24.08.2018
Vision für 2036:: Eine Antwort an Christian Lindner
Es ist Sommerzeit und zugegeben, wenn es um die Vision für Deutschland im Jahr 2036 geht, kann man auch anderer Meinung sein, wie sich manche Dinge entwickeln. T-Online befragt zu den Visionen 2036 in der kommenden Zeit unterschiedliche Politiker. Den Anfang machte diese Woche Christian Lindner (FDP).
Sehr geehrter Herr Lindner,
Sie hatten ein Interview gegeben, das in dieser Woche bei T-Online veröffentlicht wurde. Darin sind einige Aussagen von Ihnen enthalten, die aus meiner Sicht nicht unwidersprochen stehen gelassen werden können.
Sie haben im Interview den Klimawandel als Menschheitsaufgabe bezeichnet. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Dass der „deutsche Klimanationalismus“ nicht die Erderwärmung, sondern nur das wirtschaftliche Vorankommen der Menschen bremst – da stockt mir dann schon der Atem. Hieß es nicht in Ihrem FDP-Programm zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr noch: „Wir wollen die Energiewende zu einem gesamteuropäischen Projekt machen“? Und was macht Europa? In Person des zuständigen EU-Kommissars Canete hat die EU in dieser Woche angekündigt, die Klimaziele weiter verschärfen zu wollen. Es geht dabei um eine Senkung der Treibhausgase um 45 statt bisher 40 Prozent gegenüber 1990. Das ist das politische Umfeld in dem wir uns bewegen, die Energiewende ist europäisch, nur wir in Deutschland bewegen uns derzeit mit am langsamsten.
Herr Lindner, im Interview betonen Sie, dass in Europa zuerst der CO2-Zertifikatehandel in Gang gebracht werden muss. Dann die Zertifikate verteuern und über den Innovationsdruck die Technik entscheiden lassen, welche Technologien den besten und günstigsten Klimaschutz machen kann. Der CO2-Handel ist ja eine gute Idee, aber er funktioniert eben schon trotz jahrelangem Bestreben verschiedener politischer Kräfte überhaupt nicht. Ich sehe auch nicht, wie er in den kommenden Jahren effizient umgesetzt werden soll. Also was dann? Abwarten? Nein Herr Lindner, wir können nicht auf den europäischen Zertifikatehandel warten und uns dann in vielleicht 20 Jahren freuen, dass er greift. Wir müssen heute handeln, das ist jetzt die Aufgabe der Politik. Und die Aufgabe ist auch, Möglichkeiten und Mehrheiten zu suchen, um möglichst rasch einem passablen Ergebnis nahe zu kommen. Ich erinnere Sie gerne an ihr Programm der letzten Bundestagswahl: Dort ist zu lesen „Erneuerbare Energien sind für uns ein wichtiges Element im Energiemix der Zukunft“.
„Zweitens setzen wir unsere Technologie in Afrika oder Asien ein, damit dort nicht neue Kohlekraftwerke entstehen, sondern erneuerbare Quellen geschöpft werden.“, so fahren Sie im Interview fort, als Sie gefragt werden, was noch passieren muss.
Welche „unsere Technologie“ meinen Sie? Die Solartechnik, deren Industrie durch die Politik der vergangenen Jahre aus dem Land gejagt wurde oder die Windbranche, die gerade aktuell dabei ist, massiv abzubauen, weil die Marktperspektiven katastrophal sind? Deutschland hat die Bestplatzierung an der Spitze der Erneuerbaren Energien längst abgegeben. Und wie wollen Sie andere Länder von Einsatz Rrneuerbarer Energien überzeugen, wenn Sie sie hierzulande immer noch als zu teuer bekämpfen?
Regenwald kaufen anstatt hier etwas tun
„Erneuerbare Energien bringen nichts“ – so wurde Ihr Interview in einem Branchennewsletter der Automobilbranche als Überschrift zusammengefasst. Damit gemeint ist Ihr dritter Vorschlag im Interview, statt der aktuellen Förderung der Erneuerbaren Energien (gemeint ist wahrscheinlich das EEG) ein Teil dieses Geldes besser für den Kauf von Regenwald an anderen Stellen der Welt auszugeben.
Herr Lindner, diese Idee ist nicht neu, sondern schon getestet und gescheitert. Der Präsident von Ecuador, Correa, hatte 2007 – kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten – der internationalen Gemeinschaft einen neuartigen Vorschlag unterbreitet: Gegen Zahlung von rund 3,5 Milliarden US-Dollar (2,7 Milliarden Euro) werde das südamerikanische Land die Ölvorkommen unter dem Yasuní-Nationalpark im Amazonas nicht antasten. Die Summe entspricht der Hälfte der Erlöse, die durch die Förderung des Öls zu erzielen wären. Konkret geht es um rund 840 Millionen Barrel Öl – etwa 20 Prozent der ecuadorianischen Ölreserven.
2010 schloss Ecuador ein entsprechendes Abkommen mit den Vereinten Nationen, ein Treuhandfonds wurde eingerichtet. Doch das Fundraising verlief schleppend – trotz vieler Kampagnen und Appelle Ecuadors an die internationale Gemeinschaft. Deutschland hatte eine hohe Summe zugesagt, doch nach dem Regierungswechsel wurde das vom damaligen Entwicklungsminister Niebel (welche Partei war der nochmal?) mit der Bemerkung gestrichen, fürs Nichtstun müsse man nichts zahlen. 2013 wurde der Fond geschlossen, nachdem nur 0,4 % (!) der insgesamt angestrebten Summe eingegangen war.
Doch, Herr Lindner, fürs Nichstun muss man bezahlen, nur anders, als sich das Herr Niebel damals vorgestellt hat. Konkret in dieser Woche 340 Mio. Euro aus Bundes- und Landesmitteln, um die Bauern für die Auswirkungen des wiederholten Rekordsommers in Deutschland zu entschädigen. Und das gleiche Geld kann für 2019 und 2020 auch gleich in den Haushalt eingestellt werden. Der Klimawandel wird teuer, auch für und bei uns.
Und: Die CO2-Emmission pro kWh Strom in Deutschland ging laut UBA von 764 (Jahr 1990) auf 489 (Prognose 2017) zurück. Das sind 36 Prozent weniger. Die Erneuerbaren haben inzwischen einen Produktionsanteil von über 30 Prozent. Soviel zu Ihrer Aussage, erneuerbare Energien bringen nix.
Das vollständige Interview mit T-online ist [hier] zu finden.
Jörg Sutter