26.11.2017
Offener Brief an Joe Kaeser
An Joe Kaeser
Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG
Werner-von-Siemens-Straße 1
80333 München
Zur Kenntnis und an Martin Schulz
Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Willy-Brandt-Haus; Wilhelmstr. 141
10963 Berlin
Berlin, 26.11.2017
Sehr geehrter Herr Kaeser,
gerne nehme ich Ihr Angebot zu einem konstruktiven Dialog über den Strukturwandel im Energiegeschäft bei Siemens und der Energiepolitik in Deutschland an. Da Sie sich dazu direkt an Martin Schulz mit einen offenen Brief über die Medien gewandt haben, gehe ich davon aus, dass Sie als verantwortungsbewusster Manager und Bürger, einen gesamtgesellschaftlichen demokratischen Diskurs zu diesen Themen führen wollen. Falls ich Ihren offenen Brief nicht falsch verstanden habe, ist er eine Einladung an jeden interessierten Bürger sich zu beteiligen und deshalb will ich diese gerne mit diesem offenen Brief annehmen. Falls Sie dieses nicht so gemeint haben, werfen Sie diesen Brief einfach in den Papierkorb.
Zunächst zu den Fakten: Warum Sie betonen, dass Ihr „Haus“ Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Abgaben zahlt, erschließt sich mir nicht. Ist das etwas Besonders? Oder ist das eine versteckte Drohung, dass Siemens seine Steuerlast in Richtung Steueroasen optimieren will? Ich zahle als Arbeitnehmer auch Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge an den deutschen Staat. Als Geschäftsführer eines kleinen gemeinnützigen Vereins mit 10 Beschäftigten in Berlin kann ich Ihnen mitteilen, dass „unser Haus“ das ebenfalls tut. „Unser Haus“ die DGS e.V. ist seit 1975 national und international als Wissensvermittler und technischer sowie umweltpolitischer Fachverband zum Thema Sonnenenergie und Erneuerbare Energien anerkannt.
Es interessiert Sie welche „Managementfehler" Martin Schulz und vielleicht auch die Öffentlichkeit (s.o. gesamtgesellschaftlicher Diskurs oder Papierkorb?) im Zusammenhang mit dem „Energieerzeugungsgeschäft“ bei Siemens konkret sehen. Jeder Physiker würde Ihnen übrigens einen Fehler im Begriff „Energieerzeugung“ unterstellen: ich denke Sie meinen insbesondere das Geschäft im Sektor Stromerzeugung.
Folgende Managementfehler bei Siemens kann ich erkennen: Als Deutschland 1993 die Solarmodulproduktion bei Siemens nicht mehr gefördert hat, kam es zur sofortige Beendigung heimischen Produktion und Verlagerung nach Kalifornien – das war vielleicht eine strategische Fehlentscheidung. Ab 1995 entstehen in Deutschland dann zu meiner Freude die ersten unabhängigen PV-Produzenten wie Solarfabrik Freiburg, SOLON, Solarwatt, SolarWorld, QCells ... Dann verkaufte Siemens 2001 seine PV-Modulproduktion an Shell: meiner Meinung nach eine Fehlentscheidung, da das EEG gerade ein Jahr vorher in Kraft getreten war. 2013 die Beendigung der gesamten Solarsparte einschließlich der PV-Wechselrichterproduktion bei Siemens, als schon abzusehen war, dass sich Photovoltaik als führende Energietechnologie weltweit durchsetzt. Die Deutsche Firma SMA ist übrigens im Wechselrichterbereich seit vielen Jahren weltmarktführend, hat allerdings auch mit den Folgen der sogenannten Energiewende zu kämpfen.
Zur der „in der Sache richtigen aber in Ausführung und Timing höchst unglücklich umgesetzten Energiewende“ werfen Sie der Bundesregierung vor, den Steuerzahlern Kosten in Höhe von über 400 Milliarden Euro (1) aufgebürdet zu haben. Ich glaube Sie meinen die EEG-Umlage, die alle Stromverbraucher trifft, richtig? Ganz davon abgesehen, dass die Bundesregierung schon immer das Energiegeschäft subventioniert hat (insbesondere Kohle und Atomstrom), gab es einen breiten Konsens im Deutschen Parlament zum Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) von 2000 bis 2012. Die EEG-Umlagekosten stammen zum überwiegenden Teil aus dieser Zeit als sehr hohen Einspeisevergütung für PV-Anlagen galten. Die Kosten der Photovoltaikproduktion waren anfangs sehr hoch, sanken aber durch die starke Nachfrage und durch die Automatisierung der PV-Fabriken in Deutschland und insbesondere in China dank dem Deutschen Maschinenbau. Deutschland hat durch das EEG ermöglicht, dass die Kosten von Solarstrom von damals 99 Pfennig je Kilowattstunde auf heute 9 bis 4 Cent/kWh (je nach Anlagengröße) sanken.
