19.10.2018
Warum Wachstum nicht grün sein kann
Am 12. September diesen Jahres erschien in Magazins Foreign Policy der Artikel "Why Growth Can't Be Green (Warum Wachstum nicht grün sein kann)" von Jason Hickel. Der Autor ist ist Anthropologe, Autor und Fellow der Royal Society of Arts. Dort schreibt Hickel, dass neue Daten belegen, dass es schwer bis unmöglich ist den Kapitalismus zu unterstützen und gleichzeitig die Lebensbedingungen auf unserem Planeten zu schützen. Wir haben den Text für Sie frei übersetzt:
Why Growth Can't Be Green
Die Warnungen vor einem ökologischen Zusammenbruch sind allgegenwärtig. In den letzten Jahren haben Zeitungen wie der Guardian und die New York Times, alarmierende Berichte über die Ausbeutung der Böden, die fortschreitende Entwaldung und den Zusammenbruch von Fischbeständen und Insektenpopulationen veröffentlicht. Eines hatten alle Krisenberichte gemeinsam: Sie wurden und werden vom globalen Wirtschaftswachstum und dem damit verbundenen Konsum vorangetrieben. Er zerstört die Biosphäre der Erde und geht über elementare planetarische Grenzen hinaus, die wissenschaftlich belegt, respektiert werden müssen, um einen Kollaps zu vermeiden.
Viele politische Entscheidungsträger haben daraufhin auf das so genannte "grüne Wachstum" gedrängt. Das Credo: Alles, was wir tun müssen, ist, in effizientere Technologien zu investieren und die richtigen Anreize zu schaffen, dann werden wir in der Lage sein, weiter zu wachsen und gleichzeitig unsere Auswirkungen auf die Natur zu verringern, die bereits auf einem nicht nachhaltigen Niveau sind. Technisch gesehen ist das Ziel die "absolute Entkopplung" des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vom gesamten Verbrauch der natürlichen Ressourcen nach der Definition der UNO. Das klingt nach einer eleganten Lösung für ein ansonsten katastrophales Problem. Es gibt nur einen Haken: Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass grünes Wachstum nicht das Allheilmittel ist, auf das alle gehofft haben.
Grünes Wachstum wurde erstmals auf der Konferenz der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 2012 zu einem Schlagwort. Im Vorfeld der Konferenz hatten die Weltbank, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen Berichte zur Förderung eines grünen Wachstums erstellt. Heute ist es ein wesentlicher Bestandteil der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Aber das Versprechen eines grünen Wachstums beruht mehr auf Wunschdenken als auf Erkenntnissen. In den Jahren nach der Konferenz von Rio sind drei große empirische Studien zu demselben eher beunruhigenden Ergebnis gekommen: Selbst unter besten Bedingungen ist eine absolute Entkopplung des BIP vom Ressourcenverbrauch weltweit nicht möglich.
Ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung der deutschen Forscherin Monika Dittrich hatte 2012 erstmals Zweifel. Die Gruppe führte ein ausgeklügeltes Computermodell durch, das voraussagte, was mit der globalen Ressourcennutzung geschehen würde, wenn sich das Wirtschaftswachstum auf seinem derzeitigen Kurs fortsetzte und um etwa 2 bis 3 Prozent pro Jahr stieg. Es wurde festgestellt, dass der Verbrauch natürlicher Ressourcen (einschließlich Fisch, Vieh, Wälder, Metalle, Mineralien und fossile Brennstoffe) von 70 Milliarden Tonnen pro Jahr im Jahr 2012 auf 180 Milliarden Tonnen pro Jahr bis 2050 steigen würde. Zum Beispiel liegt ein nachhaltiger Ressourcenverbrauch bei etwa 50 Milliarden Tonnen pro Jahr - eine Grenze, die wir bereits im Jahr 2000 überschritten haben.
Das Team erneuert dann das Modell, um zu sehen, was passieren würde, wenn alle Nationen sofort Maßnahmen für eine effiziente Ressourcennutzung ergreifen würden, was einer äußerst optimistischen Annahme entspricht. Die Ergebnisse verbesserten sich deutlich, der Ressourcenverbrauch würde unter diesen Annahmen 2050 nur 93 Milliarden Tonnen betragen. Jedoch ist das immer noch viel mehr, als wir heute konsumieren. Die Vernichtung all dieser Ressourcen könnte wohl kaum als absolute Entkopplung oder grünes Wachstum bezeichnet werden.
2016 testete ein zweites Team von Wissenschaftlern eine andere Prämisse: eine, in der sich die Nationen der Welt darauf einigten, über die bestehenden Best-Practice-Maßnahmen hinauszugehen. Dazu nahmen die Forscher an, dass eine globale CO2-Steuer, den Weltmarktpreis für Kohlenstoffdioxid von 50 auf 236 US-Dollar pro Tonne erhöhen würde. Weiter nahmen sie an, dass sich durch technologische Innovationen die Effizienz, mit der wir Ressourcen nutzen, verdoppeln würde. Die Ergebnisse waren nahezu identisch mit denen in Dittrichs Studie. Unter diesen Bedingungen, bei einem gleichzeitigen Wachstum der Weltwirtschaft um 3 Prozent pro Jahr, würden wir bis 2050 immer noch einen Ressourcenverbrauch rund 95 Milliarden Tonnen und es somit zu keiner absoluten Entkopplung kommt.
