29.06.2018
Mit Volldampf in die Vergangenheit
"Wir wollen zuerst über die Arbeitsplätze reden, die neu entstehen und dann über die Arbeitsplätze, die wegfallen", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Montag bei einem Besuch in Spremberg, im brandenburgischen Braunkohleabbaugebiet der Lausitz. An seiner Seite der brandenburgische SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke. Altmaier hatte diesen Auftritt bewusst so gewählt, dass er mit dem Start der Kohlekommission zusammenfiel. Seine Botschaft, so der Minister weiter, es handele sich um einen Strukturwandel, „der sich nicht aus dem Fortgang der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs ergebe - sondern aus Leitentscheidungen der Politik“. Also eine rein lokale und innerdeutsche Angelegenheit, nix von übergeordneter Bedeutung. Warum diese krampfhafte, ja schon fast beschwörende Betonung, es gehe lediglich um die Rettung einer lokal relevanten Zahl von Arbeitsplätzen, obwohl jeder halbwegs informierte Bürger weiß, Braunkohleverstromung ist eine Top-Klimakiller!
Zwei Tage später spielt sich im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie eine ähnliche Groteske ab. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatten einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Sonderausschreibungen für Erneuerbare Energien vorsieht. Mit dem Verweis auf fehlende Netzkapazitäten hat sich die Koalitionsmehrheit gegen den Zubau Erneuerbarer Energien ausgesprochen, obwohl dieser im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Gleichzeitig haben sie explizit für die Übertragung von Atomstrom in das Netzengpassgebiet gestimmt. „Erneuerbarer Strom darf also nicht hinzukommen, Atomstrom schon, so die Bündnisgrüne MdB Dr. Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft ihrer Fraktion. Dass ein Grüner Antrag mit Vorschlägen zur besseren Auslastung der Stromnetze ignoriert wird, passt ins oben angeführte Bild. Mit dieser Entscheidung gefährde die Koalition nicht nur die Klimaziele, sondern auch tausende Arbeitsplätze in der Windindustrie. „Die Union hat … im Wirtschaftsausschuss deutlich gemacht, dass ihr Atomstrom lieber ist als Strom aus Erneuerbaren Energien“, interpretiert Nestle das Abstimmungsverhalten der Koalitionsparteien. Diese seien „mit Volldampf in die Vergangenheit“ unterwegs.
So kann man das durchaus auf den Punkt bringen. Und dabei ist es egal, ob man den Koalitionären Bösartigkeit, Arroganz oder Dummheit unterstellt. Denn unter dem Strich kommt bei diesem „Zeit schinden“ und die „Erneuerbaren klein halten“ auch ökonomisch das pure Gegenteil raus. In Ländern wie China oder Indien setzt man auf die Erneuerbaren und will sich die kostengünstige Energiequelle Sonne so schnell wie möglich erschließen. Die Energiekonzerne der EU und der USA samt ihren Charaktermasken in der Politik wollen sich weiterhin das Geschäft mit den fossilen Rohstoffen nicht aus der Hand nehmen lassen. Betriebswirtschaftlich betrachtet ließe sich das ja nachvollziehen, makroökonomisch aber nicht mehr. Denn wir erleben gerade den Epochewechsel von der rohstoffbasierten Industrie hin zur bitbasierten Produktion. Da hilft keine verbale Kosmetik à la Digitalisierungsgesetz, die sich scheinbar der neuen Epoche öffnet. Das ist Symbolpolitik. Erleben wir tatsächlich jetzt erst die Digitalisierung? Haben wir nicht in den letzten 30 Jahren, also in rund einer Generation, selbst miterlebt, wie Computer, Automatisierung und Digitalisierung Einzug in die Wirtschaft und in unser Leben gehalten haben? Dieser Prozess läuft längst, er ist gewissermaßen von den Rändern der kapitalistischen Produktionsweise bis zu ihrem inneren Kern vorgedrungen: der Energie Erzeugung und der Energieversorgung. Und genau damit sind Gesellschaft und Wirtschaft heute konfrontiert.
