22.02.2019
Prognosen – Studien – Prophezeiungen: Eine kritische Sondierung
Von der Antike bis zur Gegenwart – der Mensch hat schon immer gern einen „Blick in die Zukunft“ geworfen. Denn während die Vergangenheit einschätzbar, die Gegenwart gestaltbar ist, bleibt die Zukunft unverfügbar, rätselhaft und damit ein Stück bedrohlich. Was muss ich fürchten, was kann ich erwarten, was darf ich hoffen – dies sind die Kernfragen, die die Prognosen, Studien und Prophezeiungen bezüglich der Zukunft beantworten sollen. Manche Vorhersagen sind allerdings so gestrickt, dass sie weniger diese Fragen beantworten, als dem Adressaten in einer Art selbsterfüllender Prophezeiung suggerieren: „Das musst/sollst Du von der Zukunft glauben“, also eine Deutungshoheit beanspruchen. Denn die Zukunft von heute ist immer zugleich die Gegenwart von morgen, in der es um Macht- und Geldverhältnisse geht – das ist im Bereich der Energie- und Verkehrswende nicht anders. Hierzu einige Beispiele:
World Energy Outlook (WEO): Von der International Energy Agency (IEA) herausgegeben, soll der WEO einen Überblick über die zu erwartenden Entwicklungen des Energiesektors liefern, um nicht nur den 30 Mitgliedsstaaten der IEA, sondern auch der Energiewirtschaft weltweit einen Handlungs-Kompass zur Vermeidung von Problemen und Krisen zu geben. Doch dabei hat die öl- und atom-affine Organisation – sie wurde 1974 als Reaktion auf Erdölkrise gegründet – seit Jahren immer wieder Probleme , die Leistungsfähigkeit der Erneuerbaren Energien auch nur annähernd richtig einzuordnen. Dies wird besonders bei der Vorhersage des künftigen jährlichen Photovoltaik-Zubaus deutlich, den die IEA seit 2002 kontinuierlich – und offensichtlich beratungsresistent – immer zu niedrig einschätzt, wie Wissenschaftler wie Auke Hoekstra von der Universität Eindhoven stets genüsslich aufzeigen. Während solche Vorhersage-Künstler in alttestamentlichen Zeiten als „falsche Propheten“ umgehend aus dem Tempel gejagt worden wären, dürfen die IEA-“Analytiker“ weiterhin ungehindert ihr politisches Werk verrichten – zum Erstaunen oder zur Belustigung aller Sachverständigen weltweit.
Tankstelle der Zukunft: Eine entsprechende Studie mit Bezug auf Großstädte hat das Tankstellen-Unternehmen Aral in Zusammenarbeit mit dem Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für das Jahr 2040 vorgelegt. Nun sind solche langfristigen Vorhersagen auch immer deshalb beliebt, weil sie zwar die heutige politische Diskussion bestimmen, aber die heutigen Adressaten zum prognostizierten Zeitraum 2040 oft nicht mehr am Leben sind, oder sich wegen Demenz und sonstigem Desinteresse nicht mehr über mögliche Fehler der Prognose beschweren können. Und so finden sich in der Studie neben Allgemeinplätzen („Das Bedürfnis nach Mobilität wird weiter wachsen.“) und den Mobilitätsdiensten (Packetdienst-Station, CarSharing-Station, Lufttaxi-Basis etc.) als künftiger vierter Wirtschafts-Säule neben Kraftstoffgeschäft, Shopgeschäft und Autoreinigungsgeschäft auch Aussagen zu den Anteilen verschiedener PKW-Antriebe im Straßenverkehr. So werden sich laut Aral/DLR 2040 „Benzin- und Diesel-Hybride bei den Pkw-Neuzulassungen mit 68 Prozent durchsetzen. Auch Plug-In-Hybride finden zunehmend Absatz (28 Prozent). Im gesamten Fahrzeugbestand werden laut Berechnungen des DLR benzin- oder dieselbetriebene Fahrzeuge, darunter auch mit hybridem Antrieb, mit einem Anteil von zwei Dritteln eine bedeutende Rolle behalten.“ Im PKW-Bestand sollen es nach der Studie (S.7) sogar nur drei Prozent E-Autos in 2040 sein!
Nun ist niemandem verwehrt, seine Wünsche und Träume zu notieren und anschließend „Studie“ darüber zu schreiben. Nur sollte man bei einer wissenschaftlichen Studie auch bestimmte Fakten hinreichend gewichten, als da in diesem Fall sind:
- Will Deutschland die Pariser Klimaziele einhalten und nicht internationale Vereinbarungen brechen, so darf es hier um 2040 keine wesentlichen Treibhausgas-Emissionen mehr geben. Werden die Klimaziele nicht erreicht, drohen zudem zweistellige Milliardenstrafen von der EU. Hohe Hybrid-Auto-Anteile am Verkehr sind deshalb undenkbar.
