19.08.2016
Grünbuch Energieeffizienz: Gabriels Abkehr von 100% EE bis 2050
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat zu Beginn dieser Woche als Bundeswirtschaftsminister ein Grünbuch „Energieeffizienz“ vorgelegt. Es ist nicht sein erstes, daran muss vorab erinnert werden. Im Herbst 2014 hatte er das Grünbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“ vorgelegt. Es war der Beginn einer Offensive gegen die Stromerzeugung aus Sonne, Wind und Biomasse. Taktisch war es über den darauf folgenden, zweiten Schritt eines Weißbuchs der Ausgangspunkt für einen ausgeklügelten Cocktail von Einzelgesetzen. Die DGS hat ausführlich berichtet, wie dieser neue ordnungsrechtliche Rahmen die dezentrale erneuerbare Stromproduktion der Bürgerenergie einschnürt, den Stromkonzernen Schutzräume vor dem technischen Fortschritt der Erneuerbaren sichert und so die Biomassebranche sowie die Solarindustrie an den Rand ihrer Existenz gebracht hat. Ob es den Freunden der Windbranche genauso ergehen wird, ist offen. Hoffentlich nicht. Das Grünbuch zum Strommarkt war aber auch als ideologische Offensive angelegt, mit welcher der Energiewende-Community wie auch der Öffentlichkeit ein neues Bild der Energiewende vermittelt werden sollte. Man nennt solche Darstellungen auch Narrativ.
Zentrale Thesen dieses Narrativ waren bzw. sind, dass die Große Koalition eine „tiefgreifende Transformation der Energieversorgung“ und damit eine „Rettung der Energiewende“ eingeleitet habe. „Zunächst lag der Fokus stärker auf dem Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie sowie dem Ausbau neuer Erzeugungskapazitäten auf Basis Erneuerbarer Energien und den damit verbundenen Anforderungen für Infrastruktur (Netze, Speicher), Kosten und die konventionelle Stromerzeugung“, so werden von den Regierungsstrategen zwei „historische“ Phasen entworfen. Der Zeitzeuge kann da nur staunen. Am Ende dieser zweiten Phase habe die Große Koalition die Produktion von Wind- und Sonnenstrom in den bestehenden Strommarkt „integriert“. Gemeint ist damit, Gabriel und Merkel hätten „Ordnung“ ins gefährlich chaotische Wachstum der Erneuerbaren gebracht. So hört man das jedenfalls aktuell von den Aktivisten beider Parteien an den Wahlkampfständen, die inzwischen überall erblühen. Allerdings sei nun eine Grenze erreicht, weil ein weiterer Ausbau die Netze überfordern würde. Deswegen sei die Deckelung des Ausbaus notwendig.
Nachdem die Erneuerbaren beim Strom gebändigt seien, geht es nun im neuen Grünbuch um die Energieeffizienz. Genau genommen ist das nichts Neues. Schon seit einiger Zeit wird von der Großen Koalition, aber auch von Grünen in Amt und Würden die Energiewende als „Einsparen, Energieeffizienz und Erneuerbare“ beschrieben, verbunden mit dem Hinweis, diese Reihenfolge sei entscheidend. Auch im Nationalen Aktionsprogramm Energieeffizienz NAPE von 2014 war dies bereits entwickelt worden. Im neuen Grünbuch wird es deutlich modifiziert, gleichzeitig aber in eingängige Thesen und politikfähige Begrifflichkeiten gegossen. Das liest sich dann so: „Deutschland hat sich ambitionierte Klimaziele gesetzt. Daraus folgt: Die Nutzung der fossilen Energieträger Öl, Kohle und Gas wird so gut wie möglich verringert. Der schnellste und direkte Weg zu diesen Zielen ist es, unseren Energieverbrauch durch Investitionen in Effizienztechnologien zu senken. Den verbleibenden Energiebedarf decken größtenteils Erneuerbare Energien.“ Zu den Effizienztechnologien zählen vor allem Sektorkoppelung, Digitalisierung und Effizienzdienstleistungen. Passend zu Olympia 2016 wird dafür die griffige Formel „Efficiency First“ geprägt.
