17.06.2016
Die Abrissbirne Gabriel hält Märchenstunde
Kaltschnäuzige Verdrehungen angesichts der Demontage der Erneuerbare Energien Branche
Man möchte sich die Augen reiben beim Lesen eines Briefes von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel an die „lieben Freundinnen und Freunde“ der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Es ist der Versuch einer Rechtfertigung angesichts einer Energiepolitik, die die Erneuerbaren Energien planmäßig demontiert, mitsamt der sie tragenden Branche. Der Zubau der Photovoltaik ist erfolgreich niedergeknüppelt und die Vorbereitungen, dergleichen mit der Windkraft zu veranstalten, sind in Form des EEG 2016 eingeleitet. Immer lauter werden die Forderungen, nicht nur in der EE-Branche, Gabriel solle seine Abrisspolitik beenden. Auch in der SPD-Mitgliedschaft herrscht Entsetzen angesichts der Umfrageergebnisse, die um die 20 Prozent liegen, Tendenz fallend. Deutlich wurde das auf der Demonstration „Energiewende retten“ am 2. Juni in Berlin, auf der der Minister im Mittelpunkt der offenen Kritik stand.
In seinem Brief fällt dem Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzenden nicht Blöderes ein, als sich zum Bewahrer der Energiewende auszurufen und sich als Interessenvertreter der kleinen Leute aufzuspielen. Er habe, endlich, die Energiewende verlässlich gemacht, habe die „Kostendynamik“ gebremst und „nur die wirklich energieintensiven und im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen“ von den Kosten der EEG-Umlage befreit. Dass gerade diese Unternehmen von den günstigen Großhandelspreisen an der Börse profitieren, also eigentlich die letzten wären, die eine Freistellung bräuchten, unterschlägt er. Dass es sich um eine vom Verbraucher subventionierte Industriepolitik für die Großen handelt, will er vergessen machen.
Er und die Regierungskoalition hätten einen neuen Strommarkt geschaffen, der fit sei für die Erneuerbaren Energien. Der alte Strommarkt habe sich vor allem an Atom- und Kohlestrom orientiert. Das sei vorbei, die Erneuerbaren seien der „stärkste Pfeiler am Strommarkt“. Eine erstaunliche Feststellung angesichts der EE-feindlichen Mechanismen der Strombörse und der Renaissance der Kohleverstromung, die während seiner Amtszeit stattgefunden hat. Tatsächlich ist der „neue Strommarkt“ immer noch der alte, in dem moderne Windenergie- und Photovoltaikanlagen mit abbezahlten und abgeschriebenen Atomkraft- und Kohlekraftwerken konkurrieren müssen, welche die Stromnetze verstopfen. Das nennt Gabriel erfolgreiche Integration der Erneuerbaren.
Auch beim Thema Ausschreibungsverfahren fährt Gabriels Narrativ weit ab der tatsächlichen Verhältnisse. Negativen Folgen der Ausschreibungsverfahren existieren nicht. Denn wer wie Gabriel neoliberal denkt, für den gilt der Glaubenssatz, der Preis wird`s schon richten. Stattdessen hebt er hervor, dass „wir…eine Regelung gefunden (haben), die bei den Ausschreibungen die Bürger-Energie-Genossenschaften besser stellt als große Unternehmungen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Bürgerenergie-Genossenschaften immer noch 50 % der Bürgschaftskosten für die Teilnahme an den Auktionen (bei einer 3 MW-WEA immer noch 45.000,– Euro) zahlen müssen. Ein schönes Beispiel, wie Gabriel durch ein Weglassen der Fakten einen genossenschaftsfreundlichen Eindruck zu erwecken versucht.
Natürlich gebe es Kritiker, er nennt das „Aufschrei“, die vielfach „nun mit ihren Einzelinteressen unterwegs sind“. Er als Sozialdemokrat verfolge aber das Gemeinwohl. Das sieht er in einer „Industrialisierung“ der Erneuerbaren, deren Kern er im Ausbau der Windkraft auf See sieht. Dafür müsse man die großen Stromautobahnen bis nach Süddeutschland bauen. Nur so werde die Energiewende wirtschaftlich und schaffe Arbeitsplätze. Was ist mit den vernichteten der Solarbranche? Seine Politik sei sozial und nütze den kleinen Leuten. „Denn Energiekosten sind gerade für Familien mit Kindern in den nicht so wohlhabenden Haushalten nichts, was man aus dem Auge verlieren darf“, so der O-Ton Gabriel.
Hier wird es klebrige Demagogie, die Gabriel produziert. Kein Wort davon, dass die Branche der Erneuerbaren mittelständisch geprägt ist und dass die großen Stromversorger kein Interesse an einer dezentralen Produktion und Versorgung haben. Kein Wort davon, dass die Zentralisierung, die er betreibt, alleine im Interesse der Energiekonzerne stattfindet. Gabriel nennt es sein größtes „Modernisierungsprojekt“. Und er attestiert sich, eine „kluge Energiepolitik ist immer auch kluge Wirtschaftspolitik“.
Als kluge Energiepolitik verkauft er, dass die kostengünstige Windenergienutzung an Land gedeckelt und in die Ausschreibungen gedrängt wird, die von der EU zugestandenen De Minimis-Regelung (6 Anlagen oder 18 MW) vom Tisch gewischt und mit Auflagen versehen wird. Eine Bürgschaft vor Teilnahme an den Auktionen in Höhe von 90.000,– Euro für eine marktgängige 3 MW-Anlage ist alles andere als mittelstandsfreundlich. Aber das ist seine Art der Industriepolitik. Eine andere kennt und will er nicht.
Bei einem gleichmäßigen Ausbau von dezentralen Energieerzeugungsanlagen in Süddeutschland bräuchte es keinen Ausbau zusätzlicher Hochspannungstrassen. Die Prosumer sitzen ja „vor Ort“. Statt den Strom mit Leitungsverlusten zum Verbraucher zu transportieren, könnte er dezentral erzeugt werden. Dadurch und vor allem durch einen Verbund von Wind-, Biomasse- und Solarstrom mit Batteriespeichern würde eine Verstetigung der fluktuierenden Erzeugung und Netzstabilität erreicht werden. Aber das passt nicht zur Klientelpolitik für die Großen.
Wärmeversorgung ist kein Thema. Dass die Modernisierungsrate im Bestand seit Jahren unter einem Prozent liegt, lässt sich eben nicht in einen Erfolg umdeuten. Und last but not least erstaunt es nicht, dass Klimafragen oder gar die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz bzw. die Kompatibilität schwarz-roter Politik mit dem 1,5 Grad Limit, ebenfalls außen vor bleiben. Gabriel ist also im Wahlkampfmodus. Das ruft sofort das Thema der Renten in Erinnerung, bei dem Gabriel parallel versucht, sich als genuiner Interessenvertreter der Bürger zu präsentieren. Doch das ist er nicht.
Klaus Oberzig
Gabriels Brief im Original (Link)