22.04.2016
Im Gespräch mit Hans-Josef Fell
In der Gesprächsreihe zum Status der Energiewende kommt Hans-Josef Fell zu Wort.
Angesichts des Rollbacks der fossilen Energien, den Bundesregierung und Energiemonopole gegenwärtig inszenieren, richtet er den Blick auf die gesellschaftlichen Dimensionen dieses großen Transformationsprozesses hin zu 100% Erneuerbare Energien. Er besteht auf dem Primat der Erneuerbaren Energien, warnt vor falschen Einschätzungen und mahnt klare Zielbestimmungen im politischen Diskurs an. Einen besonderen Fokus hat der Physiker Fell dabei immer auch auf Wissenschaft und Forschung, der er große Bedeutung beimisst. Das Gespräch mit Hans-Josef Fell führten Dr. Gerd Stadermann und Klaus Oberzig.
Herr Fell, in welcher Organisation sind Sie jetzt tätig und mit welchen Themen beschäftigen Sie sich zurzeit?
Hans-Josef Fell: Ich bin Präsident der Energy Watch Group und Botschafter der globalen Kampagne 100% Erneuerbare Energien, zudem bin ich Senior Advisor bei DWR eco, einem Beratungsunternehmen für Ökologische Unternehmen und Public Relations.
Ich beschäftige mich u.a. auch mit taktischen Fehlern im Zusammenhang mit sprachlichen Begriffen der Energiewende. Es gibt zum Beispiel interessante Arbeiten von Elisabeth Wehling, einer Sprachforscherin in Berkeley. Sie hat den Energiewendebegriff geprüft und viele andere Begriffe im Energiebereich. Die Gegner beherrschen es perfekt, die Energiewende sprachlich zu diffamieren. Ich denke wir brauchen Sprachwissenschaftler, die die Transformation sprachlich, sinnbildlich und positiv begleiten, ohne in Aggressivität oder Bevormundung zu verfallen. Wir haben z.B. den Fehler gemacht, die EEG-Förderung als Subvention diffamieren zu lassen – es ist ja keine Subvention. Die Bezeichnung Subvention ist ein Kampfbegriff der Gegner, den wir wohl nicht mehr weg kriegen! Auch der Name Ökosteuer war ein großer Fehler, denn wir wollen ja nicht die Ökologie besteuern, sondern Verschmutzung und Umweltschäden. Mir kam auch später, dass der Begriff EEG (Erneuerbares Energien Gesetz) falsch ist. Wir hätten es Erneuerbarer-Strom-Gesetz nennen müssen, da es ja nur eine Förderung des Ökostromes beinhaltet. Dann wäre z.B. die erneuerbare Wärme schon begrifflich nicht mit enthalten gewesen und hätte rascher eine eigene Bedeutung gewinnen können. Auch bräuchten wir einen besseren Begriff als Energiewende. Energiewende zeigt ja keine Richtung auf, wohin es gehen soll. Ich verwende daher das Ziel 100% Erneuerbare Energien, das ist unmissverständlich. Aber das Ziel ist auch kein guter Begriff. Leider habe ich noch keinen besseren, weshalb wir professionelle Sprachwissenschaftler einbinden sollten, um gute Leitbegriffe zu finden.
Jedenfalls fallen uns all die falschen Worte, Metaphern und Begriffe medial negativ auf die Füße und wir machen uns selbst das Leben schwer, wenn wir nicht kreativ bessere Begrifflichkeiten erfinden.
Wird Wissenschaft und Forschung genügend politisch/öffentlich diskutiert?
Fell: Es wird sehr viel diskutiert, in vielen Veranstaltungen. Die Diskussionen leiden aber unter dem Problem, dass sie nicht das diskutieren, was Wissenschaft und Forschung per se eigentlich leisten sollen, nämlich entscheidende Vorschläge für eine nachhaltige Welt zu entwickeln. Also Vorschläge für die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Sektoren. Stattdessen wird im Wesentlichen nur diskutiert, ob sie auch das bringen, was die Geldgeber von ihnen erwarten.
Wie glaubwürdig halten Sie generell Ergebnisse, Stellungnahmen und Gutachten aus der Wissenschaft und Forschung?
Fell: Klar ist, dass man keinem Wissenschaftler eine falsche Wissenschaft vorwerfen kann. Man kann aber manipulieren, indem man Annahmen und Festlegungen trifft und sich gezielt Teilbereiche herausgreift, um sie in bestimmtem Licht zu untersuchen. So kann extrem viel manipuliert werden. Ein Beispiel war das EFI Gutachten von Max Plank Wissenschaftlern im Auftrag der Bunderegierung, die sich die Innovationskraft des EEG angeschaut haben. Sie haben sich aber im Wesentlichen nur angeschaut, wie viele Veröffentlichungen gemacht wurden – d.h. die Untersuchung geschah zwar in einem wissenschaftlichen aber letztlich, weltfremden Raster. Daher haben sie nur wenige Veröffentlichungen gefunden und daraus geschlossen, dass das EEG keine Innovationskraft hervorgebracht habe. Absurd! Wenn man sich anschaut, wie die Preise gefallen sind und was allein in der Photovoltaik für neue Technologien entwickelt wurden. Wenn man fachspezifisch schauen würde, dann ist die Innovationskraft des EEG augenfällig.
Ist die Wissenschaftspolitik der Bundesregierung demokratisch ausreichend legitimiert?