Beim „Dreiklang der Energiewende“- so die nächste begriffliche Neuschöpfung – „aus Energieeffizienz, direkt genutzten Erneuerbaren Energien und Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien ist die gesamt- und betriebswirtschaftliche Kosteneffizienz zu berücksichtigen“. Es taucht also nicht nur ein neuer „Dreiklang“ auf, er wird quasi mathematisch in ein Verhältnis gesetzt, bei dem ein Element „der Kaskade“ direkt vom anderen abhängt. Dieses Konstrukt wird direkt mit Markt, Wirtschaft und Wachstum verknüpft, nicht mehr mit Klima. Das gab‘s beim „alten“ Dreiklang, jetzt ist es passé. Stattdessen mündet dies in die nächste, echt neoliberale These: Energieeffizienz bedeute „Chancen für Wachstum und Beschäftigung“. Und weiter, Efficiency First führe „zu einer Kostenoptimierung der Energiewende und verstärkt den Dekarbonisierungseffekt der Erneuerbaren Energien“. Wer das nicht versteht, dem wird gleich die Erklärung mitgeliefert: Je geringer der Bedarf an Wärme- und Antriebsenergie, umso geringer sei auch „der Bedarf an Energie aus Erneuerbaren Energien, der für diese Bereiche zur Verfügung gestellt werden muss, und damit die Kosten, die hieraus entstehen“. Im Klartext: mit fossilen Stoffen kann man Wachstum und Profite erzielen, mit Erneuerbaren nicht.
Das Grünbuch warnt also vor den Kosten der Erneuerbaren Energien, möchte sie vermeiden. Dieses Lied hatte schon weiland Peter Altmaier zu den Zeiten gesungen, da er als Umweltminister die Energiewende als „viel zu teuer“ schlecht redete. Aber hier findet sich auch des Pudels Kern. Zum einen wird als neues zentrales Ziel der Energiewende postuliert, der (fossile) Primärenergiebedarf solle „bis zum Jahr 2050 um 50 Prozent reduziert werden“. Zum anderen wird deutlich, dass die Erneuerbaren Energien dabei nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen haben. Die Frage, ob effizient eingesetzte Primärenergie CO2-belastet ist, erscheint sekundär angesichts der systemischen Bedeutung des Wirtschaftswachstums. Dies soll die Formel von „100 Prozent Erneuerbar in 2050“ ersetzen. Der Leser möge sich diese Wende in der Energiewende deutlich machen. Im Grünbuch werden die populären Ziele der Bürgerenergiebewegung nicht direkt angegriffen, man versucht sie mit Raffinesse umzubiegen.
Aber auch der SPD-Chef und seine Grünbuchautoren wissen, dass ein solch fundamentaler Kurswechsel nicht per Ordre de Mufti Gabriel erfolgen kann. Dies erfordert eine geduldige Massage vor allem der Energiewendeaktivisten und der EE-Verbände. Da das Publikum bisher mehrheitlich auf die bisherigen Energiewendeziele eingeschworen ist – die Formel von den 100% Erneuerbaren bis 2050 kennt gewissermaßen jedes Kind - wird im Grünbuch das Angebot eines Konsultationsprozesses gemacht. Man erinnere sich, dies war auch im Grünbuch zum Strommarkt der Fall. „Mit dem Grünbuch wird ein Konsultationsprozess eingeleitet, an dessen Ende eine mittel- bis langfristig ausgerichtete Strategie zur Senkung des Energieverbrauchs durch effiziente Nutzung von Energie in Deutschland stehen soll. Dazu wollen wir das Grünbuch mit der interessierten Öffentlichkeit in einem Konsultationsprozess diskutieren und gemeinsam an Lösungsansätzen arbeiten. Die im Grünbuch aufgeführten Thesen und Leitfragen dienen dazu, den Dialog auf die aus unserer Sicht wichtigsten Aspekte zu fokussieren. Natürlich sind aber auch zusätzliche Anregungen und Vorschläge willkommen“, so klingt es im neuen Grünbuch.
Da die ideologische Aufweichung der Bürgerenergie weiterhin ein unsicher Ding bleibt, wird im Grünbuch auch mit dem Ordnungsrecht gewedelt. Im Wirtschaftsministerium scheint man darüber allerdings noch keine gefestigten Vorstellungen zu haben. So wird über Mengensteuerung und Preissteuerung fabuliert und erklärt, neue Instrumente müssten auf der Verbrauchsseite ansetzen. Da bisher für Energieeffizienz „kein sektorenübergreifender Rechtsrahmen“ existiere, „könnten in einem Energieeffizienzgesetz zum Beispiel die nationalen Effizienzziele gesetzlich verankert werden. Rechtssystematisch könnte ein Energieeffizienzgesetz (EnEffG) zu Vereinheitlichungen beitragen und eine konsistente Entwicklung der Rechtsmaterie ermöglichen“. Was dies konkret bedeuten würde, darüber gibt es im Grünbuch selbst noch keine Auskunft. Aber klar dürfte sein, Gabriel hat die zweite Runde in seinem Kampf gegen die Bürgerenergie eingeläutet.