Schließlich hat im vergangenen Jahr das Umweltprogramm der Vereinten Nationen - einmal einer der wichtigsten Verfechter der Theorie des grünen Wachstums - die Debatte beeinflusst. Es testete ein Szenario mit einem CO2-Preis von sage und schreibe 573 US-Dollar pro Tonne. Zusätzlich wurden noch eine fiktive Ressourcensteuer und schnelle technologische Innovationen angenommen, die durch starke staatliche Unterstützung angetrieben wurden. Das Ergebnis war, dass man bis 2050 bei 132 Milliarden Tonnen landete. Dieses Szenario ist vor allem Dingen deshalb schlechter als die beiden vorangegangenen Studien, da die Forscher den "Rebound-Effekt" berücksichtigt hatten, bei dem Verbesserungen in der Ressourceneffizienz die Preise nach unten treiben und die Nachfrage steigen lassen - und damit einen Teil der Gewinne ausgleichen.
Fazit Eine Studie nach der anderen zeigt das Gleiche. Man beginnt zu erkennen, dass es physikalische Grenzen dafür gibt, wie effizient wir Ressourcen nutzen können. Denn obwohl wie Autos, iPhones und Wolkenkratzer effizienter herstellen können, können diese nicht aus dem Nichts produziert werden. Wir könnten die Wirtschaft auf Dienstleistungen wie Bildung und Yoga verlagern, aber selbst Universitäten und Trainingsstudios benötigen materielle Inputs. Sobald wir an die Grenzen der Effizienz stoßen, treibt das Streben nach einem gewissen Grad an Wirtschaftswachstum den Ressourcenverbrauch wieder an.
Diese Probleme stellen das gesamte Konzept des grünen Wachstums in Frage und erfordern ein radikales Umdenken. Denn alle drei Studien haben sehr optimistische Annahmen verwendet und wir sind weit davon entfernt, heute eine globale CO2-Steuer zu erheben, geschweige denn eine von fast 600 US-Dollar pro Tonne. Zudem wird die Ressourceneffizienz derzeit immer schlechter und nicht besser. So deuten die Studien darauf hin, dass, selbst wenn wir alles richtig machen, die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung schwer fassbar bleiben wird und sich unsere Umweltprobleme weiter verschärfen werden.
Um dieses Ergebnis zu verhindern, bedarf es eines ganz neuen Paradigmas. Hohe Steuern und technologische Innovationen werden helfen, aber sie werden nicht ausreichen. Der einzige realistische Versuch, den die Menschheit hat, um den ökologischen Zusammenbruch abzuwenden, ist die Einführung von Höchstgrenzen der Ressourcennutzung, wie sie der Ökonom Daniel O'Neill kürzlich vorgeschlagen hat. Nur solche Obergrenzen, die von den nationalen Regierungen oder durch internationale Verträge durchgesetzt werden, könnten sicherstellen, dass wir nicht mehr aus dem Land und den Meeren gewinnen, als die Erde natürlich regenerieren kann. Wir könnten auch das BIP als Indikator für den wirtschaftlichen Erfolg ablegen und eine ausgewogenere Kennzahl wie den echten Fortschrittsindikator (GPI*) annehmen, der für Verschmutzung und Erschöpfung der natürlichen Ressourcen verantwortlich ist. Die Verwendung des GPI würde uns helfen, sozialverträgliches zu maximieren und ökologisch schlechte Ergebnisse zu minimieren.
Letztendlich wird es aber erforderlich sein, dass wir uns von unserer Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum befreien um unsere Zivilisation wieder innerhalb der planetarische Grenzen zu befördern. Das klingt vermutlich erschreckender, als es wirklich ist. Denn das Ende des Wachstums bedeutet nicht, die Wirtschaftstätigkeit einzustellen - es bedeutet einfach nur, dass wir in einem Jahr nicht mehr produzieren und verbrauchen dürfen als in dem Jahr davor. Es könnte auch bedeuten, dass bestimmte Sektoren, die für unsere Ökologie besonders schädlich sind und die für das Gedeihen des Menschen unnötig sind, wie Werbung, Pendlerströme und Einmalprodukte, stark limitiert werden.
Auch bedeutet das Ende des Wachstums nicht, dass der Lebensstandard Schaden nehmen muss. Unser Planet bietet mehr als genug für uns alle, nur sind seine Ressourcen nicht gleichmäßig verteilt. Wir können das Leben aller Menschen verbessern, indem wir einfach das, was wir bereits haben, fairer teilen, anstatt die Erde für immer mehr zu plündern. Vielleicht bedeutet das auch die Einführung eines Grundeinkommens oder eine kürzere Arbeitswoche, die es uns ermöglicht, die Produktion zu reduzieren und gleichzeitig Vollbeschäftigung zu schaffen. Dies und vieles andere werden entscheidend sein, um nicht nur das 21. Jahrhundert zu überleben, sondern auch in ihm zu gedeihen.
* Der Genuine Progress Indicator (GPI) ist ein Wirtschaftsindikator, der an Stelle des Bruttoinlandsprodukts eine bessere Einschätzung der Leistung von Volkswirtschaften erlauben soll. Er ist aus dem früheren Index des nachhaltigen wirtschaftlichen Wohlstands (Abkürzung ISEW von englisch Index of Sustainable Economic Welfare) hervorgegangen.