Fell: Formal ist die Wissenschaftspolitik demokratisch bestens legitimiert: Wir haben ein Parlament und Wissenschaft und Forschung sind dort über den Haushalt angebunden. Von der Realität her ist die Legitimation aber ein Problem vieler aktiver Politiker. Mir als Abgeordneter, der lange Jahre für Wissenschaft und Forschung zuständig war, ist bewusst geworden, dass die Wissenschaftler ihre Forschung natürlich am liebsten weitertreiben wollen, unabhängig davon ob sie einen Mehrwert für die Gesellschaft leisten. Doch ist es schwer zu unterscheiden, ob die Projekte interessensgeleitet sind oder ob sie auch das sind, was die Gesellschaft braucht. Wir haben zu wenige Politiker, die sich fragen, was muss denn Wissenschaft eigentlich leisten? Werden vor allem Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Fragen beantwortet und Lösungsansätze erbracht? Als Politiker muss man sich eigentlich fragen: Ist die Wissenschaft richtig aufgestellt und ist das Geld richtig allokiert? Nein, Politiker fragen meist die Wissenschaftsgemeinschaften, was sie denn für Vorschläge für die Wissenschaftspolitik und die Wissenschaftsfinanzierung haben und hinterher kommt dann natürlich genau das raus, was die Wissenschaftler selbst gerne möchten. Beispiel: Meine Diskussion mit Philippe Busquin, dem damaligen EU-Forschungskommissar, der zuständig für das siebte EU-Rahmenprogramm war. Ich habe ihm Inhalte aufgezeigt, was notwendig wäre zu erforschen, wo Defizite liegen, wo Nachhaltigkeit gefragt wäre, z.B. mehr Geld für biologische Landwirtschaftsforschung statt für Gentechnik oder mehr Geld für Erneuerbare Energien, statt für Atomtechnik. Er war dankbar, er fand das toll und hat sich alles aufgeschrieben. Und dann kam das 7. Rahmenprogramm heraus und es stand von diesen Vorschlägen nichts mehr drin. Ich warf ihm das natürlich vor. Doch er antwortete, wieso würde ich ihn kritisieren? Er hätte doch die Forscher gefragt, was drin stehen soll und diese hätten ihm dann gute Arbeit bescheinigt. Er könne nicht erkennen, dass das Geld irgendwo fehlallokiert sei. Nur, es gibt eben keine große Gruppe von Forschern, die an biologischen Landwirtschaftsmethoden forschen, weshalb es auch innerhalb der Forschungsgemeinschaften kaum Fürsprecher gibt und somit taucht dies auch so gut wie gar nicht in den Stellungnahmen der Forschungsgemeinschaften auf.
Es gibt natürlich auch wissenschaftliche Gremien, die von der Politik beauftragt die notwendigen Fragestellungen untersuchen, wie der Nachhaltigkeitsrat oder der wissenschaftliche Beirat für globale Umweltfragen (WBGU). Doch diese Wissenschaftsgremien spielen keine Rolle, wenn es um die Verteilung der Forschungsmittel geht. Da dominieren die Wissenschaftsorganisationen. Zudem ist mit der Acatech noch neu eine zusätzliche Organisation gegründet worden, deren erkennbare Interessen sehr in der Nähe der Großkonzerne liegen und eben nicht an den Fragen des gesellschaftlichen Mehrwertes. Dazu äußert sich Acatech zwar, aber man erkennt stark die Handschrift der Konzerninteressen und nicht die Suche nach wirksamen Lösungen. Großkonzerne sind ja meist Verursacher der großen gesellschaftlichen Probleme, wie Klimawandel, lokale Umweltprobleme oder Armutserzeugung. Sie können also nicht die Lösungen hervorbringen. Insofern ist es auch bedenklich, dass Acatech immer mehr in die Technikfolgenabschätzung drängt, obwohl wir in Deutschland ein erfolgreiches und exzellentes vom Parlament als Volksouverän kontrolliertes und damit unabhängiges Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) haben.
Sind die Beamten der Ministerien in Deutschland zu eigenständig in Forschungsfragen?
Fell: Total eigenständig! Sie tanzen dem Parlament und teilweise ihren eigenen Ministern auf der Nase herum. Zum Beispiel Kernfusion: Wir hatten in der rot-grünen Koalition beschlossen, dass die Forschungsmittel für die Kernfusion reduziert werden sollten. Doch die Beamten des BMBF sind nach Brüssel gefahren, und haben bei der Diskussion über das EURATOM Research Budget sogar für eine Aufstockung der Mittel gestimmt. Natürlich wurden die Beamten nicht entlassen, obwohl sie den Auftrag des Parlamentes hintergangen hatten!
Ist die zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende nicht genau richtig positioniert, um sich an die Wissenschaftsorganisationen zu wenden, um dort das dicke Brett zu bohren?
Fell: Ja, das wäre ein Hebel, aber natürlich mit Unterstützung der Politik, um solche Probleme zu beheben. Aber allein auf der Forschungsseite, eine Bewusstseinsänderung zu erreichen ist m.E. extrem schwierig. Die Wissenschaftsorganisationen sind groß und schwer zu steuern. Das Geld läuft immer wieder in die gleichen Kanäle. Das Energiethema ist ein sehr gutes Beispiel. Wir brauchen eine langfristige Energiewissenschaft, die nachhaltig ist, ökologisch und sozial gerecht. Die Forschungsmittel für die Landwirtschaft gehen zu über 90 % in die Entwicklung genmanipulierter Pflanzen. Forschung für Biolandwirtschaft aber führt ein völliges Schattendasein. Da ist es klar, dass man damit keine Nachhaltigkeit hinbekommt. Ja, sicher steht da auch bei der Gentechnik der Begriff der Nachhaltigkeit drüber, weil man Pflanzen haben möchte, die resistent gegen Schädlinge sind, aber dies sind die Interessen der großen Chemiekonzerne. Schädlingsbekämpfung mit Biolandwirtschaft wird kaum gefördert. Mobilitätsforschung ist zum größten Teil immer noch Automobilforschung. Bauforschung führt ein Schattendasein, obwohl alle Welt von Altbausanierungen spricht. Und plötzlich hat der mächtige Konzern EADS im letzten Jahrzehnt viel Geld für Sicherheitsforschung durchgesetzt, für technische Lösungen, wie man Gewalt abwehren kann. Doch für umfassende Forschungen, wie man eine Gesellschaft organisiert, in der Gewalt kaum eine Rolle spielen sollte, gibt es nur minimale Forschungsmittel. Dabei brauchen doch Politiker genau dafür gute Konzepte. Jedenfalls werden technische Mittel zur Gewaltabwehr den Terror in der Welt nicht bekämpfen können. Man sieht daran, dass Wissenschaftler, oft in Verbindung mit den Interessen großer Konzerne und organisiert über die großen Wissenschaftsorganisationen immer wieder erfolgreich die öffentlichen Geldgeber beeinflussen, ihre Interessen zu finanzieren. Ernst-Ludwig Winnacker hat sich zwar immer für Nachhaltigkeit eingesetzt, aber dann doch als DFG-Präsident die Gentechnik gefördert, womit er in Wirklichkeit die Interessen der Gentechnikunternehmen vertrat, in denen er im Aufsichtsrat saß. Aber was Wissenschaftler sagen, gilt immer als heilig, sie haben immer Recht und daran wird nicht gezweifelt, auch wenn sie eigennützige unternehmerische Interessen vertreten.
