19.01.2018
Gibt es die ideale Temperatur für die Erde?
In einem Interview mit Reuters, äußerte sich der Direktor der amerikanischen Umweltschutzbehörde EPA, Scott Pruitt, letzte Woche zum Thema Klimawandel. Es sagte unter anderem, dass es nicht darum ginge ob sich das Klima verändert. Vielmehr sei zu klären, woher wir wissen, was die ideale Oberflächentemperatur im Jahr 2100 ist? Diese scheinheilige Frage nach der idealen Temperatur der Erde, wie sie Pruitt stellte, hat einen einfachen Hintergrund. Pruitts Ziel ist es, im Namen seiner Verbündeten aus der Ölindustrie Zweifel zu säen, um letztendlich die Klimapolitik zu schwächen und zu verzögern. Die Verlagerung der Debatte in Richtung der "idealen Oberflächentemperatur" erreicht dieses Ziel, indem es die Wahrnehmung erzeugt, dass wir nicht wissen, welche Temperatur wir anstreben sollen. Das ganze steht durchaus im Einklang mit dem Tweet seines Chefs (Trump), der anlässlich der Kälte in den USA polterte: "Vielleicht könnten wir ein wenig von der guten alten globalen Erwärmung gebrauchen".
Der Guardian befragte eine Reihe von Klimawissenschaftlern Wissenschaftler dazu. Diese stellten übereinstimmend fest, dass zur Minimierung der Risiken, die mit einem schnellen, vom Menschen verursachten Klimawandel verbunden sind, die aktuelle Temperatur, bzw. eine Temperatur so nahe wie möglich an der heutigen Temperstur, aus praktischer Sicht die "ideale Temperatur" darstellt.
1. Die Temperatur ist nicht das Problem, sondern die Temperaturänderung
Stefan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam und
Ko-Vorsitzender des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wies darauf hin, dass es nicht um bestimmte Temperaturen geht, sondern das vor allem schnelle Temperaturwechsel Probleme bereiten:
- Pruitt versucht, als Strohmann eine Debatte zu führen, die von der Tatsache ablenkt, dass nicht eine bestimmte Temperatur als solches besser oder schlechter ist, sondern dass eine Veränderung von dem, woran wir uns angepasst haben, das Problem ist. Vor allem eine sehr schnelle Veränderung - in beide Richtungen, Kühlung oder Erwärmung - verursacht große Störungen. Wir sollten uns nicht allzu weit von dem entfernen, wofür sich wir und die derzeit existierenden Ökosysteme entwickelt haben. Das ist das Optimum, einfach weil es das ist, woran wir sehr gut angepasst sind. Jede größere Veränderung wird sehr schmerzhaft sein.
2. Zivilisation entwickelt sich in einem stabilen Klima
Katharine Hayhoe von Texas Tech stimmte dem zu und bemerkte, dass sich die menschliche Zivilisation in dem relativ stabilen Klima der letzten 10.000 Jahre entwickelt hat:
- Es gibt keine perfekte Temperatur für die Erde, aber für uns Menschen ist die Temperatur, die wir in den letzten paar tausend Jahren hatten, als wir unsere Zivilisation, Landwirtschaft, Wirtschaft und Infrastruktur aufgebaut haben, die ideale. Die globale Durchschnittstemperatur in den letzten Jahrtausenden schwankte um einige Zehntel Grad, heute ist sie um fast 1° C gestiegen, Tendenz steigend. Wir sind perfekt an unsere aktuellen Gegebenheiten angepasst. Zwei Drittel der größten Städte der Welt liegen einen Meter oberhalb der Meereshöhe. Was passiert, wenn der Meeresspiegel einen Meter oder mehr ansteigt, wie es in diesem Jahrhundert wahrscheinlich ist? Wir können nicht Shanghai, London oder New York evakuieren und verlegen. Der größte Teil unserer Anbauflächen ist bereits zugeteilt und bewirtschaftet. Was passiert, wenn wir nicht mehr die Pflanzen anbauen können, die wir früher angebaut haben, weil sich das Klima verändert und Wasser in vielen subtropischen Gebieten immer knapper wird? Wir können nicht einfach neues Land übernehmen, dieses gehört schon jemand anderem. Was passiert, wenn unsere Wasserressourcen schwinden oder gar ausgehen? Wir können die Wasserrechte von jemand anderem nicht ohne Krieg übernehmen. Wir sorgen uns um ein sich veränderndes Klima, weil es die Risiken, denen wir heute ausgesetzt sind, verschärft und die Ressourcen, von denen wir für unsere Zukunft abhängig sind, bedroht.
