22.06.2018
Die Krise der Angela Merkel
„Eine ambitionierte Klimaschutzpolitik hilft nicht nur die schlimmsten Folgen des Klimawandels einzudämmen, sondern bietet auch neue Chancen für Innovationen und damit für Wachstum und Wohlstand weltweit“, so Kanzlerin Angela Merkel am 19. Juni 2018 in Berlin auf dem 9. Petersberger Dialog. Vertreterinnen und Vertreter aus rund 35 Staaten nehmen an dieser Veranstaltung teil, die Impulse für die nächste Klimakonferenz setzen will. Dort soll das Regelwerk zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens verabschiedet werden. Bemerkenswert war dabei nicht, dass Merkel eingestanden hat, Deutschland habe seine Klimaziele verfehlt. „Wenn, wie wir zur Kenntnis nehmen müssen, die energiebedingten CO2-Emissionen im vergangenen Jahr wieder zugenommen haben, dann ist das natürlich eine Bewegung in die falsche Richtung. Daran muss deshalb intensiv gearbeitet werden.“ Erstaunlich auch nicht, dass sie trotzdem Lichtblicke in ihrer eigenen Politik entdeckt: „Der Ausbau der Erneuerbaren Energien geht sowohl weltweit als auch in Deutschland voran“. Upps!, könnte man darauf im Jugendsprech antworten.
Diese Art des Auftretens ist, egal ob man sie als naiv und inkompetent oder verschlagen und verlogen ansieht - das mag jeder Leser für sich selbst entscheiden – hinlänglich bekannt. Es ist die Attitüde, die so tut, als ob sie und ihre Regierungspolitik überhaupt nichts mit den klimatischen wie wirtschaftlichen Destruktionen zu tun hätte, und die nebulös ein „haltet den Dieb“ hinzufügt. Es sind immer die anderen, die das nicht richtig machen. „Wir in Deutschland müssen zugeben, dass wir wieder besser werden müssen“, so Merkel. Wir? Und nicht sie? Und dazu packt sie dann gleich wieder die Einschränkung, so klimazentriert könne sie nun auch wieder nicht agieren. Es sei zwar eine „ehrenvolle Aufgabe, den Strukturwandel im Bereich der Braunkohle so zu gestalten, dass wir den Menschen, die in den betreffenden Regionen leben, sagen: Passt auf, es wird sich etwas ändern, aber wir denken zuerst an euch und nicht nur an die CO2-Emissionen. Denn wenn die Menschen den Eindruck hätten, wir dächten nur an die CO2-Emissionen und nicht an die Menschen selbst, dann würde das als gesellschaftliches Projekt nicht gut funktionieren.“
Berichtenswert ist eher, dass Merkel vor einem internationalen Publikum die Veränderungen der Weltlage darauf reduziert, dass US-Präsident Trump sich leider vom Pariser Klimaschutzabkommen verabschiedet habe. Denn genau da finge es ja an, interessant zu werden, wollte man wirklich etwas aus dem diesem noch brüchigen Klimakonsens machen. Liegt es nur an einem zugegebenermaßen schrägen Präsidentendarsteller? Was haben Klimaschutz und krisenhafte Entwicklung in der Welt miteinander zu tun? Kann es sich die Weltgemeinschaft leisten, einem Wachstums-Credo zu folgen, wie es nicht nur Trump formuliert, sondern eben auch Merkel? Nach einer Generation der Globalisierung, die sich inzwischen krisenhaft zuspitzt, ist selbst einem wohlmeinenden Beobachter klar, ein „Weiter so“ kann es gar nicht geben. Die Zoll- bzw. Wirtschaftskriege zwischen den großen Industrieblöcken USA, EU und China, die großflächigen kriegerischen Auseinandersetzungen in der sogenannten Strategischen Ellipse der weltgrößten Öl- und Gasvorkommen, sowie die großen Flüchtlingsströme sind ein tieferer Ausdruck der Krise der rohstoffbasierten Ökonomie. Eine Weiterführung dieser Art des Wirtschaftens wird die Krise nicht beheben, sondern verschärfen.
Aber genau das ist Merkels Dilemma wie auch das der Wirtschaftsführer des Exportweltmeisters Deutschland. Die aktuelle Lage lässt sich eben nicht mehr darauf reduzieren, dass diese Politik den Klimawandel nicht stoppen wird und das 2-Grad-Limit längst Makulatur ist. Es wird vielmehr augenscheinlich, dass diese Art des Wirtschaftens mit fossilen Rohstoffen nicht nur auf eine Klimakatastrophe zusteuert, sondern auch auf eine wirtschaftliche, die möglicherweise in einer militärischen endet. Was noch vor wenigen Jahren undenkbar schien, ist heute fast schon Gemeingut. Wir erleben, wie die wirtschaftlichen Gleichgewichte sich grundlegend verschieben und der Kampf um die „lebenswichtigen“ fossilen Rohstoffe immer heißer wird, sodass, auch wenn es ungewohnt klingen mag, es um mehr als nur das Klima geht. Die Effizienzstrategien der fossilen Technologien, die Merkel den Konferenzteilnehmern so mütterlich ans Herz legt, sind nicht weniger perspektivlos fürs Klima wie Trumps unilaterales „America first“. Sie befördern die wirtschaftlichen Konflikte, die rechten Strömungen und nationalen Egoismen, ebenso wie den Hunger und die Flüchtlingsströme auf der Welt. Die Erneuerbaren Energien abzuwürgen und die Vernutzung der fossilen Rohstoffe bis zu ihrer Neige zu betreiben oder zumindest offen zu halten, ist eine Katastrophenpolitik.
Nun ist Merkel selbst von dieser Krise eingeholt worden. Der Konflikt mit Bundesinnenminister Seehofer über die Flüchtlingspolitik, die von den Medien gegenwärtig so hochgespielt wird, ist nur der Dunstschleier, hinter dem sich viel Grundlegenderes abspielt. Denn vielen in der deutschen Wirtschaft dämmert, dass ein Weiter so möglicherweise in den Abgrund führen könnte. Längst ist deutlich, auf welch unsichere Zukunft gerade die Paradebranchen von Automobilbau und Maschinenbau und das Konzept Exportüberschuss zusteuern. Der wirtschafts- und energiepolitische Kurs, für den die Merkel-Koalitionen stehen, ist mehr als ausgereizt und lässt sich so schwerlich fortsetzen. Die Verweigerung der Energiewende, das Abbremsen und Deckeln der Erneuerbaren haben mit dazu geführt, die Schwerpunkte der Weltwirtschaft nach China zu verschieben. Mit der Götterdämmerung Merkels, egal wann sie zur Vollendung kommt, wird mehr zusammenbrechen als nur die Machtstruktur in ihrer Partei. Ob den Verantwortlichen klar ist, welch strategischer Fehler es war, die Solarindustrie in Deutschland auszubremsen, mag dahingestellt bleiben. Ob ihnen bewusst ist, dass die Sonnenenergie mehr als nur dem Klima dient, sondern auch dem Erhalt des Friedens auf der Welt, das darf bezweifelt werden. Ob Merkels Abgang dem ihres einstmaligen Mentors Kohl ähneln wird?