Wurden auch ökonomische Aspekte bei der Forschung Erneuerbarer Energien ausreichend berücksichtigt?
Fell: Die Entwicklung der Erneuerbaren kam aus einer ökonomischen Not, nämlich als in den 70er Jahren die Entscheidung der OPEC fiel, den Ölhahn zuzudrehen, entstand das Argument, wir brauchen Alternativen zum saudischen Erdöl. Das hat mit den Erneuerbaren unter Jimmy Carter in den USA der 70 Jahre begonnen und wurde unter Ronald Reagan wieder vollständig zurückgedreht. Die Erneuerbaren Energien haben sich auch in Deutschland entwickelt. Gerade in den 70er und 80er Jahren floss viel Geld in die Erforschung alternativer Energien, zwar noch viel zu wenig im Vergleich zur Kernfusion und Kernspaltung. Aber dennoch gab es ein relativ großes Volumen, das einiges bewirkt hat. Ende der 80er Jahre entstand dann die Idee, ob man nicht eine Großforschungseinrichtung für Erneuerbare Energien aufbauen sollte, nach dem Vorbild der Atomforschungseinrichtungen, die ja bis heute massiv die völlig erfolglose Kernfusion beforschen. Das ist zwar nicht gelungen, aber in der Tat hat sich da etwas entwickelt, was durch öffentliches Geld stimuliert wurde. Damals ist auch z.B. die Plataforma Solar de Almería in Spanien entstanden.
Die Forscher, die den Umweltinstituten nahestanden, haben sich sehr stark auf die ökologischen Fragen der Erneuerbaren konzentriert. Das war zwar richtig, aber das Defizit waren ökonomische Fragen. Wenn die Wissenschaftler diese Fragen nicht richtig beleuchten, dann nehmen es die Ökonomen eben nicht wahr. Und deswegen lebt die Welt in dem Bewusstsein, dass Ökologie als eine Last wahrgenommen wird, die in die Frage mündet: Wie kann die Last des Klimaschutzes gerecht verteilt werden: der englische Begriff Burden Sharing, ist daher ein zentraler Begriff der öffentlichen Klimaschutzdebatte geworden. Absurd – denn nicht der Klimaschutz, sondern Klimaerwärmung ist die Belastung für die Wirtschaft. Wir brauchen statt Burden Sharing ein Benefit Shering – also eine Vorteils- und Gewinnbeteiligung. Nur wenige Wissenschaftler haben in dieser Art an ökonomischen Fragen des Klimaschutzes gearbeitet, da diese Arbeiten nur unzureichend gefördert wurden. Somit konnten sie nur wenig in der öffentlichen Diskussion durchdringen. Aber selbst die den Erneuerbaren Energien nahestehenden Forschungsinstitute, wie das Wuppertalinstitut oder das Ökoinstitut haben die tatsächlich eingetretene Wachstumsgeschwindigkeit der Erneuerbaren Energien nicht vorhergesagt. Und das ist m.E. eine fundamentale Fehlleistung. Wachstumsgeschwindigkeiten wurden im Sektor der Erneuerbaren Energien konsequent nur linear berechnet. Doch reale Entwicklungen haben fast immer einen exponentiellen Verlauf. Und da in der Vergangenheit aus der Wissenschaft heraus Botschaften gesendet wurden wie: 2020 können wir vielleicht 10 % Erneuerbare im Energiesektor haben, dann kommt der Wirtschaftler und der Politiker zu dem Schluss, ja mehr ginge eben nicht. Um aber die Energieversorgung sicher zu stellen, müsse man leider noch in die klimaschädlichen fossilen Energien investieren, weil wir sonst ein Energiesicherheitsproblem haben. Die Wissenschaftler wollten immer auf der sicheren Seite sein, sie wollten die Politik nicht angreifen und haben damit nicht die ihnen zustehenden Möglichkeiten wahrgenommen, der Politik auch optimistische Wege aufzuzeigen, die diese dann als machbar hätte annehmen und unterstützen können.
Ist das nicht auch eine Kritik an den Wissenschaftsorganisationen?
Fell: Ja, natürlich. Man muss nämlich genau hinschauen, wo sich die Wissenschaft der Erneuerbaren am stärksten entwickelt hat. Das war vor allem in der Fraunhofer Gesellschaft . Es war nicht in den Instituten der Helmholtz Gemeinschaft (HGF) , obwohl es da auch sehr gute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, wie z.B. Frau Prof. Lux-Steiner am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) oder auch im Forschungszentrum Jülich, ohne Zweifel. Aber die Gruppen sind klein geblieben, sind kaum gewachsen und hatten innerhalb der HGF nichts zu sagen. Die Max Planck Gesellschaft ist völlig weltfremd gegenüber den Erneuerbaren geblieben, wie das schon genannte EFI Gutachten (siehe Frage 4) belegt. Differenziert ist es bei der Leibnitz Gesellschaft, je nachdem um welche Institute es sich handelt, denn die Institute der Leibnitz Gesellschaft sind nicht so stark von oben her gelenkt.
