22.12.2017
Nicht nur mit Gülle in die Zukunft: Chancen oder Risiken?
Wird das die Biogas-Zukunft? Jedenfalls wünschte sich Hendrik Becker bei der Biogas Convention in Nürnberg „wieder Absatzmärkte hier in Deutschland“. Die angestammten Anwendungen zur Strom- und Nahwärmeversorgung sind „dank“ restriktiverem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG ja eingebrochen. Deshalb setzt Becker, Vizepräsident beim Fachverband Biogas e.V. (FVB), auf Biogas als „Antriebsstoff für Mobilität. Bedingung dafür ist: wir müssen eine echte Vergütung für das eingesparte CO2 erfahren.“
Beckers und FVB-Präsident Horst Seides Hoffnung gründet sich besonders auf „positive Signale von EU-Seite für Bio-Mobilität“. Doch Seide kennt auch ein großes Problem: „Es gibt schon wieder Gegner“, speziell hierzulande aus der Autobranche. Dabei denkt der FVB weniger an Pkws, die mit Biogas aus Gülle fahren, sondern vor allem an den Schwerlastverkehr: „Die Deutsche Gülle reicht für 3,5 % der Mobilität“, rechnet Seide vor, also auf jeden Fall für 50 Prozent der Fernlaster. Ob als Flüssiggas oder in Druck-Form: „Biogas hat etwa 90 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als Diesel. „Und auch für Schiffe ist es geeignet.“
Und noch zwei weitere Zukunftschancen hat der Fachverband ausgemacht: Biomethan – die Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz - sowie Biogas als Sektorenkopplung, also als Lückenfüller für Sonne und Wind – andere sagen Regelenergie.
Dennoch gab sich Seide, als Präsident frisch wiedergewählt, bei der Biogas Convention 2017 (BGC) in Nürnberg ziemlich zwiegespalten. Einerseits gratulierte sich der Verband während der Veranstaltung selbst zum 25. Geburtstag. Auch mit der Tagung selbst und der „ansehnlichen Ausstellung“ am Nürnberger Messegelände war Seide zufrieden. „Doch so gut wie hier sieht es in der Branche nicht aus.“
Dabei war selbst an allen Ecken und Enden spürbar, dass politische Entscheidungen hierzulande fehlen. 5.500 qm vermietete Hallenflächen – klingt gut, „es waren aber schon mal mehr“, nämlich etwa 50%. Kein Wunder, werden doch seit 2014 jährlich nur noch weniger als 200 neue Biogasanlagen gebaut. Und davon sind die meisten auch noch Kleinanlagen unter 75 kW elektrischer Leistung, die Gülle als Futter für die Bakterien verwenden. Zwischen 2009 und 2011 lagen die Zubauzahlen weit über 1.000 pro Jahr, und die durchschnittliche Leistung betrug jeweils über 300 kW. Ein Firmensterben und massiver Personalabbau waren zuletzt deutschlandweit die Folge.
Zurzeit macht der Branche besonders die gesetzlich verpflichtende Ausschreibungspraxis für größere, flexible Biogasanlagen zu schaffen, sagt Seide: Die veränderliche Betriebsweise generiert gerade mal Mehrerlöse von 0,7 Ct/kWh. Dafür könnten keine notwendigen größeren Speicher und zusätzliche Blockheizkraftwerke angeschafft werden.
Doch der FVB ist auch selbstkritisch. Er macht nicht nur andere Akteure – ob Stromnetzbetreiber oder die Politik in Land und Bund - für die schlechte Lage der Biogasbranche verantwortlich: „In der Vergangenheit haben wir eigene Fehler produziert, gerade durch den immensen Maisanbau. Aber jetzt geht es mehr in Richtung alternativer Pflanzen, von Zuckerrüben bis Sylphie“, erklärt FVB-Vizepräsident Hendrik Becker. Damit will er die Lernfähigkeit der Anlagenbetreiber ausdrücken.
Auf den Ständen in der Fachausstellung der Biogas-Tagung haben wir uns bei einigen Blockheizkraftwerks- und Motoren-Anbietern nach deren Wünschen für´s neue Jahr erkundigt. Grundsätzlich hatten die Firmen zwei absolut unterschiedliche Wunscharten parat. Die einen wendeten sich mit ihren Hoffnungen in Richtung Politik. Und die anderen trieb vor allem die Sorge um ihre Kundschaft und die eigenen Geschäfte um. An einem Stand bekamen wir auf die Wunschfrage nur ein einziges Wort als Antwort: „Aufträge!“
Mit den Wünschen an die Politik hatte schon Vizepräsident Hendrik Becker vom Veranstalter Fachverband BIOGAS e.V. bei der Pressekonferenz angefangen: „Wünschenswert sind mehrere Ausschreibungen pro Jahr. Und die Lücke zwischen 75 und 150 kW müsste gefüllt werden.“ Zurzeit werden im EEG nur noch kleine Gülle-Biogasanlagen bis 75 kW elektrischer Leistung gefördert. Andererseits dürfen an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur nur Biomasse-BHKW teilnehmen, die mindestens 150 kW elektrischen Stromes produzieren können.
Weniger ins Detail gingen die politischen Wunsch-Antworten auf den Messeständen. „Klare gesetzliche Regelungen für Deutschland.“ „Rechtssicherheit bei der Flexibilisierung.“ Bei einer Firma war der Wunsch: „A gscheide Regierung. Wir sind am Schwimmen ohne Ende.“ Doch fast direkt daneben hörten wir das Gegenteil: „Wir wünschen uns weiterhin die Unterstützung durch die Politik. Wenn`s nicht weniger wird, ist die Welt in Ordnung.“
Gar voll zufrieden mit der Politik, aber weniger mit der eigenen Kundschaft scheint man bei dieser Firma zu sein: „Wir haben eigentlich keinen besonderen Wunsch. Außer: Mehr Mut bei den Landwirten.“ Auch dafür hatte Verbands-Vize Becker zuvor eine etwas ausführlichere Erklärung geliefert: „Wer heute die Zuversicht hat, die Kohle kommt weg, investiert schon jetzt in Flexibilität.“ Doch leider werde bislang „unsere Stärke, die Flexibilität in der Stromversorgung, durch Kohledreckschleudern gemacht“, wie Biogas-Präsident Seide drastisch ergänzte. Dieser Wunsch aber, weg von der Kohle, eint ohnehin die gesamte Regenerativ-Szene, von Wind- über Sonnen-, Wasser- bis zu Bio-Kraft.
Wünsche und Hoffnungen haben aber nicht nur Firmen und FVB-Verbandsspitze, sondern beispielsweise auch die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft LfL. „Es ist zwar noch utopisch. Aber vielleicht schafft man mit CO2-Zertifikaten Zukunftsperspektiven für Landwirte.“ Post-EEG, also schon auf die Zeit nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, hat LfL-Mann Simon Juan Tappen seinen Blick gerichtet.
Knapp vor Weihnachten trug Tappen seinen Wunsch nach ehrlicher CO2-Bepreisung auf der Biogas-Convention vor. Sogar im Titel seines Vortrags stand der Ausdruck „Post-EEG“. Die Betreiber von Kraft-Wärme-Kopplung, natürlich speziell die Bauern mit Biogas-KWK sollten „ganz anders nachdenken“, nämlich über „Dezentrale Versorgung. Und nicht den Kopf in den Sand stecken.“ Und was tun die Hersteller derweil? Viele haben sich umgestellt und produzieren fürs Ausland. Das Problem dabei: Neue Techniken können sie nicht mehr vor der eigenen Haustür testen.