04.11.2016
Energiewende muss auf die Beschleunigungsspur!
Gemeinsame Stellungnahme zum „Impuls-Papier Strom 2030“ des Bundeswirtschaftsministeriums (zum Download, inklusive der Angabe weiterer Unterstützer)
Ausgangslage
Das Impuls-Papier erscheint zu einem Zeitpunkt, wo den Hauptakteuren der Umsetzung der Energiewende nebst Millionen zusätzlicher Befürworter mittels repräsentativer Umfrageergebnisse durchweg deutlich geworden ist, dass das „EEG 2017“ nicht der Beschleunigung der Energiewende dient, sondern – in konsequenter Fortsetzung des EEG 2014 - diese in unverantwortlicher Weise weiterhin ausbremst.
Beschleunigung der Energiewende durch Korrekturen der Fehlsteuerung !
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung mit ihrem Impuls-Papier einen Diskussionsraum öffnet und gehen davon aus, dass sie dies auch mit einer Bereitschaft zur kritischen Hinterfragung ihres Regierungshandelns verbindet.
Hierzu sehen wir insbesondere bei folgenden Punkten Anlass:
- Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nahezu wasserdicht und in ihrem Gesamtbild sachlich nicht angreifbar: Die Klimaerwärmung schreitet schneller voran als zuvor prognostiziert! Die logische Konsequenz daraus wäre, die Energiewende maximal zu beschleunigen. Stattdessen wird der Ausbau Erneuerbarer Energieträger gedeckelt. Die Photovoltaik-Branche erlitt bereits einen Verlust von 70.000 bis 100.000 Arbeitsplätzen und ist zudem weit davon entfernt, den gesetzlichen Deckel überhaupt zu erreichen. Dies scheint die Regierung offensichtlich nicht zu beunruhigen, denn sie lässt aus dem Wirtschaftsministerium verlauten: „Es ist noch Speck im System, und der muss weg!“
Uns beunruhigt diese Sichtweise sehr, da wir lieber auf die Erkenntnisse der Wissenschaft sowie eigene Beobachtungen und praktische Erfahrungen vertrauen!
- Unterstellter „Speck im System“ dürfte wohl auch Motiv für die Einführung des Ausschreibungsverfahrens gewesen sein.
Erfahrungen in anderen Ländern mit Ausschreibungen ergaben, dass sie die Energiewende nicht beschleunigten. Zudem verunsicherten Ausschreibungen Akteure und erschwerten wirtschaftliche Planungen für kleine und mittlere Unternehmen. Solche Unternehmen sind in Deutschland die wesentlichen Akteure der Energiewende.
Wir befürchten, dass die Ausschreibungen - wie im Ausland - auch die deutsche Energiewende entschleunigen und sich demzufolge der Windkraft-Ausbau an Land völlig unzureichend entwickeln wird.
- Die „Bürgerenergie“, das Herz und menschliche Gesicht der Energiewende, wird durch das Ausschreibungsverfahren besonders schwer benachteiligt.
Die von der EU ausdrücklich aufgezeigte Möglichkeit der De-Minimis-Regelung, mit der kleine Projekte bis 18 MW von der Ausschreibungspflicht befreit werden können, wurde ins EEG 2017 nicht aufgenommen. Die kurz vor Ende beschlossenen Verbesserungen beim Zuschlagsverfahren stellen die ernst gemeinten Bürgerprojekte nicht wirklich besser und erhöhen das Missbrauchsrisiko wegen der geringen Hürden für eine Bürgergesellschaft erheblich. Es fehlen Haltefristen für die Projekte, die den schnellen Verkauf an Investoren bremsen könnten. Da die Margen der Bürgerenergie sich bisher schon an der Untergrenze der Wirtschaftlichkeit bewegen, ist ihr bei mehrjähriger Vorlaufplanung und dem mit dem Ausschreibungsverfahren verbundenen Gesamtaufwand ein seriöses Wirtschaften nicht mehr möglich. Dies wird sich auf den Windkraft-Ausbau zusätzlich negativ auswirken. Zudem erleidet die hohe Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung weitere Einbrüche, da die Errichtung von Windkraftanlagen durch anonyme Großinvestoren anstelle von regional verwurzelten Bürger-Energiegenossenschaft nicht dem Willen der Masse der Bevölkerung entspricht.
- Die Erhebung der EEG-Umlage auf Eigenverbrauch des selbst erzeugten erneuerbaren Stroms und auf Mieterstrom sind weitere Beispiele für bewusstes „Entschleunigen“ der Energiewende.
Daher fordern Vereinigungen der Erneuerbaren Energienwelt und auch Wissenschaftler eine Neujustierung der EEG-Umlage. Wir schließen uns deren Analysen und Empfehlungen an und bitten die Bundesregierung, noch in dieser Legislaturperiode nachzusteuern, damit die Energiewende wieder auf die Beschleunigungsspur wechselt.