Bei der Fraunhofer Gesellschaft dagegen hat die Entwicklung der Erneuerbaren Energien auch zu Wachstum geführt, weil diese Institute mit der Drittmitteleinwerbung viel wirtschaftsnäher agieren, nicht so stark am Gängelband des Staates gehen und mit dem Wachstum der Wirtschaft der Erneuerbaren Energien auch selbst mitgewachsen sind. Die Fraunhofer Institute in Freiburg und Kassel, das Institut für Solare Energiesystem (ISE) und das Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) sind beste Beispiele. Auch das ISFH in Hameln ist ein gutes Beispiel, das mit der Wirtschaft gewachsen ist. Damit zeigt sich, wie wichtig das EEG war, eine dynamische Entwicklung in der Wirtschaft anzustoßen, damit diese in der Lage ist, auch in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Gibt es in der Bundesrepublik einen ökologischen Wertewandel?
Fell: Oh ja, natürlich, wenn wir dies über die letzten Jahrzehnte hinweg betrachten, gibt es kaum ein anderes Land in der Welt, vielleicht noch in Skandinavien oder auch in Gebieten wie Kalifornien, das sich in dieser Hinsicht wie Deutschland entwickelt hat. Das hat mit der zivilgesellschaftlichen Entwicklung zu tun, die aus den Krisen der 70er Jahre, aus den Ökokrisen, aus der Luft- und Wasserverschmutzung z.B. im Ruhrgebiet, gelernt hat. In den 70er Jahren haben die OPEC Krise und der Bericht des Club of Rome zur Endlichkeit der Ressourcen eine zentrale Rolle gespielt. Beides hat auch mich stark geprägt. Damals begann der Wertewandel, der sich aus der Nachkriegsgeneration ergeben hat, in Richtung Umwelt zu verändern, weil die Jugend erwacht ist. Sie wollte aus den verkrusteten Denkstrukturen ihrer Eltern ausbrechen: Das ist der Kern der 68er Studentenbewegung. Ich selbst habe dies ja mitgemacht. Habe mich vor allem mit meinen Eltern angelegt. Mein Vater war CSU Bürgermeister. Wir, die jungen Leute, haben den Bewusstseinswandel, den Wertewandel organisiert, und zwar mit der klaren Message: Ich will denken dürfen was mir heute wichtig ist.
Heute ist der Wertewandel anders: Wir haben sehr viele Jugendliche, die einfach die Ökologie leben. Sie ist heute gesellschaftlich etabliert, der Erfolg ist da. Für viele ist der Verzicht auf das Auto, wenn sie es können, kein Thema mehr. Oder über die Solaranlage auf dem Dach redet man nicht mehr groß, das macht man. Da gibt es einen deutlichen Wandel im Verhalten. Sich aber in die großen strategischen Entscheidungen der Politik einzumischen, das ist m. E. leider geringer geworden.
Es gibt Einschätzungen, dass es der Wissenschaft nicht, bzw. nur unzureichend gelingt, in zentralen Existenzfragen wie Klimaproblematik, Artensterben, Umweltvergiftung, Energiearmut die Politik nachhaltig zu beeinflussen. Wie stehen Sie zu dieser Einschätzung?
Fell: Ja, das liegt eben an der Differenzierung der Wissenschaft. Es gibt ja große Teile der Wissenschaft, die die Zerstörung der Erde weiter fördern. Es gibt immer noch Geld für Forschung und Entwicklung der Erdöl-Tiefseebohrungen. Und da sollte man sich nicht wundern, wenn in der Arktis Erdöl gefördert wird. Es gibt Wissenschaften, die die Gentechnik befördern, dann muss man sich nicht wundern, wenn sich die Gentechnik in der Welt ausbreitet und es zu sozialen Probleme kommt, die durch eine Abhängigkeit von den Gentechnikfirmen entstehen. Noch immer werden Mittel der Grundfinanzierung der HGF für neue Kernspaltungsreaktorkonzepte, z.B. am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) verwendet, obwohl Deutschland ein Gesetz zum Ausstieg aus der Atomenergie hat. Diese Zweige der Wissenschaft sind Teil des Problems, wenn sie den Auftrag oder die Finanzmittel haben, Dinge zu entwickeln, die dann zu neuen Problemen führen.
Um aber auf Ihre Frage direkt zu antworten: Die „guten“ Wissenschaftler schaffen es nicht, weil ihre Zahl zu gering ist und weil die Mainstream-Forschungsförderung keinen entsprechenden Auftrag gibt. Zum Beispiel in der Klimaforschung ist das so: Die Klimaforschung ist vor allem ein Monitoring, wie sich das Klima auf der Erde entwickelt. Und dann kriegen die Wissenschaftler, die dabei Hervorragendes leisten, ein Mikrofon unter die Nase gehalten und werden gefragt, was denn die Lösung ist Aber danach haben sie doch gar nicht geforscht! Das war nicht ihre Aufgabe gewesen. Was ihnen dann einfällt ist, ja wir müssen die Emissionen reduzieren. Ja gut, aber das ist doch nicht die Lösung! Emissionen reduzieren heißt doch, wir schaufeln weiterhin CO2 in die Atmosphäre, die sich somit weiter aufheizt. Und dazu kommt es, weil sie nicht den Auftrag von der Politik bekommen haben: entwickelt mal bitte entscheidende Lösungen, die uns herausholen, z.B. aus dem verbundenen Klima- und Flüchtlingsproblem oder wie bekommen wir Energiesicherheit ohne fossile Energien? Viel zu viele Forscher untersuchen dies alles nur aus dem Blickwinkel der konventionellen fossilen und atomaren Wirtschaft. Sie haben keinen Blick dafür, wie schnell auch Erneuerbare Energien Energiesicherheitsfragen lösen können. Aber der Blick auf die angeblich noch notwendigen fossilen Energien lässt selbst bei Klimaforschungsreinrichtungen auf Scheinlösungen wie CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) setzen, die nie realisiert werden, weil sie unfinanzierbar sind.