Im Zentrum angekommen, revolutioniert die neue Art der Energieerzeugung den gesamten Produktionsprozess und das gesamte gesellschaftliche Leben. Es geht natürlich um die Kosten der Produktion. Und da gibt es eben diesen scheinbar banalen Unterschied, dass die bitbasierte Produktion Kosten vermeidet, während die rohstoffbasierte welche erzeugt. Auch wenn es harmlos klingen mag, dieser Unterschied wird eine Frage von Konkurrenzfähigkeit und Überleben sein. Und dabei sind Diejenigen, die um jeden Preis am Alten festhalten wollen, hundsmiserabel aufgestellt. Oder wie die Grüne Nestle sagt, sie sind auf dem Weg in die Vergangenheit. Man könnte auch sagen, auf dem Weg in den Absturz und die Bedeutungslosigkeit.
Dies gilt nicht für einzelne Politiker oder Parteien. Dies gilt für Branchen, Industrien und Nationen. Da hilft auch kein Trump’scher Reflex weg von der gescheiterten Globalisierung hin zur unilateralen, sprich nationalen Wirtschaftspolitik. Es ist nicht eine Frage des „wo“, also in welchem Land produziert wird, sondern eine Frage des „wie“. Also rohstoffbasiert contra erneuerbar. Wir, die wir uns schon seit Jahren und Jahrzehnten für die Sonnenenergie begeistern, haben lange Zeit nicht die Sprengkraft gesehen, die in diesem Veränderungsprozess steckt. Natürlich ist die Sonne als Energiequelle für das Klima unseres Planeten von entscheidender Bedeutung. Aber sie zur Basis unserer Energieerzeugung zu machen, ist ökonomisch ebenso essentiell. Dass die führenden Politiker und Parteien hier wie in den USA dies nicht sehen, ist wenig verwunderlich. Haben die wenigen, wirklich Reichen dieses Planeten ihre sagenhafte Stellung doch alle mit und durch die fossilen Rohstoffe gemacht. Wieso sollten „his masters voices“ anders kläffen?
Wenn Altmaier und Woidke betonen, sie würden sich Tag und Nacht um die Arbeitsplätze in der Lausitz oder im Rheinischen Revier sorgen, so ist das reine Apologetik. Sie wollen nicht, dass zu offensichtlich wird, welchen Interessen sie dienen. Aber langsam wird es eng für sie. Die oben genannten Widersprüche haben, auch wenn wir das in Deutschland bislang noch nicht so deutlich spüren mussten, eine derartige Schärfe angenommen, dass sie inzwischen zur politischen Konfrontation zwischen ehemaligen Partnern führen. Und die Merkel-Koalition treibt konzeptionslos durch den Raum. Richtig regiert hat diese Regierung ja eh nie. Das, was in der vorangegangenen Koalition noch irgendwie nach Konzept gerochen hatte, nämlich das Gerede von der Energieeffizienz oder dem Vorsprung durch Technik, erweist sich angesichts des grundsätzlichen Epochewandels nur noch als hohl. Diese Regierung hat abgewirtschaftet, ob sie es nun selbst weiß oder nicht. Das gleiche gilt im Übrigen für die Flüchtlingsfrage. Dieses Erbe der rohstoffbasierten Globalisierung wird nicht dadurch beseitigt, dass Europa sich auf die eine oder andere Art dieser armen Menschen entledigt. Die Probleme werden größer und die Politik versteckt sich hinter leerem Geschwätz.
Klaus Oberzig
Die Dokumente zu den einzelnen Tagesordnungspunkten des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie finden sich hier:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes –
Erhöhung der Ausbaumengen für Windenergie an Land und Solarenergie
Stromstau auflösen anstatt erneuerbare Energien zu bremsen
Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (16. AtGÄndG)