- Viel wird die sog. „Marktintegration“ der Erneuerbaren Energien hervorgehoben. Sollten damit für alle Marktteilnehmer faire Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden, sind wir davon nicht überzeugt. Ein fairer Markt muss für alle Marktteilnehmer im gleichen Marktsegment die gleichen Wettbewerbsbedingungen schaffen und garantieren. Stattdessen bleiben für fossil und atomar erzeugte Energie (konventionelle Energien) die Klima-, Umwelt- und Gesundheitskosten („externe Kosten“) außen vor. Sie erscheinen auf keiner Stromrechnung der Energieversorger an ihre Kunden.
Externe Kosten werden unverändert diffus und intransparent der Gesamtgesellschaft auferlegt. Da die externen Kosten der konventionellen Energien rund 10 mal so hoch sind wie die der Erneuerbaren (nach einer Bezifferung des Umweltbundesamtes betragen die externen Kosten der Braunkohleverstromung mehr als 10 Cent pro KWh, die von Windstrom/Sonnenstrom weniger als 1 Cent), genießen die konventionellen Energien einen erheblichen Wettbewerbsvorteil. Von Marktintegration kann daher nicht die Rede sein. Integration zu unfairen Bedingungen trifft unseres Erachtens den Kern.
Dass Windstrom trotz dieser grundsätzlichen Benachteiligung bereits mit den Erzeugungs- kosten neuer Kohlekraftwerke gleichziehen kann, ist umso erstaunlicher und zeigt das außerordentliche Potential der Erneuerbaren.
- Wenn Wirtschaftsminister Gabriel die Erneuerbaren Energien mit Welpen vergleicht, die man nun lange genug gepäppelt habe, lässt auch er den ganzen Komplex „externe Kosten“ außer Acht. Andernfalls würde er erkennen, dass es in Wirklichkeit die fossilen und atomaren Energien sind, die gepäppelt werden, indem die ganze Gesellschaft die von ihnen verursachten unabsehbaren Folgeschäden und Kosten übernimmt.
Die CO2-freien Energien führen aus diesen Misslichkeiten heraus und ermöglichen bei einem beschleunigenden Einsatz nicht nur volkswirtschaftlich betrachtet die Begrenzung des unverantwortlichen Klimawandels. Deswegen ist obiger Vergleich unzutreffend. Auch hierzu würden Nachbesserungen noch in dieser Legislaturperiode den Willen erkennen lassen, den Klimaschutz und eine zügigere Umsetzung der Energiewende ernst zu nehmen.
Beschleunigung der Energiewende – zum Impuls-Papier im Detail:
Einen kritischen Ansatz zur bisherigen Energiepolitik enthält das Impuls-Papier nicht. Vielmehr wird diese gelobt und als Erfolg dargestellt. Dass bis 2050 nur mindestens 80% Erneuerbare Energien angestrebt werden, wird nicht revidiert, auch wenn es an einer Stelle heißt „2050 wird Strom weitestgehend CO2-frei erzeugt“ (S. 12). Diese Aussage wird auch sogleich damit konterkariert, dass Techniken der Langzeitspeicherung wie Power to Gas in eine quasi mythische Zukunft verlagert werden (wie auch schon im Grünbuch und Weißbuch), was praktisch bedeutet, dass konventionelle Kraftwerke über 2050 hinaus für Regelleistung und Netzstabilität notwendig bleiben. (*1)
Doch losgelöst des Eigenlobes und der „entschleunigenden“ Veränderungen des EEG – dem Motor der Energiewende – enthält das Impuls-Papier einige Punkte, die wir durchaus befürworten:
Die Bedeutung der Energieeffizienz wird hervorgehoben, die Flexibilisierung des Systems, die wichtige Bedeutung der Sektorkopplung. Neue Erkenntnisse sind dies natürlich nicht.
Großes Gewicht wird dem Netzausbau beigemessen: Durch europaweite Verbindungen soll ein Ausgleich der fluktuierenden Energien Sonne und Wind ermöglicht werden. Dadurch hofft man, Kosten für den Bau von (Langzeit) speichern einzusparen. Während Speicherung die Energie zeitlich verschiebt, wird sie durch Netze räumlich verschoben. Inwieweit hierdurch ein Ausgleichseffekt erzielt werden kann, hängt davon ab, dass innerhalb der Vernetzung unterschiedliche Witterungsverhältnisse gleichzeitig existieren, die sich gegenseitig ergänzen (Flaute in einem Bereich – kräftiger, den dortigen Bedarf überschreitender, Wind in einem anderen Bereich; entsprechend hinsichtlich Sonneneinstrahlung). Welches Ausmaß solches Ausgleichspotential innerhalb von Europa hätte, muss zunächst durch Vergleich gleichzeitiger Witterungssituationen in verschiedenen Regionen ermittelt werden. Vorher lässt sich nicht beurteilen, was günstiger wäre: Netzausbau oder Speicherbau.