Wie kam es bei Ihnen zu einem alternativen Denken hin zu Erneuerbaren Energien, bzw. alternativen Vorstellungen der Energienutzung. War dies einem bewussten Mentalitätswandel zu verdanken oder einem Ereignis, wie z. B. einem Atomreaktorunglück oder einem evolutionären Bewusstseinswandel, das es so nicht mehr weitergehen kann?
Fell: Ich hatte nie einen Mentalitätswandel, ich bin mit den großen Krisen der 70er Jahre aufgewachsen. Ich entwickelte als junger Mensch, als Schüler und als Student ein erwachendes Denken. Ich habe alles sehr bewusst wahrgenommen und für mich war rasch klar, dass wir Lösungen brauchen für die Probleme. Mit den andauernden Krisen wurde mein Bewusstsein immer schärfer. Vor allem seit den Atomunfällen und den beginnenden Klimadiskussionen wusste ich, was notwendig ist: Die vollständige Umstellung der Weltenergieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien.
Sie hätten sich ja aber auch in Richtung Agrarwende – Stichwort Herbert Gruhl – bewegen können.
Fell: Ja, habe ich auch. Ich habe mich auch auf anderen alternativen Feldern bewegt. Ich kann bei mir zu Hause zeigen, dass wir schon seit Jahrzehnten nur biologische Lebensmittel anbauen und essen. Für mich war die Landwirtschaft immer ein extrem wichtig Punkt, um die Ökologie voran zu bringen. Aber als Physiker war mir die Energie besonders nahe und ich habe sehr schnell erkannt, dass sie immer wichtiger wird. Auch habe ich mich mit der Chaosforschung beschäftigt, also das Thema wie sich komplexe Systeme entwickeln. Meine Erkenntnis war, hochkomplexe Systeme kann man beeinflussen, wenn man die entscheidenden Stellschrauben findet. Und die Energie ist eine der ganz entscheidenden Stellschrauben. Mit Erneuerbaren Energien kriegen wir Einfluss auf die Wirtschaft und auf die Landwirtschaft. Oder anders gesagt, wenn man die Nutzung fossiler Energien beendet, kommen wir zu einer ökologische Landwirtschaft! Denn die konventionelle Landwirtschaft funktioniert nur mit Erdöl. Pestizide und Düngemittel werden aus oder mit Erdöl hergestellt. Energie und fossile Rohstoffe sind also zentrale Stellschrauben, die wir brauchen, um das System zu ändern.
Welche Rolle hat in Ihrem Denken gespielt, dass es sich bei den Erneuerbaren um fluktuierende Energien handelt?
Fell: Das war in der gesellschaftlichen Debatte zunächst völlig nachrangig, aber in den Aufgabenstellungen immer präsent. Für mich war vorrangig, dass die Energieerzeugung emissionsfrei ist. Und mit Batterien und anderen Speichermedien, wie auch Smart Grids und Super Grids kann man die fluktuierenden Energien ohne weiteres verstetigen. Doch unter der Regierung Kohl hieß es immer, unwichtige Forschung sollte beendet werden und dazu gehörte übrigens auch die Batteriespeicherforschung. Dagegen habe ich mich intensiv im Bundestag eingesetzt, um die Forschung wieder zu beleben. Leider nicht mit genügendem Erfolg, denn heute hat Fernost einen großen Vorsprung.
Welchen Stellenwert hatten die Erneuerbaren bei der Gründung der Grünen?
Fell: Die Grünungsmotivation der Grünen hing sehr stark mit dem Thema Energie zusammen. Als Alternative zur Atomenergie waren die Erneuerbaren von Anfang an ein wichtiges Thema, auch wenn diese teilweise noch im Bastlerstadium waren. Aber es gab auch schon kleine Firmen und Anwendungen, die aus den USA herüber geschwappt waren.
Herr Fell, Sie sind Vizepräsident bei EUROSOLAR gewesen. Welche Rolle spielte Hermann Scheer damals?
Fell: Herrmann Scheer spielte eine sehr zentrale Rolle. Sein Engagement kam aus seiner friedenspolitischen Aktivität, denn er war ja schon Ende der 80er Jahre im Parlament und hatte daher einen großen Bekanntheitsgrad und Einfluss. Mir war klar, dass Hermann Scheer die gleiche Denkweise hatte wie ich. Wir hatten zwar auch kleinere Differenzen, die aber weniger wichtig waren. Er hatte viel stärker als ich die Dezentralität im Kopf, während ich auch über die Notwendigkeit von großen Stromleitungen nachdachte. Ich habe Desertec unterstützt, er aber nicht.
Was sind denn im Einzelnen die Kriterien bei den Technologien, die das Neue der Erneuerbaren Energien ausmachen?
Fell: Eine völlig andere Technologie. Es gibt natürlich auch ähnlich Technologien, wie das Holzkraftwerk, das Holz statt Erdöl verbrennt. Aber es gibt vor allem völlig neue, revolutionäre Technologien, deren Grundprinzipien zwar meist schon lange bekannt sind. Schon Werner von Siemens hat gesagt, nicht das Generatorprinzip sondern die Photovoltaik wird die Welt verändern. Die Erneuerbaren Energien sind also in diesem Sinne zwar nicht zeitlich revolutionär, aber in der heutigen technologischen Umsetzung.
Außerdem: Der Charakter der meisten Erneuerbaren Energien ist dezentral und benötigt daher ganz andere Strukturen als eine zentrale Energieversorgung. Im Nationalsozialismus und anderen totalitären Systemen brauchte man eine zentrale Energieversorgung, um rasch und überall darauf zugreifen zu können und hohe Geldeinnahmen für die Regime zu generieren; daher wurden die Monopole geschaffen. Bis 1998 war ja noch das alte von Hitler eingeführte Energiewirtschaftsgesetz gültig. Doch nun werden mit den Erneuerbaren völlig andere, eben dezentrale Strukturen geschaffen. Die Erneuerbaren bewirken eine Demokratisierung, denn 90 % der Energiequellen werden dezentral sein. Damit ist die Wirtschaftsmonopolmacht weg. Und die Menschen werden ihre eigene Energie erzeugen, das ist die treibende Kraft und das ist der Wandel, den man revolutionär nennen kann.
