26.08.2016
Gabriels Grünbuch sorgt sich um 100 Milliarden Euro für fossile Brennstoffe jährlich
Der im neuen "Grünbuch Energieeffizienz" vom Bundeswirtschaftsministerium angekündigte radikale Kurswechsel in der Energie- und Klimapolitik, der das Ziel von 80% Erneuerbare Energien bis 2050 aufgibt, ist bislang weitgehend ohne Widerhall in der Energiewendebewegung geblieben. Das mag an den Sommerferien liegen, was sicher bei der Truppe von Wirtschaftsminister Gabriel Kalkül war. Urlaubszeiten und laufende Fußball-Weltmeisterschaften oder heuer die Olympiade waren schon immer beliebte Zeitpunkte, um politische Klipppunkte dem Publikum unter zu jubeln, die sonst vielleicht zum Aufreger geworden wären. Oder ist das neu aufgesetzte Ziel Gabriels, bis 2050 nur noch eine Reduzierung des Primärenergieverbrauches um 50 % erreichen zu wollen, nicht der Rede, will sagen, keine politische Debatte, Wert?
Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass bei vielen Energiewendefreunden der sommerliche Blick schon so getrübt ist, dass bestimmte Begrifflichkeiten eine hemmende Wirkung entfalten und das Hirn auf stand by schalten. Gemeint ist das Wort Energieeffizienz, mit dessen Hilfe die Primärenergie reduziert werden soll. Energieeffizienz scheint den Konsens all derer auszudrücken, die pro Energiewende und Klimaschutz sprechen. Wer will schon gegen Energieeffizienz sein. Niemand, schon gar nicht, wenn sogar die Regierung diesen Konsens pflegt. Es wäre nachgerade eine Ketzerei, sich dagegen auszusprechen. Hätten wir noch Mittelalter, wäre dies ein Grund, die Scheiterhaufen anzuzünden, um diejenigen, die diesen heiligen Begriff beschmutzen, in die Hölle zu rösten. Da wir nicht mehr im Mittelalter sind, läuft das anders. Gegen den Konsens, den das Wort Energieeffizienz ausdrückt, verstößt man korrekterweise nicht. Der neue Scheiterhaufen ist die Political Correctness, die lodert nicht so hell, wirkt aber nicht weniger nachhaltig.
Wenn es aber nicht nur am Sommer und der Political Correctness liegt, sollten wir uns den von Gabriel in den Mittelpunkt gespielten Begriff der Primärenergie anschauen. Der soll zukünftig im Fokus aller Effizienzstrategien und –techniken stehen. Auf der europäischen Ebene wurde „energy performance“ zu einem Leitbegriff, um das Ziel der EU-Gebäude-Richtlinie (EPBD) zu unterstützen. In Deutschland taucht das für den gemeinen Bauherrn und seinen Planer in der EnEV auf. Es gibt viel Methodisches zur Berechnung, Differenzierungen nach Neubau und Bestandsmodernisierung usw. Zugespitzt wird alles auf den Primärenergiefaktor PEF. Sein Gegenbegriff ist die Endenergie. Obwohl beides Schlüsselbegriffe der EnEv sind, werden sie dort nicht definiert.
Die europäische EPBD enthält in Art. 2 eine Definition von "primary energy" – die müsste auch für Deutschland, für die EnEV, gelten. Sie lautet: "‘primary energy’ means energy from renewable and non-renewable sources which has not undergone any conversion or transformation process". Das entscheidende Problem dieser Definition ist, dass damit keine Grenze gezogen wird zwischen erneuerbarer und fossiler Primärenergie. Und es wird auch nicht gesagt, wie diese Unterschiede zu behandeln wären. Passive Sonnenenergie fällt genauso unter diese Definition wie die Umwandlung von Erdöl in Heizöl, das dann später zu Wärme in einem Heizkessel wird. Zu welch gegensätzlichen Konsequenzen dies führt, wenn man jeweils bei beiden einsparen will, liegt auf der Hand.
