Kai Wegner, möglicher künftiger Bürgermeister (vorausgesetzt SPD-Basis und CDU-Parteitag stimmen den für kommende Woche angekündigten Koalitionsvertrag zu), das Klimaneutralitätsziel des nun gescheiterten Volksentscheids ab.
Auch der Blick auf die Bundespolitik verspricht keine größeren Ambitionen, wie die Ergebnisse aus dem Koalitionsausschuss vermuten lassen, die bisher in die Öffentlichkeit gelangt sind. Hier drängt sich die Deutung auf, dass der Klimaschutz verwässert wird, wenn künftig anhand von sektorenübergreifenden, mehrjährigen Gesamtrechnungen überprüft werden soll, ob die Klimaschutzziele eingehalten werden, und wenn Autobahnprojekte als von überragendem öffentlichem Interesse eingestuft werden. Das bisherige Klimaschutzgesetz sieht dagegen konkrete Sektorenziele vor. Die Emissionsdaten von 2022 überprüft derzeit der Expertenrat für Klimafragen und wird seinen Bericht im April vorlegen, wie in den beiden Jahren zuvor (die DGS-News berichteten).
Termine und Handlungsbedarf
In den Wochen vor der Abstimmung war die Kampagne für den Volksentscheid sehr sichtbar in der Stadt, durch große Plakate im öffentlichen Raum (siehe Foto), Anzeigen in der U-Bahn und Activisti, die in Fußgängerzonen Flyer verteilten. Die Kampagne finanzierte sich über Spenden, die Spender:innen sind öffentlich genannt.
Es ist anzunehmen, dass die Entscheidung, die Abstimmung auf den 26. März und nicht auf den 12. Februar zu legen – den Tag der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, wie Landeswahlleiter Stephan Bröchler zunächst angenommen hatte - ein „wesentlicher Grund für das Scheitern beim Quorum“ ist. Diese These wird unter anderem von Hans-Josef Fell vorgebracht. Fell spricht auch die „große Medienkampagne gegen das Ja im Volksentscheid“ an, die er beobachtete.
Allerdings kann der Zeitpunkt für eine Abstimmung über Klimaneutralitätsziele als prinzipiell sehr passend bezeichnet werden. Denn erst vor etwa einer Woche veröffentlichte der IPCC seinen neuen Synthesebericht, der aufzeigt (die DGS-News berichteten), dass die globale Erwärmung im Laufe des 21. Jahrhunderts die 1,5 °C-Schwelle überschreiten kann.
Nun hatte der Volksentscheid keinen Erfolg. Dennoch tut sich etwas in der Zivilgesellschaft. Klimabewegte sind dabei, ein Netzwerk aufzubauen. Nach eigenen Angaben nehmen sie „das Momentum des Volksentscheids“ zum Anlass, und möchten aufbauend auf den Kiezgruppen der Bürgerinitiative „Klimaneustart“ die Kräfte stärker bündeln. Wir sind gespannt, ob das selbstgesteckte Ziel, nach und nach strukturelle Hürden für ein klimaneutrales Berlin aus dem Weg zu räumen, erreicht wird.