Wann genau wurde das Energiewirtschaftsgesetz aus dem Jahre 1935 eigentlich geändert und wer – welche Partei – hat die Initiative dazu ergriffen?
Fell: Das Energiewirtschaftsgesetz ist 1998 geändert worden, noch vor dem Regierungswechsel zu Rot-Grün, es war eine der letzten Maßnahmen der Regierung Kohl. Dies ging mit dem entscheidenden Paradigmenwechsel einher, Wettbewerb und mehr privatwirtschaftliche Aktivitäten in die Stromwirtschaft einzuführen, Abschaffung der Gebietsmonopole und vollständige Privatisierung der Energiewirtschaft. Manche kritisieren Privatisierungen. Ich bin ein strikter Gegner einer Verstaatlichung der Energieversorgung. Denn ich habe gesehen, wie in autokratischen Systemen die Gewinne der Atom- und Kohlekraftwerke für die Aufrechterhaltung autokratischer Machtstrukturen genutzt werden. Es waren die privaten Akteure, die das EEG mit Leben erfüllt haben und nicht die öffentliche Hand und nicht die Konzerne. Mit der Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes wurde aber im Wesentlichen der Wettbewerb nur in der Stromwirtschaft eingeführt. Aber im Wärme- und Verkehrssektor dominieren bis heute die Interessen der Mineralölkonzerne. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz wurde das Instrument der Börse eingeführt. Ich finde das zunächst einmal richtig und gut. Die Strombörse kann sehr viel leisten, beispielsweise auch für den Ausgleich der Schwankungen von Solar- und Windkraft. Aber es braucht bessere staatliche Regulierungen, um auch regionale Stromvermarktungen zu ermöglichen Es gibt auch eine Diskussion, dass die Netze in staatlichen Besitz übergeführt werden sollen. Besser ist es m.E. mit guten staatlicher Regulationen Machtmissbrauch der Netzbetreiber zu verhindern. Private Netze müssen da sein, damit nicht aus den ehemaligen Gebietsmonopolen regionale Wirtschaftsmonopole werden. Das EEG kann aber niemals diese Fragen lösen, denn es hatte nie den Anspruch, die Verteilung zu organisieren. Das Energiewirtschaftsgesetz ist das richtige Gesetz dafür.
Welche Entwicklung hat das Energiethema bei den Grünen – von der Gründung 1979 bis heute genommen? Die Grünen waren ja die erste Partei, die die Erneuerbaren Energien in ihr Parteiprogramm aufgenommen haben.
Fell: Die Erneuerbaren waren immer im Fokus der Grünen, auch im Gründungsprozess, als Alternative zur Atomenergie und später auch für den Klimaschutz. Aber sie spielten in den Gründungsjahren noch keine sehr große Rolle. Mir aber war schon vor Tschernobyl klar, dass wir die Entwicklung der Erneuerbaren als Legitimation für den Ausstieg brauchen. Doch für Viele stand vor allem der Ersatz der Atomkraft im Vordergrund – auch mit Erdgas oder Kohle. Das war immer ein Kampf bei den Grünen. Ich habe immer gegen das Erdgas gekämpft – auch gegen Trittins Ansichten als Umweltminister. Der Gedanke der Brückentechnologien durch fossile Energiequellen lebt bis heute weiter, z.B. als Befreiung von Erdgasbesteuerung im Verkehr, während sie bei Biokraftstoffen längst wieder abgeschafft wurde. Das ist doch eine totale Fehlentscheidung! Sie kommt von der Ansicht her, wir könnten nicht rasch auf 100 % Erneuerbare Energien kommen. Doch 2007 gab es einen Parteitagsbeschluss der Grünen, bis 2030 den Strom zu 100 % aus Erneuerbare Energien in Deutschland und in Europa zu gewinnen und bis 2040 auch für Wärme und den Verkehr. Aber ich habe leider den Eindruck, dass dieser Beschluss von einigen Politikern der Grünen nicht mehr sonderlich ernst genommen wird.
Welche Themen innerhalb der Erneuerbaren Energien werden Ihrer Meinung nach zu stiefmütterlich behandelt?
Fell: Es fehlen noch Teilbereiche aus der Vielfalt an Technologien der Erneuerbaren. So z.B. haben wir fast nichts auf dem Gebiet der Meeresenergie gemacht. Da gibt es noch riesige Potenziale, zwar findet Einiges vor der Küste von Schottland statt, aber viel ist das nicht. Das Fraunhofer IWES war bisher das einzige Institut, das sich mit diesem Energiepotenzial beschäftigt hat. Ein anderes Beispiel ist, wie man die Nutzung der Biokraftstoffe nachhaltig organsiert, also nicht Urwaldabholzung, sondern Begründung von degradierten Flächen in sozial gerechte landwirtschaftliche Strukturen. Man muss alle Energiepotenziale anschauen: Wo gibt es Perlen, um die es sich zu kümmern lohnt?
Aber auch die Systemintegration der Erneuerbaren, also das Zusammenführen der Technologien, befindet sich noch im Anfangsstadium, um die Aufgaben zu lösen, die mit den Schwankungen des Angebots einhergehen. Allerdings gibt es neuerdings zwei gute Studien von den beiden Fraunhofer Instituten IWES und ISE und auch die finnische Universität Lappeenranta macht bemerkenswerte neue Forschungen dazu. In dieses Thema hätte von Anfang an mehr Geld fließen müssen. Man müsste sich auch noch einmal die Vermarktungsmechanismen anschauen: Der erneuerbare Strom wird heute an der Börse gehandelt. Doch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Vielleicht sollte man eher eine Regionalstromvermarktung bevorzugen. Dafür könnten Kombikraftwerke eingesetzt werden, in denen Wind, Sonne, Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Speicher und Wärme mit Verkehr zusammengeführt werden und direkt an die Kunden der Umgebung verkaufen. Auch Nahwärmesysteme müssen entwickelt werden, um regional überschüssige Energien in die Städte zu bringen. Das wäre Regionalstromvermarktung auch im Stromsektor. Doch das findet nicht statt.