Ich finde gut, dass mit dem EEG erreicht wurde das Solar- und Windstrom heute weltweit konkurrenzfähig zu Kohle- und Atomstrom sind. Ich war (wie viele andere) schon früh der Ansicht, dass das der wichtigste Schritt ist um CO2-Emissionen und Klimawandel zu stoppen. Und ich will mich dafür beim Parlament, den Deutschen Regierungen und allen Bürgern bedanken, dass wir alle diesen Beitrag (EEG-Umlage) zu einer umweltfreundlichen Energieversorgung der Welt über unsere Stromrechnung erbracht haben und noch erbringen! Das jetzt insbesondere asiatische und amerikanische Firmen davon profitieren, finde ich in Ordnung. Schade finde ich, dass die Deutsche Solarbranche und in Zukunft vielleicht auch die Windbranche zu wenig davon profitieren. Wie weit und ob dies für Siemens Gamesa zutrifft, können Sie bestimmt besser beurteilen.
Wenn Sie sich aber weiter vor allem zu Ihrem Kerngeschäft der Kraftwerksparte für Nuklear-, Gas- und Kohlekraftwerke bekennen, dann bringe ich Ihnen als umweltengagierter aber auch als wirtschaftsinteressierter Mensch wenig Verständnis entgegen. Selbst die Gaskraftwerke als Regelkraftwerke für den flukturierenden Wind- und Solarstrom bekommen jetzt Konkurrenz in Form von dem aktuellen Megaspeicherprojekt in Australien (Elon Musk und Tesla).
Sie schreiben: „Die Verweigerung von Risikodeckungen für Kohle- und Nuklearangetriebene Dampfturbinen ist ein Wettbewerbsnachteil, mit dem unsere Hauptwettbewerber mit ihren Regierungen nicht zu kämpfen haben – wir schon.“ Sie wollen also Geschäfte in diesem Sektor weiter machen ohne Risiko, das soll der Deutsche Staatshaushalt übernehmen? Ich wusste nicht, dass Ihre Konkurrenten auf diesen Gebiet deren Regierungen besser im Griff haben, interessant. Dass Sie das nicht haben, spricht übrigens für die Deutsche Regierung :-) !
Das Agieren im Bereich „Kohle- und Nuklearangetriebene Dampfturbinen“ sowie fossiler und atomarer Kraftwerkstechnik in aller Welt sowie das Festhalten an diesen veralteten und unsere Zivilisation gefährdenden Technologien halte ich für Siemens größten Managementfehler!
Sie schreiben, dass Siemens derzeit ca. 16.000 Kolleginnen und Kollegen in der Kraftwerkssparte beschäftigt, „die weitestgehend für den Export arbeiten. In Deutschland gibt es kaum mehr Nachfrage für Gas- und Kohlekraftwerke.“ Das ist nach meiner Meinung gut so und auch dass es zunehmend keine Nachfrage in der Welt dafür gibt: Wir müssen bis spätestens 2050 vollständig auf Erneuerbare Energie umsteigen, um das CO2 in der Atmosphäre und den Temperaturanstieg der Welt zu stoppen. Wissenschaftler und Klimakonferenzen machen das seit Jahren deutlich. Um die Deutschen Klimaziele zu erfüllen, müssen wir in den nächsten Jahren die Kohlekraftwerke, zuerst Braun- und dann Steinkohle, abschalten. Viele Staaten der Welt steigen aus der Kohleverstromung aus. Sie glauben oder wollen doch nicht ernsthaft, dass die Nachfrage nach den veralteten Energietechnologien jemals wieder ansteigt?
Als Vater sehe ich unsere Verantwortung für die nächsten Generationen. Denen will ich verheerende Folgen des Klimawandels ersparen und nicht noch mehr Atommüll hinterlassen. Es reicht was wir Menschen bis jetzt verursacht haben. Vielleicht haben Sie ja auch Kinder?
Mir liegt es übrigens fern die SPD in Schutz zu nehmen, sondern will zum kreativen Diskurs anregen.
Deshalb ein paar Sätze an Martin Schulz: einen Guten Tag wünsch ich Ihnen!
Viele SPD-Politiker haben sich gerne als Interessensvetreter der Kohlekumpel, der Atom- und Kohlekraftwerker bei Eon, RWE, Vattenfall… sowie der Kraftwerkserrichter z.B. bei Siemens inszeniert, um sich dann als Freunde der „Bosse“ dieser Firmen stark zu machen. Bitte beschäftigen Sie sich intensiver mit den Veröffentlichungen von dem leider zu früh verstorbenen SPD-Politiker Hermann Scheer. Folgen Sie nicht dem Beispiel Ihrer Politikerkollegen und fangen nach Ihrem Ausscheiden aus der Politik bei Unternehmen in der alten Energiewirtschaft (Kohle, Öl, Erdgas, Atom) an.
