24.11.2017
Siemens, Jamaika und die Staatsraison
Aus Sicht der Solarfreunde erzeugt die Auseinandersetzung um Betriebsschließungen und Personalabbau bei Siemens gemischte Gefühle. Natürlich wünscht man den Beschäftigten im großen Konzern eine gesicherte Zukunft. Auf der anderen Seite erinnert man sich schmerzhaft, dass in den letzten Jahren, in denen über 80.000 Solar Arbeitsplätze verloren gegangen sind, keine vergleichbare Unterstützung zu verzeichnen war. Nicht dass die Solarbeschäftigten auf Aktionen und Demonstrationen verzichtet hätten, auch sie sind bis nach Berlin vor das Brandenburger Tor und den Reichstag gezogen, um auf ihre Not aufmerksam zu machen und Hilfe von der Regierung einzufordern. Damals, im Sommer 2016, krähte bei den regierenden Parteien der großen Koalition kein Hahn danach. Im Gegenteil, die Deckelung des Solar-Zubaus war und ist Regierungslinie und der Arbeitsplatzverlust für diese Parteien in Ordnung. Kollateralschäden ihrer Politik gewissermaßen. Und so ist das bis heute, man erinnere sich an die Pleite von Solarworld in diesem Jahr. Was macht plötzlich die Sozialdemokratie für eine Terz, um sich wieder als Arbeiterpartei zu camouflieren. Es ist schon makaber, aber eigentlich pfeifen es die Spatzen von den Dächern: falls die SPD sich doch zu einer großen Koalition, aus Gründen der Staatraison natürlich, „erpressen“ lässt, ist wieder eine andere Nummer gefragt und die Siemensianer dürfen kaum noch von Interesse sein.
Die Anstrengungen, die von der Union und Teilen der Deutschland AG unternommen werden, um Merkel behalten zu können, sind schon herzerweichend. Nach der Jamaikapleite muss eine andere Parteienkonstellation her, egal wie und egal welche. Politische Inhalte, Wahlprogramme, Bürgerhoffnungen in Richtung Wohnungsbau, Bildung, Klimaschutz oder Renten, all das scheint nur noch Schmuck am Nachthemd. Es lässt aber auch Rückschlüsse zu, was hinter verschlossenen Jamaika-Türen besprochen worden sein dürfte. War der in der Öffentlichkeit diskutierte Kohleausstieg ein Formelkompromiss oder war er ernsthaft und ehrlich als Ausgangspunkt und Einstieg in die Solarisierung gemeint? Obwohl die Appelle an die Staatsraison ja inzwischen durch alle Ritzen bis in die hinterste Kammer auch der kleinsten Hütte geschrieben und gesendet werden, bleibt dieser bittere Beigeschmack im Mund. Ist es wirklich Staatsraison, Solar und Wind zu verstümmeln und nur die an die Regierung bzw. an den Verhandlungstisch zu lassen, die sich dem Diktat der Fossilen unterwerfen?
Natürlich sind wir Zeuge der Götterdämmerung der Ära Merkel. Aber das ist letztlich vordergründig. Die Merkel-Regierungen waren getragen von einer starken Lobbygruppe, die dahinter stand und die Fäden gezogen hat. Soll Klimaschutz durch eine konsequente Solarisierung ins Werk gesetzt werden, müssen eben auch diejenigen, die in der Tradition von Kohle und Stahl stehen und die sich heute anschicken, ihre Geschäfte mit Erdgas und Atomkraft zu prolongieren, von diesem Kurs abgebracht werden. Es ist grotesk, dass weltweit Solar- und Windkraft boomt und denjenigen, die sie herstellen, gute Geschäfte und Arbeitsplätze beschert, während gleichzeitig im ehemaligen Musterland der Energiewende eine Energiepolitik betrieben wird, welche die Vergangenheit zu zementieren versucht. Leider erfolgreich, wie man sagen muss, betrachtet man die letzten vier Jahre der Schwarz-Roten Koalition. Und jetzt wird als Top-Thema verkündet, dass die Ewiggestrigen dieser Koalition die Perspektive für die kommenden vier Jahre sein sollen? Insofern hat es ja eine gewisse Logik, wenn Siemensbeschäftigte aus dem Gasturbinenbau oder Beschäftigte aus den Braunkohletagebau und der Kohleverstromung diesen Koalitionären stärker am Herzen liegen, als die aus den Industrien der Erneuerbaren Energien. Aber Perspektiven hat diese rückwärtsgewandte Politik weder in Sachen Arbeitsplätze noch für den Klimaschutz.
Wir erleben, dass sich die industriellen Kräfteverhältnisse global dahin verschieben, wo die Solarisierung als Zukunftsperspektive angenommen und offensiv angepackt wird. In China entsteht mit jedem neuen Wind- und Solarpark zusätzliches Know-how für eine solare Zukunft. Japan und Südkorea verfügen über alle entscheidenden Patente für elektrische Batterien und Speicher. Wie kohlenstofffixiert muss man sein um zu glauben, dies würde keine Konsequenzen nach sich ziehen? Diesen Tunnelblick haben nur die, die verzweifelt an altem Glanz und Gloria festhalten und krampfhaft mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt sind, auch wenn sie ständig die Begriffe Energiewende und Klimaschutz von sich geben, ohne dabei rot zu werden. Wie viel hat Deutschland mit der solaren Energiewelt, als der nächsten industriellen Revolution, zu tun?
Die Siemens-Beschäftigten sind Opfer der Energiewende. Aber wäre es nicht Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik gewesen, für einen frühzeitigen Einstieg in die solare Energiewelt zu sorgen, um genau das zu verhindern, was wir heute erleben? Das Führungspersonal der großen Parteien sind die Yesterday Men der Bundesrepublik, die sich als unfähig erwiesen haben, einen vernünftigen Übergang in die solare Zukunft zu entwickeln. Sie hatten es in der Hand, diesen Prozess mit weniger Friktionen für Bürger und Beschäftigte steuern zu können. Anfangs, um die Jahrtausendwende, schien das ja so. Der Kern einer solchen Strategie manifestierte sich im EEG. So hätte das weiter entwickelt werden können und müssen. Doch das brach mit der ersten Schwarz-Gelben Merkel-Regierung ab. Seither geht es rückwärts, und das soll nun ganze vier lange Jahre der politische Kurs bleiben. So verfahren die Situation sein mag, Neuwahlen wären wohl das kleinere Übel. Ob sich Befürworter einer solaren Energiewelt und der Solarisierung nach vorne kämpfen können, lässt sich schwer vorhersagen. Aber es scheint die einzige Chance, dass im Zuge der Neuaufstellungen in allen Parteien dieser Standpunkt eine Rolle zu spielen beginnt. Aber das hängt auch von uns ab. Denn die NGOs aus dem Solar- und Klimaschutzbereich sind derzeit die wichtigsten und klarsten Stimmen im Lande, die für eine Solarisierung eintreten.