Wie können wir aus der gegenwärtigen Stromwende eine wirkliche Energiewende machen, in der die Wärmegewinnung aus Erneuerbaren Energien in den Vordergrund tritt?
Fell: Dass der Strom in der politischen Diskussion sozusagen die erste Geige spielt, liegt daran, dass man am erneuerbaren Strom zeigen kann, wo die Widerstände bei der Transformation der Energieversorgung liegen. Auf dem Gebiet des Stroms werden die politischen und gesellschaftlichen Kämpfe ausgetragen. Man muss aber zugeben, dass in allen politischen Papieren die erneuerbare Wärme und der Transportsektor immer eine Rolle spielen, leider mit sehr mäßigem Erfolg.
Wie schätzen Sie die unterschiedlichen politischen Konzepte ein, die hinter dem EEG einerseits und der EnEV andererseits stehen? Wer hat sie formuliert bzw. beeinflusst? Ist es für Sie vor diesem Hintergrund ein Zufall, dass solare Wärme der kleine Bruder der Photovoltaik wurde?
Fell: Dies liegt nicht so sehr am EEG, sondern vor allem am historischen Denken der Umweltbewegung, die die Energieeinsparung heute noch als wichtigste Energiequelle bezeichnet. Physikalisch falsch, politisch falsch und damit entsteht auch eine falsche Agenda. Die Energieeinsparung ist wichtig, die Energieeffizienz ist wichtig, aber sie sind nicht der Ersatz für die Substitution der fossilen Energien durch Erneuerbare. Dies war eine Fehldiskussion, wobei wir uns, Hermann Scheer und ich immer einig waren. Das Wuppertalinstitut z.B. war immer die Effizienzschmiede; da wurde Tolles gemacht. Es gibt viele Papiere und Vorschläge von Ökologen in denen die Effizienz im Vordergrund steht. Für die Erneuerbaren werden dann aber manchmal Ziele vorgeschlagen, die sehr schwach sind. Und zu allem Überfluss glauben manche, wenn man nur hocheffizient, z.B. mit dem Faktor zehn sei, dann wäre dem Klimaschutz schon genug geholfen. Effizienz aber auf der Basis fossiler Energieerzeugung ist nicht zielführend. Es muss immer das Ziel Nullemission also 100% Erneuerbare Energien angestrebt werden. Dabei ist Effizienz unverzichtbar und Suffizienz sehr hilfreich, um das Ziel zu erreichen, aber beide sind eben kein Ersatz für die Umstellung auf Erneuerbare Energien. Jedenfalls ist es ökologischer, einen verdoppelten Energieverbrauch mit 100% Erneuerbaren Energien zu decken, als einen halbierten mit fossilen Energien. Am besten ist natürlich der halbierte Verbrauch mit 100% erneuerbare Energien. Auch wird die Synergie zwischen Effizienz und Substitution oft nicht wahrgenommen. Die Umstellung in der Stromerzeugung auf Wind oder Sonne ist ja schon eine Effizienzrevolution an sich. Zum Beispiel wird die ganze unnötige Abwärme aus einem Kohlekraftwerk mit der Umstellung auf Solar- oder Windstrom vermieden wird. Die Substitution ist also das entscheidende Element, das ich m.E. nicht dem Effizienzgedanken unterordnen darf. Bei der Novellierung der EnEV und im Marktanreizprogramm hatte ich mich durchgesetzt, dass Wärmepumpen nur mit Photovoltaik oder Solarthermie gefördert werden dürfen. Das hat die Bundesregierung nach 2005 wieder entfernt, weil die Effizienz angeblich viel wichtiger und ausreichend sei. Nun dominieren weiterhin Brennwerttechnik mit Erdöl und Erdgas den Heizungsmarkt. Da liegt sozusagen der Hund begraben, warum die solare Wärme als Substitution der fossilen Energien noch immer nicht stattfindet.
Das EEG hat die Stromtechnologien zwar konkurrenzfähig gemacht. Aber gab es damals in der Rot-Grünen Koalition auch eine Debatte in puncto Wärme?
Fell: Ja, die Debatte gab es damals ebenfalls, in den 90er Jahren und auch später unter Rot-Grün. Wir wollten ein Wärmegesetz nach dem Vorbild des EEG. Wir haben das aber aus Zeitgründen nicht mehr untergebracht, zumal ja die Koalition 2005 vorzeitig beendet wurde. Aber ich muss zugeben, dass wir für die Wärme nicht die Lösung gefunden haben, die beim Strom auf der Hand lag. Zu diesem Thema möchte ich noch folgendes darlegen:
Es ist nämlich wichtig zu wissen, wie das Marktanreizprogramm zur Förderung der solaren Wärme entstanden ist. Ich wollte immer den erneuerbaren Strom befreit sehen von der Ökosteuer. Denn ich denke, das was der Umwelt dient, sollte auch steuerlich begünstigt werden. Das hat u.a. Umweltminister Trittin nicht zugelassen. Aber er hat einen Kompromiss angeboten, nämlich die Einnahmen aus der Ökosteuer u.a. für ein Marktanreizprogramm für solare Wärme auszugeben. Das kritisierte ich: Das ist ja toll, die Erneuerbaren müssen ihre Markteinführung selbst finanzieren! Heute liegen die Einnahmen aus der Ökosteuer des Ökostromes inzwischen bei vielen Mrd. Euro, aber das Marktanreizprogramm für die erneuerbare Wärme liegt mit einem Volumen von 360 Mio. Euro weit unter diesen Einnahmen aus der Ökostrombesteuerung.