Faktisch geht es in der EPBD und in der EnEV nicht allein um die "Einsparung von Energie in Gebäuden", sondern um Einsparung von Energie aus der "Vorkette der ins Gebäude transportierten, kommerziellen Energieträger“ wie es Hans-Jochen Luhmann vom Wuppertal-Institut ausdrückt. Er argumentiert in seiner Kritik des Energiebegriffs von EPBD und EnEV folgenermaßen: „Der Sinn muss eigentlich sein, dass alles, was "vor Ort’" an Umwandlung geschieht, nicht als "transformation" oder "conversion" gerechnet wird. Denn deren Nutzung substituiert, … den Bezug von kommerziellen Endenergieträgern aus dem externen System, mit all den (Vor-)Leistungen, den Aufwendungen, die damit verbunden sind." Populär ausgedrückt ist damit der Unterschied von Erneuerbaren und fossiler Energie gemeint.
Stattdessen operiert die EnEV mit einem neuen Begriff, dem "Primärenergiebedarf", der als Mindestwert festgelegt wird. In §3 (1) heisst es: "Zu errichtende Wohngebäude sind so auszuführen, dass der Jahres-Primärenergiebedarf für Heizung, Warmwasserbereitung, Lüftung und Kühlung den Wert des Jahres-Primärenergiebedarfs eines Referenzgebäudes gleicher Geometrie, Gebäudenutzfläche und Ausrichtung ... nicht überschreitet." Der Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Arten der Energie, den man als Gegensatz von erneuerbarer und nichterneuerbarer Energie fassen kann, wird unterschlagen und ausgeklammert. So gesehen ist der Zweck der EnEV, nämlich die "Einsparung von Energie in Gebäuden" völlig unkorrekt formuliert. Erneuerbare und fossile Energie kann man nicht gleich behandeln. Beim "Einsparen", also dem was durch die Energieeffizienz erreicht werden soll, schlägt dies ins Gegenteil um.
Der Sinn solch schwer interpretierbarer Formulierungen erschließt sich erst, wenn man die wirtschaftlichen Größen betrachtet, die hinter den unterschiedlichen Energie stehen. Die Formulierung von Franz Alt, die "Sonne schickt keine Rechnung", ist hinlänglich bekannt. Aber wie sieht die Gegenrechnung bei den Fossilen aus? Die wirtschaftliche Dimension dieses Konflikts illustriert Hans-Jochen Luhmann beispielhaft am Gebäudebestand in Deutschland: „Der Wert der in die Wohngebäude gelieferten kommerziellen Energieträger beläuft sich, allein für die privaten Haushalte, auf etwa 40 Mrd. €/a für die Wärmeerzeugung mit fossilen Energieträgern (Öl, Gas); hinzu kommen rd. 30 Mrd. €/a für den bezogenen Strom, sofern er ebenfalls der Wärmeerzeugung dient (oder mit seiner Abwärme dazu beiträgt, also KWK). Wohngebäude machen in Deutschland etwa zwei Drittel der Nutzfläche aus. Insgesamt, für sämtliche Gebäude, wird der wirtschaftliche Wert somit um 50 % höher liegen. Also geht es um etwa 100 Mrd. €/a.“ Der jährliche Verkauf von fossilen Energieträgern in dieser Höhe ist Grund genug, die Erneuerbaren aufs Abstellgleis schieben zu wollen. Die Realisierung dieser Geschäfte, wenn auch mit abnehmender Tendenz, so lange wie möglich noch betreiben zu können, ist Zweck des neuen Kurses, den Gabriel im Grünbuch hat verkünden lassen.
Klaus Oberzig
Das Grünbuch Energieeffizienz (Link)
(1) Der ambivalente Energiebegriff im Kalkül der Optimierung der energetischen Auslegung von Gebäuden – ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um den PEF, Bauphysik 38 (2016), Heft 4