Auch hinsichtlich der in Deutschland angedachten „Stromautobahnen“ gibt es erheblichen Klärungsbedarf. Die in der Öffentlichkeit verbreitete Begründung „im Norden ist der Wind, im Süden die Industrie, deswegen muss der Windstrom von Norden nach Süden transportiert werden“, kann kaum überzeugen, denn auch Norddeutschland ist hoch industrialisiert, nicht nur in Hafenstädten wie Hamburg oder Bremen. Naheliegend wäre es daher, wenn der nördliche Windstrom nicht mit immensem Aufwand über weite Entfernungen verlagert, sondern vor Ort verbraucht wird, indem hier der Anteil an konventionellem Strom im Netz zeitnah erheblich reduziert und durch Windstrom ersetzt wird. Hierbei könnten gleichzeitig Erfahrungen mit Speicherungstechniken vertieft und dann auch von anderen Regionen genutzt werden.
Die Kosten der Stromautobahnen schätzt man bereits heute auf 30 bis 40 Milliarden Euro (das 5- bis 7-fache der Kosten von Stuttgart 21!). Schon ein Teil dieses Betrages würde ausreichen, um im Süden genug Eigenversorgung aufzubauen, sowie die laut Deutsche Energie Agentur (dena) benötigten 1000 MW Langzeitspeicherung (Power to Gas), die 1,7 Milliarden Euro kosten würden.
Im Gegensatz zum alten System aus zentralen Kraftwerken und Verteilung ist die Energie aus Sonne und Wind von Natur aus über die ganze Erde verbreitet und muss daher nicht verteilt werden. Sie wird dezentral aufgefangen und in Strom verwandelt. Dem Grunde nach liegt es daher nahe, das „Thema Netze“ durch das „Thema Speicherung“ abzulösen. Vermutlich wird es auch bei 100% Erneuerbar noch Netze geben, aber ihr Umfang und ihre Funktion wird eine andere sein. Dieser grundlegende Unterschied wird im Impuls- Papier nicht reflektiert.
Es wäre jedoch nötig, dass alle Menschen, die sich für die Energiewende engagieren, die noch offenen Fragen im Zusammenhang Netze/Speicherung diskutieren, um Lösungen im Sinne des möglichst raschen vollständigen Umstiegs auf Erneuerbare Energien herauszuarbeiten.
Großprojekte, deren Sinnhaftigkeit für die Energiewende nicht eindeutig erwiesen ist, sollten aus wirtschaftlich/ökonomischen Motiven nicht realisiert werden. Andernfalls steht zu befürchten, dass bei Kostenexplosionen oder Einstellung der Realisierung die „teure Energiewende“ (wieder) als Sündenbock hingestellt wird.
Angebot an die Regierung:
So sehr die Energiepolitik der Regierung im Hinblick auf den Klimaschutz zu kritisieren ist
– die Regierung steht selber auch unter einem Druck: Dem Druck der Kohle- und Atomlobby, aber auch unter dem Druck, der von den Beschäftigten der konventionellen Energien und ihren Gewerkschaften ausgeht. Deren Blickfeld ist noch stark auf das „Hier und Jetzt“ und „Weiter wie bisher“ ausgerichtet.
Angst vor der und unzureichende Kenntnisse über die notwendige Energieversorgung von
Morgen behindern die Sicht in eine lebenswerte, generationenübergreifende Zukunft.
Unseres Erachtens wäre es Aufgabe einer verantwortungsvollen gewerkschaftlichen Interessenvertretung, die Mitglieder daran zu erinnern, dass es schon immer einen Wandel in den Produktions- und Arbeitstechniken gegeben hat und dass dieser Wandel dann am besten bewältigt wurde, wenn man sich nicht gegen ihn gestellt, sondern ihn mitgestaltet und beeinflusst hatte.
Während früher technische Neuerungen immer darin bestanden, Arbeitsplätze einzusparen, ist es bei der Energiewende erstmalig umgekehrt: bei der Stromerzeugung durch EE entstehen weitaus mehr Arbeitsplätze als in der Kohle wegfallen.
Wichtiger als all dies ist: der Klimawandel betrifft UNS, ALLE
- einschließlich der Beschäftigten in der konventionellen Energiewirtschaft!
Eine redliche Informationsarbeit, um diese Zusammenhänge klarer zu machen, würden wir mit unserer Expertise gern unterstützen.
Eine Fortsetzung der Ausbremsung der Energiewende in Deutschland ist allein schon angesichts der Pariser Klimabeschlüsse unverantwortlich. Noch unverantwortlicher wird diese Art der Energiepolitik angesichts unserer nationalen Verantwortung - als viel Energie verbrauchende Industrienation im Wohlstand - für unseren Planeten Erde.
Wir Menschen stehen nicht über dem Öko-System, sondern sind als Teil des Öko-Systems nur gemeinsam dazu imstande, in einer noch nie dagewesenen Herausforderung seit dem Zeitalter der industriellen Revolution unsere Zukunft lebenswert zu gestalten und die Erde als einen für die menschliche Entwicklung guten Platz zu erhalten.
*1: Auf dem 3 Bürgerenergiekonvent des Bündnis Bürgerenergie e. V. (BBEn) im September 2016 machte Prof. Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin und BBEn- Ratsmitglied, die unentbehrliche Rolle der Bürgerenergie für Energiewende und Klimaschutz klar. Den vollständigen Vortrag beim Konvent finden Sie unter: www.youtube.com/watch