- China, größter Automarkt der Welt, führt ab April diesen Jahres für alle Hersteller einen 10-Prozent-Anteil CO2-freier Neuwagen ein, der jährlich um mindestens zwei Prozent steigen wird. Zudem können in Ballungszentren Autos mit Fossil-Motoren nur noch schwer zugelassen werden. Schon jetzt kündigen Autohersteller wie Volvo die letzte Verbrenner-Modellgeneration für dieses Jahr an. Denn kein Fahrzeughersteller kann es sich künftig leisten, nebeneinander CO2-freie Autos für China und Fossil-Fahrzeuge für Deutschland etc. zu entwickeln.
- Auch in unseren Nachbarländern wie den Niederlanden oder Skandinavien endet 2025 bis 2035 das Zeitalter der fossilen Neuwagen. Deutsche Autos können dorthin nicht mehr exportiert werden; es drohen u.U. sogar Fahrverbote.
Insgesamt eignet sich diese Studie weder als Prognose noch denn als Prophezeiung.
Urban Air Mobility: Diese Studie der in Stuttgart ansässigen Managementberatung Horváth & Partners basiert auf Marktanalysen, Sentiment-Analysen sowie Experteninterviews, und kommt im Kern zu folgenden Ergebnissen: um 2025 werden Flugtaxis in Megacities auf ersten, festgelegten Routen Passagiere befördern, 2035 (2. Phase) wird die Beförderung mehrerer Personen pro Flugkapsel auf Regelstrecken zur endkundenreifen Dienstleistung; 2050 ist dann der öffentliche Personennahverkehr mit Flugtaxis auch in Mittelstädten (größer 600.000 Einwohner) verbreitet. Basis dieser künftigen Erfolgsgeschichte ist die angeblich höhere Akzeptanz der Bevölkerung bei selbstfliegenden Passagierdrohnen gegenüber selbstfahrenden Autos, weil letztere durch Unfälle bei Pilotversuchen etc. in Misskredit geraten seien.
Wie Horváth & Partners allerdings garantieren will, dass diese Akzeptanz nicht nach Flugtaxi-Unfällen umschlägt, und dass die Bürger das zunehmende Gewusel über ihren Köpfen hinnehmen werden, sagen uns die Großanalytiker nicht. Ebenso willkürlich erscheint die These, dass die Bevölkerung künftig Autobauer als Lufttaxi-Anbieter gegenüber Flugzeugherstellern bevorzuge, weil insbesondere deutsche Premiumhersteller einen Vertrauensvorschuss besäßen. Jenseits des Vertrauensverlustes deutscher Premiumhersteller im Zuge des Dieselskandals und der geschönten Verbrauchswerte bleibt doch die Frage, warum digitale Nomaden, die kein Auto besitzen, aber Airbus und Boeing nutzen, beim Flugtaxi unbedingt auf BMW und Mercedes verfallen sollten, und warum die vielen akademischen Berufseinsteiger mit Fernflug-Faible – aber ohne Führerschein – ihr Vertrauen einem Autokonzern schenken müssten. Diese Fragen führt die im Automotiv-Segment engagierte Managementberatung leider nicht entsprechend aus.
Fazit: Betrachtet man die angeführten Studien, so ist ein jeweils eigenes, erkenntnisleitendes Interesse nicht von der Hand zu weisen. Es scheint weniger der Wunsch nach einer analytischen Zukunfts-Sondierung als eher die Setzung einer selbsterfüllenden Prophezeiung im Vordergrund zu stehen. Dass man das Thema Prognosen auch ganz anders angehen kann, zeigt auf sehr eindrückliche Weise die deutsche Bundesregierung, der für so etwas natürlich staatliche Mittel zur Verfügung stehen. Diese hatte 2010 den „Nationalen Aktionsplan für Erneuerbare Energie gemäß der Richtlinie 2009/28/EG der Bundesrepublik Deutschland“ vorgelegt, der die künftige Entwicklung bis 2020 beschreibt. Dieser Aktionsplan enthält nicht nur Mindestvorgaben wie „Im Jahr 2020 sollen mindestens 30% Erneuerbare Energien im Strombereich ... erreicht werden.“ (S.12), sondern er prognostiziert auch in Tabelle 3 (S.15) die Ausbau-Pfade bis 2020. Und dort steht bei erneuerbare Energiequellen - Elektrizität für 2020: 38,6% ! Das ist im Vergleich zu anderen Prognosen eine hervorragende Präzision und Leistung. "Chapeau!" Dass man von Seiten der Merkelschen Bundesregierungen zum Erreichen dieser Zielgenauigkeit mit atmenden Deckeln, Strompreisbremsen und wachsenden Mindestabständen von Windkraftanlagen operieren musste, sowie die deutsche Solarindustrie – selbstverständlich ganz marktwirtschaftlich – von staatlich geförderten chinesischen Solarkonzernen ausschalten ließ – Schwamm drüber! Hauptsache, die eigenen Prognosen stimmen!! Un-Wohl dem Lande, das solch‘ prophetische Regierungen hat.
Götz Warnke