28.07.2017
Kartellaffäre und "clean energy": Gratwanderung zwischen Betrug und Verhinderung
„Ich bin enttäuscht über die illegalen Absprachen der Automobilwirtschaft“, sagte am gestrigen Donnerstag Bundesumweltministerin Barbara Hendricks nach einem Besuch bei VW in Wolfsburg in die Kameras und Mikrophone. Sie sage das auch „im Namen ihrer Ressortkollegen und der Regierung“. Der Staat habe es an Distanz zu den Autobauern mangeln lassen, weshalb sich die Branche wohl "zu sicher" gefühlt habe. Die aufgedeckten Kartell-Machenschaften hätten auch bei ihr Vertrauen zerstört. Der neben ihr stehende VW-Boss Müller lächelte säuerlich und beeilte sich dann zu erklären, im Grunde habe man ja keine unterschiedlichen Standpunkte. Diesen widersprüchlichen Auftritt könnte man als Wahlkampfgeplänkel abtun. In den Monaten vor der Bundestagswahl ist Show groß geschrieben und werden Nuancen unterschiedlicher Standpunkte zu unüberbrückbaren Gegensätzen stilisiert. Dass die Bundesregierung samt Landesregierungen nicht gerade kritisch zum Verbrennungsmotor und zur herrschenden Autokultur stehen, ist kein Geheimnis und wer in diesem Verhältnis die Hosen anhat, auch nicht. Aber es scheint mehr als der übliche Wahlkampf, es ist Ausdruck der Krise, in dem sich die „weltbesten“ Autobauer befinden.
Die Enthüllungen machen erst einmal handfest deutlich, dass und wie zwischen den Autobauern gekungelt wird. Aber dass die Politik im Bund, Ländern und Kommunen damit nichts zu tun hätte, ja sogar ahnungslos gewesen sei, dass ist denn doch zu viel der Märchenstunde. Das ist höchstens Bildzeitungs-Prosa. Trotzdem ist die Verunsicherung beider Seiten spürbar. Denn jenseits der Absprachen der Konzerne – ob nun kartellwidrig oder auch nicht – zeichnet sich im Blitzlichtgewitter von Dieselgate und Kartellaffäre grell ab, dass der strategische Kurs, den die Autobauer und mit ihnen die gesamte Deutschland-AG seit über einem Jahrzehnt gefahren haben, in der Sackgasse gelandet ist. Die Vertreter der Verbrennungstechnologien, dazu gehören neben den Öl- und Gaskonzernen und vielen anderen auch die konventionellen Heizungsbauer, waren sich schon vor über einem Jahrzehnt einig, Elektroautos verhindern zu wollen und stattdessen den sauberen Verbrenner zu propagieren. Das war die Geburtsstunde des „clean diesel“, der mit der gesamten Power von Politik, Marketing und Medien zum Erfolgsmodell aufstieg.
Dass dieser Stern nach heftigen Erfolgsjahren bereits wieder im Sinken war, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst mit dem Dieselgate bewusst. Aber viele Zeichen hatten bereits vorher darauf hingedeutet. Der weltweite Erfolg des Toyota-Hybridmodells Prius lief gewissermaßen parallel, wurde aber als Alternative in Deutschland kleingeschrieben. Ob es das Thema Tesla, Norwegens Anstrengungen zur E-Mobilität oder die chinesischen Elektro-Omnibusse waren, in Deutschland hielt der Mainstream in Medien und Politik am eingeschlagenen Verbrennungskurs fest und ließ keine Zweifel zu. Heute prasseln die Hiobsbotschaften in immer kürzeren Abständen auf die einst erfolgsverwöhnten Autobauer ein. In den europäischen Nachbarländern wird über das Ende der Verbrennungsmotoren in Autos diskutiert, die chinesische Regierung will Quoten für E-Autos einführen und die deutsche Industrie muss eingestehen, dass sie bei der Batterietechnologie absolut nichts zu melden hat. Alle relevanten Patente liegen in Asien. Dagegen helfen auch keine Hochglanzbroschüren mehr. Der einzige Erfolg, der bleibt, besteht darin, dass man hierzulande tatsächlich die E-Mobilität verhindert hat – und das gründlich.
Was aber zugleich deutlich wird, wenngleich Medien wie Politik – Regierung und Opposition – dies nicht thematisieren wollen, ist der Fakt, dass neben der verhinderten E-Mobilität parallel die Erneuerbaren Energien und eine Solarisierung bei Strom und Wärme abgeblockt bzw. abgewürgt wurde. Egal was alles nach außen kommuniziert wurde und wie wohlfeil Regierungsparteien ihre Liebe zur Energiewende auf den Lippen und im kühl kalkulierenden Politikerherzen trugen, es war eine Strategie aus einem Guss, die da gefahren wurde. Bei allen verbalen Zugeständnissen ans Publikum existiert ein einheitliches Ziel: die Erneuerbaren sollten bzw. sollen verhindert werden. Ob auf der Straße, im Kraftwerk oder im Keller, fossile Rohstoffe und die Verbrennungstechnik sollen im Geschäft bleiben – nur eben energieeffizienter. Wir brauchen hier keine Einzelheiten über die Energiepolitik der Gabriels, Merkels, IG Chemie oder wem auch immer, der fossil verbandelt ist, aufzählen. Das hieße Eulen nach Athen tragen.
Aber die Sackgasse hat sich nicht nur für die Autobauer aufgetan. Die Energiepolitik insgesamt ist an die Wand gefahren. Weltweit boomen die Erneuerbaren – hierzulande darben sie. Der Entwicklungsvorsprung bei den solaren Technologien ist längst futsch, die solare Entwicklungsführerschaft ist nach Asien, speziell nach China, emigriert. Es existieren inzwischen Regelwerke im Energiesektor, die alles ersticken. Fachleute aus der Automobilentwicklung sagen, die deutschen Autobauer seien tot, nur sie alleine wüssten es noch nicht. Ähnliches gilt für den Energiesektor in Deutschland. Die regenerativen Zukunftstechnologien sind in den Boden getreten und werden sich so schnell nicht erholen. Nach Kohle und Atom soll Gas kommen. Das ist der konzertierte Erfolg einer fossilen Deutschland-AG, die voller Überheblichkeit vor über zehn Jahren angetreten ist, den Erneuerbaren den Garaus zu machen. Auch wenn die Wirtschaftsmeldungen von der glänzenden Stimmung in der deutschen Industrie schwärmen und die Zahlen noch so glänzen, es wird nicht lange dauern, bis eine andere Realität sich Bahn bricht. Konkret: bis zu den Bundestagswahlen wird geschönt. Die Entwicklung wie auch die Katerstimmung danach lässt sich schwer vorhersagen. Eine verfehlte Industriepolitik hat Konsequenzen, wer anderes glaubt, und immer noch meint, sich damit arrangieren zu müssen, wird bald eines Besseren belehrt werden.
Sag dem Diesel leise Servus, DGS-News vom 30.06.17
VW und die Elektromobilität, DGS-News vom 25.11.16
Klimaschutz: Mit dem Verbrennungsmotor zur Dekarbonisierung?, DGS-News vom 14.11.16