Außerdem stand das Marktanreizprogramm in keiner Verbindung zur EnEV. In der EnEV hatten wir es geschafft, endlich auch die solaren Gewinne mit einzurechnen – also nicht nur die Energieverluste sondern auch die solaren Gewinne, das war m. E. sehr wichtig. Aber in der Tat entkoppelt sich das jetzt. Die Leute wollen die KfW-Finanzierung und die kriegen sie nur, wenn sie die jeweiligen immer höheren Dämmstandards einhalten. Man muss zwar die Heizung und die Wärmeverteilung auch im Haus optimieren, um erhebliche Effizienzgewinne zu schaffen, aber nicht nur durch Dämmung. Hocheffizient sind z.B. wasserdurchflossene großflächige Wärmeplatten an den Wänden mit einer Temperatur von 22°C. Solche Wand- und Bodenstrahlungsheizungen sind preiswerter als sehr dicke Dämmungen. Sie bringen unterm Strich ähnliche Energieeinsparungen, aber eine wesentlich gesündere Strahlungswärme und Schimmelpilze können sich so nicht mehr entwickeln.
Mir war vor vielen Jahren schon völlig klar, dass die aus der Denkweise der Energieeinsparung kommende Vorstellung, mit Strom nicht zu heizen für die Wärmewende hinderlich ist. Diese langjährige Forderung der Umweltbewegung entsprang aus der Analyse, dass Wärmepumpen nur die Umgebungswärme nutzen, die vorher als ungenutzte Abwärme im Kohle- oder Kernkraftwerk nutzlos vernichtet wird. Nun haben wir aber heute schon 30 % Ökostrom im Netz, die keine nutzlose Abwärme erzeugen und der Anteil steigt. Damit werden Wärmepumpen effizienter als z. B. Gasbrenntechniken, selbst in der gesamten Wirkungskette. In Verbindung mit hocheffizienten Wandstrahlungsheizungen, Eisspeichern und der Nutzung von Ökostrom ergeben sich Heizungssysteme, die keine Emissionen mehr verursachen und viel kostengünstiger sind als starke Dämmungen und Brennwerttechnikheizungen im Haus, die dann doch noch schädliche Emissionen verursachen. Für die Wärmewende ist also entscheidend, dass wir den Ökostrom in die Heizungen bringen.
Welche Rolle sollten die Geisteswissenschaft spielen – und wie sollte/könnte eine transdisziplinäre Energieforschung aussehen?
Fell: Die Geisteswissenschaften haben einen weit größeren Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung und deswegen sind sie fundamental wichtig. Die Schnittstelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaft ist ja die Technikfolgenabschätzung. Die Geisteswissenschaften sollten stärker in diese strategisch wichtigen Vorhaben einbezogen werden. Meines Erachtens hätte es keine Atomenergie gegeben, wenn wir in den 50er Jahren eine Forschungsdisziplin der Technikfolgenabschätzung gehabt hätten.
Was müssen wir für die Große Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft, Wirtschaft und ein nachhaltiges soziales Zusammenleben wissen?
Fell: Wir müssen die große Transformation in der Weltgemeinschaft unter der Klammer des Klimaschutzes fassen. Und wenn man die Transformation darunter fasst, dann wird man Synergien erzeugen, die auch die Lösungen für andere große Weltprobleme sind. Aber wir müssen zunächst einmal fragen, was ist denn naturwissenschaftlich wirklich erforderlich, damit sich die Erde nicht weiter aufheizt? Besser noch ist die Frage, wie wir zu einer Abkühlung kommen können. Das bedeutet aus naturwissenschaftlicher Sicht, keine Treibhausgasemissionen mehr zuzulassen, was aber nicht ausreicht, weil die Atmosphäre schon zu voll ist mit ihnen. Wenn man das so definiert, dann muss man sich fragen, wie schaffen wir es denn keine Emissionen mehr in die Atmosphäre zu lassen? Antwort: durch Nullemission! Stopp der Emissionen und nicht nur Emissionsreduktion! Das ist die erste Säule für den Klimaschutz. Sie ist mit 100 % Erneuerbare Energien zu schaffen. Wir müssen auch die Chemie integrieren und die Landwirtschaft. Alle Emissionen müssen vermieden werden auch aus dem Transport- und Bausektor. Wir brauchen also überall Nullemissionstechnologien.
Damit komme ich zur 2. Säule: Wir müssen zusätzlich zur Nullemissionen auch den Kohlenstoff wieder herausholen aus der Atmosphäre. Aber wie bekomme ich den Kohlenstoff aus der Atmosphäre wieder heraus? Das geht nur über ein Pflanzenmanagement. Die Pflanzen holen beim Wachsen den Kohlenstoff aus der Luft. Das bäuerliche Management muss dafür sorgen, dass dieser Kohlenstoff nicht mehr zurück in die Atmosphäre geht. Wenn wir die Pflanzenreststoffe, die organischen Abfälle, in die oberen Bodenschichten bringen, dann schaffen wir die notwendigen Kohlenstoffsenken. Wir bekommen dann Humusaufbau im Boden und somit sogar viele Synergien um andere Weltprobleme zu lösen: Die so fruchtbar gewordenen Böden liefern mehr Nahrung und zusätzliche Biokraftstoffe und andere Bioenergien, – keinen Konflikt mehr zwischen Teller und Tank. Und wir begrünen die degradierten Flächen. Dann bekommen Menschen aus Gegenden, wo heute die Klimaveränderung die Fruchtbarkeit der Böden zerstört, z.B. in der Sahelzone die notwendigen Lebensgrundlagen und sie müssen nicht in andere Länder z.B. nach Europa flüchten. So bekämpft man die Armut in der Welt. Mit technologischen Innovationen, z.B. mit der neuen Biokohle-technologie beschleunigen wir die Transformation. Die beiden Säulen – Nullemission und Kohlenstoffsenken – sind die entscheidenden strategischen Leitlinien für die große Transformation.
Herr Hans-Josef Fell, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Links:
http://www.dwr-eco.com/
http://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2014/EFI_Gutachten_2014.pdf
http://www.nachhaltigkeitsrat.de/
http://acatech.de
http://www.fraunhofer.de/
http://www.helmholtz.de/
http://www.kit.edu/index.php
https://de.wikipedia.org/wiki/Desertec