Katharine Hayhoe beantwortet diese Frage auch in einem ihrer "Global Weirding"-Videos.
3. Die Pariser Klimaziele sind angemessen
Michael Mann, Professor für Atmosphärenforschung, wies ebenfalls darauf hin, dass wir uns einigen kritischen Temperaturschwellen nähern. Seine Forschungen haben beispielsweise gezeigt, dass bei wärmeren Temperaturen die Vermehrung malariaübertragender Parasiten rasch zunimmt.
- Es gibt einige absolute Temperaturgrenzwerte, die wichtig sind, wenn es um Landwirtschaft (besonders in den Tropen), Korallenbleiche, Infektionskrankheiten und Hitzestress (z.B. wenn die Tropen praktisch unbewohnbar werden) geht. Es ist zwar schwierig zu sagen, was die "ideale Temperatur" ist, aber es gibt eindeutig einen Temperaturbereich, der für die menschliche Zivilisation geeignet ist, und es besteht die reale Gefahr, dass wir uns in Richtung der obere Grenze dieses Bereichs bewegen.
Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte und Professorin für Erd- und Planetenwissenschaften an der Harvard Universität, stellte ebenfalls fest, dass wir bereits auf gefährliches Terrain vorgedrungen sind:
- Natürlich gibt es keine "ideale" Temperatur, folglich dürfen wir uns auf dieses Framing erst gar nicht einlassen. Es gibt eindringliche wissenschaftliche Beweise dafür, dass alles, was über 2° C liegt, höchstwahrscheinlich äußerst problematisch ist. Selbst die bereits beobachtete Veränderung um etwa 1° C hat messbare, nachteilige Auswirkungen.
Deshalb hat sich mit den Pariser Klimaabkommen jedes Land der Welt (außer den USA) darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf maximal 2° C über den vorindustriellen Temperaturen, vorzugsweise näher an 1,5° C,zu begrenzen. Die Ziele sollten eigentlich noch ehrgeiziger sein, aber wie Oreskes bemerkte, haben wir bereits eine globale Erwärmung von 1° C verursacht und die Abkehr von fossilen Brennstoffen wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Fazit: Idealerweise sollte die Kohlenstoffbelastung so schnell wie möglich reduziert werden. Im Gespräch mit den wissenschaftlichen Experten wird schnell klar, dass die ideale Antwort auf den Klimawandel in einer raschen Abkehr von fossilen Brennstoffen liegt. Die globalen Temperaturen erwärmen sich bereits heute mehr als 20 mal schneller als die schnellsten natürlichen Klimaänderungen der Erde. Es ist die rasante Geschwindigkeit der globalen Erwärmung, die eine existenzielle Bedrohung darstellt. Die Arten können sich nicht so schnell anpassen. Je länger wir warten, um den gefährlichen schnellen Klimawandel zu verlangsamen, desto schlimmer werden die Folgen sein.
Leider tut die Trump-Administration alles, was möglich ist, um die Anstrengungen zur Verringerung der Kohlenstoffbelastung zu verzögern und zu schwächen. Pruitt ist nicht an den wissenschaftlichen Antworten seiner Frage interessiert. Er ist vielmehr daran interessiert, seinen Unterstützern aus der fossilen Brennstoffindustrie zu helfen. Er ist einer von Oreskes' Merchants of Doubt, aber seine Zeit an der Macht wird so begrenzt sein wie die von Donald Trump.
* Pruitt gilt als Klimawandelleugner und war in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt eine der treibenden Figuren im Kampf gegen Präsident Obamas Klimaschutzmaßnahmen. Gemeinsam mit republikanischen Generalstaatsanwälten und Unternehmen aus der Energiebranche setzte er sich u. a. gegen Maßnahmen zum Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutz ein. Unter anderem kämpfte er gegen Grenzwerte für Luftverschmutzung in Nationalparks, Methanlecks bei der Erdgasförderung und Quecksilber- und Arsenemissionen bei Kohlekraftwerken und versuchte, den Schutzstatus einer bedrohten Präriehuhnart aufheben zu lassen, in der er eine Gefahr für die Öl- und Gasförderung sah. Als Anwalt verklagte er im Zeitraum 2011 bis 2016 insgesamt dreizehnmal die staatliche Environmental Protection Agency (EPA). 2014 ließ er einen Öl- und Gaskonzern unter seinem offiziellen Briefkopf eine Beschwerde gegen die EPA schreiben. Seit 2002 erhielt er mehr als 300.000 US-Dollar von Unternehmen der fossilen Energiebranche [Wikipedia]
frei übersetzt von Matthias Hüttmann, lesen Sie hier das Original