Bis 2012 entstanden in Deutschland über 400.000 Arbeitsplätze (2) bei den Erneuerbaren Energien. Nach Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums haben sich die Arbeitsplätze in der Solarbranche in Deutschland 2013 auf rund 56.000 halbiert. Als dieses abzusehen war, wandten sich Wissenschaftler und viele aus der deutsche Solarbranche 2012 in einen offenen Brief (3) an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch ein paar Mitarbeiter von Siemens unterstützten diesen offenen Brief, allerdings nicht das Siemens-Management. Das die Arbeitsplätze in der PV-Modulproduktion überwiegend in China entstanden, finde ich persönlich zwar auch schade, gönne es aber den Chinesen. Beim Planen, Bauen, Handel und Betreiben von Solaranlagen werden auch viele Arbeitskräfte benötigt. Zudem gibt es in Deutschland auch weiter PV-Produktion, um einige Unternehmen auf zu zählen: Wacker (Solarsilizium), Solarwatt (PV-Module, Speichersysteme), Heckert Solar (PV-Module), Sonnenstromfabrik (PV-Module), SMA (Wechselrichter), Kaco (Wechselrichter), Sonnen (Speichersysteme), Kostal (Wechselrichter, Speichersysteme); Schletter (Montagesysteme), Steca (Laderegler, Wechselrichter) und viele mehr. Siemens produziert elektrotechnische Komponenten, die auch speziell für PV-Anlagen entwickelt wurden.
Das Sie sich, Martin Schulz, für die von der Entlassung bedrohten 6.000 Siemens-Beschäftigten stark machen, finde ich o.k. Wo waren Sie eigentlich 2012 bei den vielen Großdemonstrationen in Berlin, als darum ging sich für die 110.000 Solarbeschäftigten und die anderen Kollegen in der Erneuerbaren Energien-Branche einzusetzen? Ihr Parteigenosse Sigmar Gabriel hatte später als Wirtschaftsminister von 2013 bis 2017 wesentlich mehr Anteil an der „höchst unglücklich umgesetzten“ Energiewende. Nach meiner Meinung wurde sie übrigens höchst unglücklich für die Erneuerbaren Energien umgesetzt. Das EEG ist von einem klaren 20-seitigen Gesetz zu einem 215-seitigen bürokratischen Monster verkommen. Dieses würgt in Konsequenz den Zubau insbesondere von Solaranlagen auf Minium ab - wahrscheinlich blüht das demnächst auch der Windenergie. Gerne tausche ich mich dazu mit Ihnen intensiver aus.
Herr Kaeser, Sie sollten den von der Entlassung betroffenen Siemens-Beschäftigten eine Weiterbildung in Zukunftstechnologien (z.B. Erneuerbare Energien) ermöglichen, neben der Siemens-üblichen und von der Gewerkschaft erkämpften Abfindung.
Als Berliner und umweltengagierter Elektroingenieur will ich mit einem Zitat von Werner von Siemens von 1884 an der Preußischen Akademie der Wissenschaften schließen, als er eine Selen-Solarzelle vorstellte: „Da uns hier zum ersten Male die direkte Umwandlung der Energie des Lichtes in elektrische Energie entgegentritt“, sei diese Erfindung „von größter wissenschaftlicher Bedeutung.“ Und wie wir jetzt wissen auch von größter wirtschaftlicher, ökologischer und gesellschaftlicher Bedeutung. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Umbau von Siemens zu einem ökologischen, sozialen und trotzdem wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen!
Mit freundlich-sonnigen Grüßen auch an alle ehemaligen oder ins Abseits gestellten Siemens-Mitarbeiter, die sich für Photovoltaik engagier(t)en z.B. Peter Kremer, Edwin Cunow, Christof Körner, Bodo Giesler, Sebastian Schmidt und viele andere.
Ralf Haselhuhn
Vorsitzender des Fachausschusses Photovoltaik
der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (DGS) und
Geschäftsführer des DGS - LV Berlin Brandenburg e.V.
Erich-Steinfurth-Str. 8 D-10243 Berlin
Fußnoten
(1) Fakten zu den 400 Milliarden: Die PV-Anlagen mit hoher Vergütung verschwinden ab 2020 Jahr für Jahr gesetzlich vorgeschrieben aus der EEG-Umlage, so dass diese dann sinken wird. Derzeit beträgt die EEG Umlage im Durchschnitt ca. 22€ je Monat und Haushalt.
(2) Herr Kaeser berechnen Sie mal die Steuer und Sozialabgaben… Janz schön viel wah? ;-)
(3) Im Berliner Tagesspiegel 7.3.2012 veröffentlicht, siehe Anhang
Links
Offener Brief Joe Kaeser an Martin Schulz
Offener Brief Ralf Haselhuhn an Joe Kaeser
Offener Brief Solarbranche an Angela Merkel